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In Frankreich werden Kämpfer der YPG/YPJ in Paris empfangen, in Deutschland können ihre Symbole verboten werden. Demo in Berlin.
© AFP / John MACDOUGALL

Terrorverfahren gegen mutmaßliches PKK-Mitglied: Wie eine Kurdin in die Mühlen der deutschen Türkei-Politik geriet

Berlins Kammergericht urteilt am Donnerstag über eine Kurdin, die als Kind in der Türkei gefoltert wurde. Die Bundesregierung genehmigte das Verfahren.

Mit einem Knall birst die Wohnungstür, maskierte Polizisten stürmen herein. Es ist noch dunkel, als im April 2018 ein schwerbewaffnetes Spezialeinsatzkommando bei Stuttgart die damals 50 Jahre alte Yildiz Aktas festnimmt. Das Berliner Kammergericht wirft der Frau – ausgebildete Schneiderin, kurdische Aktivistin, Mutter und Oma – vor, als Funktionärin der Arbeiterpartei Kurdistans, der PKK, tätig gewesen zu sein. Aktas kommt vorübergehend in Untersuchungshaft.

Über Monate wurden Telefone abgehört

Die PKK kämpft um kurdische Autonomie in der Türkei; zehntausende Militante schlossen sich der sozialistischen Partei an, auch im Exil verfügt sie über hunderttausende Anhänger. Im Kampf gegen die Massenmörder des „Islamischen Staates“ galten PKK-nahe Verbände als die engagiertesten Truppen im Nahen Osten.

In der EU ist die PKK als Terrororganisation verboten – und Deutschland verfolgt, wie sich zeigen wird, die Partei strikter als seine Nachbarstaaten. Über Monate werden Telefone, Besuche, Nachrichten abgehört, observiert, gelesen.

Die Bundesregierung erlaubt die Verfolgung der Kurdin

Aktas' Anwälte fordern Freispruch, die Generalstaatsanwaltschaft zwei Jahre Haft, ausgesetzt auf vier Jahre zur Bewährung. Wenn am Donnerstag das Urteil fällt, wird Aktas wohl nicht ins Gefängnis müssen. Der Prozess aber wirft Fragen auf – an die Bundesregierung.

Aktas ist nicht vorbestraft, ihr werden keine Gewalttaten vorgeworfen – weder in Deutschland noch anderswo. Die PKK hält sich hierzulande mit militanten Aktionen zurück, schon um Spenden, asylsuchende Mitglieder und ihr aufgefrischtes Image nicht zu gefährden. Aktas steht vor Gericht ausschließlich weil die Bundesregierung eine „Verfolgungsermächtigung“ erteilte.

PKK-Leute debattieren über die Frauenquote, Syrien, den IS

Ein solches Schreiben ist nötig, wenn die Justiz jemanden bestrafen soll, der in Deutschland gar nicht straffällig wurde, der auch keiner konkreten Tat im Ausland verdächtigt wird, sondern mutmaßlich einer Organisation angehört, die als illegitim betrachtet wird. Angeklagt ist Aktas nach Paragraf 129b des Strafgesetzbuches: „Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung im Ausland“.

Vor dem Prozess müssen Beobachter ihre Mobiltelefone, Portemonnaies, Taschen am Gebäudeeingang abgeben. Nach der Sicherheitsschleuse folgt eine Saalkontrolle, an der Beamte die Besucher mit Metalldetektoren abtastet. Wachleute in Schutzwesten begleiten den Prozess.

Diese Fahnen (auf einer Demonstration in Frankreich) würden in Deutschland wegen Werbung für die verbotene PKK beschlagnahmt werden.
Diese Fahnen (auf einer Demonstration in Frankreich) würden in Deutschland wegen Werbung für die verbotene PKK beschlagnahmt werden.
© FREDERICK FLORIN / AFP

Und Aktas’ PKK-Aktionen? Als „Gebietsleiterin“ in Berlin und Stuttgart sammelte sie 2013 und 2014 Spenden, organisierte Demonstrationen, entwarf Plakate, so schildert es der Staatsanwalt. Er zitiert aus SMS, berichtet von Observationen durch das Bundeskriminalamt, gibt Einblicke in PKK-interne Debatten um Frauenquoten, Syrien, den IS.

Staatsanwalt: Die PKK hat sich „als überlebenswichtig“ erwiesen

Der Ankläger spricht auch von einer „repressiven Politik“ der Türkei, davon, dass die Angeklagte als Zwölfjährige in Diyarbakir inhaftiert wurde, dass die Folter sie dort „nachvollziehbar geprägt“ habe. Zudem sei wegen der in Haft erlittenen „Ehrverletzungen“ mit familiärer Gewalt gegen die junge Frau zu rechnen gewesen. Er kommt gar zum Schluss, dass sich die ihre Mitglieder schützende PKK „als überlebenswichtig“ erwiesen habe – ohne die schlagkräftige Kaderpartei also wäre es Aktas in Anatoliens patriarchaler Gesellschaft schlechter ergangen. Und doch müsse Aktas bestraft werden, sagt der Staatsanwalt: Wer mit der PKK kämpfe, könne sich nicht auf das „Kombattantenprivileg“ berufen.

