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Klaus Lederer (Linke), Michael Müller (SPD) und Ramona Pop (Grüne) während der Koalitionsverhandlungen.
© dpa/Wolfgang Kumm

Koalitionskrach im Senat: Wer in Berlins Regierung gegen wen kämpft und warum

„Mickey-Mouse-Themen“, „Punchingball“: Michael Müller koffert im Senat gegen seine Koalitionspartner. Das hat auch etwas mit diesem Sonnabend zu tun – aber nicht nur.

„So geht es nicht weiter“, hat der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller intern gedroht. In der Senatssitzung am Dienstag, so berichten Teilnehmer, habe er die Koalitionspartner Linke und Grüne „angekoffert“ und sich über die Wohnungsbaupolitik der fachlich zuständigen Senatorin Katrin Lompscher (Linke) aufgeregt.

Worüber ärgert sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller?

In später Einsicht wurmt es ihn, nach der Wahl 2016 die Bau- und Mietenpolitik im Senat den Linken überlassen zu haben. Immerhin handelt es sich um ein Kernthema der SPD, mit dem sich Wahlen gewinnen oder verlieren lassen. Seit eineinhalb Jahren wird das strategisch wichtige Ressort von Katrin Lompscher geführt, nach Meinung Müllers ideologisch überfrachtet und wenig erfolgreich, soweit es den Neubau von Wohnungen betrifft.

Zwar versucht der Regierungschef, baupolitische Kompetenzen in die Senatskanzlei zu ziehen, bisher aber ohne große Wirkung. Zumal die Berliner Bezirke bei der Entwicklung von Wohnungsstandorten ein starkes Eigenleben führen – dort verstehen sich Linke, aber auch Grüne manchmal eher als oppositionelle Kraft. Seit den Hausbesetzungen zu Pfingsten ärgert sich Müller auch über die verständnisvolle Haltung der Regierungspartner gegenüber den Besetzern.

Was sagt der Regierende Bürgermeister, öffentlich und intern?

Nach der Senatssitzung am Dienstag, in der eine Bundesratsinitiative zur Mietrechtsreform beschlossen wurde, übte Müller in einer Pressekonferenz nur behutsam Kritik an den Linken, die sich nicht nur für Mietenregulierung, sondern auch für den Neubau von Wohnungen einsetzen sollten. Er nahm sogar Senatorin Lompscher in Schutz, die nicht persönlich hinter jeder Baugenehmigung her sein könne. Doch in der Vorbesprechung des Senats, in der Kabinettssitzung selbst und dann vor der SPD-Fraktion zog der Regierende Bürgermeister kräftig vom Leder. Er warf der Linken vor, „Mickey-Mouse-Themen“ in den Vordergrund zu rücken, anstatt sich auf wesentliche Probleme zu konzentrieren.

Der Regierende nannte das Verhalten der Linken einen Skandal, er sprach von „Opposition in der eigenen Regierung“. So gehe es nicht weiter. Außerdem beschwerte er sich nach Darstellung von Teilnehmern über blockierte Bauvorhaben in seinem Heimatbezirk Tempelhof-Schöneberg und kritisierte, dass Senatorin Lompscher in dieser angespannten Lage der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher drei Monate Urlaub genehmigt hat. Auch kämen die Hochhauspläne am Alexanderplatz nicht voran.

Wie reagieren Linke und Grüne?

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hielten in der Kabinettssitzung dagegen, es kam zu einem Schlagabtausch. In der Sitzung der Linksfraktion wurde der Streit anschließend besprochen und man kam überein, sich vom sozialdemokratischen Regierungschef nicht „zum Punchingball“ machen zu lassen. Es sei nicht das erste Mal, dass Müller gegen die Koalitionspartner austeile, hieß es in Fraktionskreisen. Doch damit schade er vor allem sich selbst.

Spitzenpolitiker der Linken erinnerten am Mittwoch daran, dass Rot-Rot-Grün zum Erfolg verdammt sei – und sie hofften, dass Müller zu einer „vernünftigen Zusammenarbeit“ zurückkehre. Als Regierender Bürgermeister habe er die Pflicht, diese Koalition zusammenzuhalten. Auch Grünen-Politiker sind genervt, dass Müller „mal wieder herumgepampt“, aber keine Vorschläge gemacht habe, wie die Probleme zu lösen seien. Der Amtsvorgänger Klaus Wowereit (SPD) sei ein anderes Kaliber gewesen. Schon seit geraumer Zeit sehen sich die Grünen – im Streit zwischen SPD und Linken – zwischen den Fronten. Wobei sich Linke und Realos in der Umweltpartei teilweise auf die eine, teilweise auf die andere Seite schlagen.