Belgiens Richter gehen liberaler mit den Kurden um

Kombattanten sind nach dem Völkerrecht jene Männer und Frauen, die wegen eines Krieges dazu berechtigt sind, bewaffnet zu kämpfen. Belgische Richter hatten deshalb im Januar einen seit Jahren laufenden Terrorprozess gegen mutmaßliche PKK-Mitglieder eingestellt. Brüsseler Berufungsrichter urteilten, in der Türkei herrsche ein bewaffneter Konflikt zwischen legitimen Kombattanten.

In Deutschland werden selbst Bücher mit PKK-Bezug beschlagnahmt. Aktas' Anwalt Lukas Theune sagt, eigentlich gehe es im Prozess um Aktivitäten, die vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien: Parolen gegen den IS, gegen die türkische Regierung, für kurdische Autonomie. Doch in der Logik des Paragrafen 129b könnten aus legalen Parolen schnell Werbung für eine „terroristische Vereinigung im Ausland“ werden.

Noch in der Türkei zeigt Aktas 2011 Beamte ihres Foltergefängnisses an. Danach droht ihr erneut türkische Haft, sie flieht nach Deutschland und erhält Asyl. Als 2013 in Paris ein türkischer Rechtsradikaler drei Kurdinnen erschießt, wird sie im PKK-Umfeld im Exil aktiv.

Yildiz Aktas bietet an, in Rojava zu verteidigen

Ankara drängt Verbündete derweil, härter gegen die Exil-PKK vorzugehen. Die Bundesregierung sieht in der Türkei einen – zuweilen schwierigen – Partner. Zugleich leugnet kaum ein deutscher Spitzenpolitiker, dass insbesondere die säkularen Kurden im Nahen Osten unter den jeweiligen Zentralregierungen leiden.

Im Syrienkrieg gelang es der kurdischen PYD 2012, die Rojava genannte Region an der türkischen Grenze sowohl gegen Islamisten als auch gegen Syriens Regime zu verteidigen. Nirgendwo in Syrien, das sagen Beobachter etablierter Hilfsorganisationen, sei die Lage von Frauen besser als in Rojava. Aus einem Abhörprotokoll geht hevor, dass Aktas ihren Genossen anbietet, aus Berlin nach Rojava in den Kampf gegen den IS auszureisen.

Tausende demonstrieren in Straßburg für die Freilassung von PKK-Gründer Abdullah Öcalan. Der sitzt seit 1999 in türkischer Haft.
Tausende demonstrieren in Straßburg für die Freilassung von PKK-Gründer Abdullah Öcalan. Der sitzt seit 1999 in türkischer Haft.
© FREDERICK FLORIN / AFP

Die USA unterstützen dort die mehrheitlich kurdische Miliz YPG lange, obwohl sie und die regierende PYD als Schwesterverbände der PKK gelten. Im Jahr 2014 retten deren Kämpfer im angrenzenden Irak 35.000 Jesiden vor Vernichtung durch den IS. PKK-Vizechef Cemil Bayik entschuldigt sich 2015 für militante PKK-Aktionen in Deutschland.

Die Bundesregierung bleibt hart. In Berlin erhalten Demonstranten 2016 Geldstrafen, weil sie gerufen haben: „Es lebe die PKK!“ Und der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verfügt 2017, dass die syrisch-kurdischen YPG- und PYD-Symbole verboten werden können, wenn sie „als PKK-Ersatz“ gezeigt werden. Fallweise wird entschieden, was legitimer Protest und was illegale PKK-Werbung sein soll.

Emmanuel Macron empfängt PKK-nahe Kurden in Paris

Anwalt Theune verweist in seinem Plädoyer auf die weniger harte Linie in Belgien. Nachdem das Anti-PKK-Verfahren dort eingestellt wird, erklärt der belgische Außen- und Verteidigungsminister Philippe Goffin zwar: „Die Kurdische Arbeiterpartei PKK ist eine terroristische Organisation.“ Doch beweisen Belgien, aber auch Schweden und Frankreich in der Praxis politisches Gespür.

Emmanuel Macron empfängt 2018 PKK-nahe Kurden aus Syrien in Paris, lobt sie für die „entscheidende Rolle“ im Kampf gegen den IS. Zypern weigert sich 2019, gesuchte Kurden an Deutschland auszuliefern. Theune sagt, die Strafverfolgungsermächtigung der Bundesregierung sei nicht aufrechtzuerhalten, da die Türkei auch kurdische Zivilisten bombardiere, also „keine die Würde des Menschen achtende staatliche Ordnung“ sei, wie es der Paragraf 129b vorschreibe.

Flaggen der von Kurden dominierten Milizen-Allianz SDF in Berlin. Die SDF wehrt sich in Nordsyrien gegen türkische Angriffe.
Flaggen der von Kurden dominierten Milizen-Allianz SDF in Berlin. Die SDF wehrt sich in Nordsyrien gegen türkische Angriffe.
© Hannes Heine

Inzwischen gibt es in der Bundespolitik vorsichtige Stimmen, die eine andere Kurden-Politik anregen. Die Linkspartei plädiert seit jeher für ein Aufheben des PKK-Verbotes. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagt, man sei bereit, etwaige Gespräche zwischen Ankara und der PKK zu unterstützen.

Über die deutsche Kurden-Politik wird nicht im Berliner Kammergericht entschieden. Aber der Prozess könnte Impulse geben. Das letzte Wort hat die Angeklagte, sie sagt: „Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich nicht mein Leben lang widerständig gewesen wäre.“

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