Was hat der koalitionsinterne Streit mit dem Berliner SPD-Landesparteitag am Sonnabend zu tun?

Sehr viel. Auf dem Parteitag will sich Müller als SPD-Landeschef bestätigen lassen. Die Genossen sind unruhig und frustriert, nicht nur wegen der miserablen Umfragewerte, die in Berlin bei nur noch 17 Prozent liegen. Viele Funktionäre vermissen eine klare Linie und eine souveräne Parteiführung, Müller muss bei der Vorstandswahl mit einem schlechten Ergebnis rechnen. Erfahrene Funktionäre der Linken, Grünen und Sozialdemokraten sind sich einig: Der SPD-Chef positioniere sich mit seinen koalitionsinternen Angriffen auch für den schwierigen Parteitag, um dort punkten zu können. Viele wetten darauf, dass Müller sich in seiner Eröffnungsrede auch mit den Linken kritisch auseinandersetzen wird.

Welche Rolle spielt Müller für das rot-rot-grüne Bündnis in Berlin?

Er ist der Chef der Berliner Landesregierung, ausgestattet mit einer Richtlinienkompetenz, die ihn zum Ersten unter Gleichen macht. Der Führungsanspruch, der sich daraus ableiten ließe, kollidiert mit der Erwartung von Linken und Grünen, mit den Sozialdemokraten auf Augenhöhe gemeinsam „gut zu regieren“, wie es im Koalitionsvertrag steht. Von Anfang an hatte Müller geahnt, dass Rot-Rot-Grün schwierig wird, das Dreierbündnis war nie sein Lieblingsprojekt. Es erfordert Einfühlungsvermögen, große Kommunikationsfähigkeit und eine natürliche Autorität.

In allen drei Regierungsparteien werden diese Eigenschaften nicht automatisch mit Müller verbunden. Und die Linken schauen ein wenig neidisch nach Thüringen, wo ihr Genosse Bodo Ramelow eine rot-rot-grüne Koalition keineswegs reibungslos, aber wesentlich geräuschloser als in Berlin anführt. Müller müsse sich entscheiden, was ihm wichtiger sei, verlautet aus Führungskreisen der Linken: „Auskeilen gegen andere, um den Laden SPD zusammenzuhalten – oder eine Regierungskoalition zu führen“. Müller äußerte sich am Mittwoch zum Koalitionskrach nicht.

Wie ist der Zustand der Koalition in Berlin? Was sind die größten Probleme?

Seit Bildung des Senats im Dezember 2016 regiert Rot-Rot-Grün bisher ohne größere Erfolge vor sich hin. Für die Lösung der zentralen Probleme in der wachsenden Millionenstadt Berlin gibt es zwar Ansatzpunkte, aber bisher fast nur auf dem Papier, Das gilt nicht nur für Wohnungsbau und Mieten, sondern auch für die Situation in Kitas und Schulen sowie der öffentlichen Verwaltung. Zwar haben sich SPD, Linke und Grüne jetzt auf ein Mobilitätsgesetz geeinigt, aber das schafft noch keine neuen Radwege oder bessere Bahn- und Busverbindungen.

Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt auch in der Hauptstadt trotz guter Wirtschaftslage zu und die Auswirkungen der Flüchtlingskrise sind nach wie vor zu spüren. „Wir müssen liefern“, das haben SPD, Linke und Grüne Anfang dieses Jahres selbst gesagt. Aber bisher wurde aus Sicht vieler Bürger nur Schmalkost geliefert, die Regierungspartner nehmen sich gegenseitig die Butter vom Brot und immer wieder brechen koalitionsinterne Konflikte auf. Zumal sich die Gewichte in den Umfragen zugunsten von Linken und Grünen – zulasten der SPD verlagern. Inzwischen wittern CDU und Linke die Chance, künftig den Regierenden Bürgermeister zu stellen.

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