Lehrer in Berlin: Wie die AfD Fake-Meldungen im Lehrer-Portal verhindern will
Seit einer Woche ist in Berlin das umstrittene AfD-Meldeportal über Lehrer am Netz. Die Partei blockt die eigenen Politikernamen.
Knapp eine Woche nach dem Start des AfD-Portals für eine „neutrale“ Schule hat die Fraktion offenbar alle Hände voll damit zu tun, das Portal technisch in den Griff zu bekommen und Fake-Meldungen fernzuhalten. Darauf hat der Tagesspiegel etliche Hinweise. Die AfD-Fraktion selbst hat für den 6. November eine erste Zwischenbilanz angekündigt und äußert sich bis dahin nicht zum Portal, wie ihr Sprecher auf Anfrage mitteilte.
Das gilt auch für die vorübergehende Löschung des Meldeformulars: Von Donnerstagabend bis in Freitagmorgen konnte man keine Beschwerden übermitteln. Stattdessen hatte die verantwortliche Firma auf der AfD-Seite den Hinweis hinterlassen, dass das Formular wegen „Verletzung der Nutzungsbestimmungen“ abgeschaltet worden sei. Mitgeteilt wurde dies von der Firma „123formbuilder“, die das Formular programmiert hatte. Inwiefern die AfD gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen haben soll, war nicht zu erfahren.
Aber auch sonst läuft nicht alles rund. Möglicherweise leidet die AfD unter den Fake-Meldungen, die Gegner des Portals absetzen, um dessen Auswertung zu erschweren. Darauf deutet zumindest die Tatsache, dass inzwischen etliche Begriffe geblockt werden – zumeist Namen von AfD-Politikern. Es sind genau die Politiker, deren umstrittene Zitate die Piraten auf der Webseite „Mein Abgeordneter hetzt“ zusammengetragen haben: Dort kann man eines der vorgeschlagenen Zitate anklicken, das dann direkt von der Piratenseite auf das AfD-Portal umgeleitet wird.
Pizza, Petry, Poggenburg
Um zu vermeiden, dass diese AfD-Zitate ihr Portal überfluten, hat die Fraktion das Formular so programmieren lassen, dass sich eine Meldung nicht abschicken lässt, sobald einer der Namen – etwa Höcke, Gauland, Storch, Poggenburg, Bystron, Arppe oder Petry – eingegeben wird. Das gleiche gilt für bestimmte Begriffe, die für Entgleisungen von AfD-Politikern stehen. Bestes Beispiel: „Hochtaunus“ wird geblockt, weil es die dortige AfD war, die auf Facebook Journalisten indirekt gedroht hatte. Geblockt wird auch das Wort „Pizza“, nachdem jemand geraten hatte, der AfD in ihrem Beschwerdeportal doch einfach Pizzabestellungen zu schicken.
Allerdings haben die Piraten einen technischen Weg gefunden, die Blockade zu umgehen, indem Punkte zwischen die einzelnen Buchstaben gesetzt werden: „Die Abwehrversuche der AfD sind recht plump und beeinträchtigen unsere Seite nicht wesentlich“, lautet denn auch die Einschätzung von Philip Köngeter, dem Sprecher der Piraten in Baden-Württemberg, die sich in der Sache überregional engagieren. Im Übrigen würden nur im Portal der AfD Berlin die genannten Namen und Begriffe geblockt: Die anderen drei bereits existierenden AfD-Portale in Hamburg, Sachen und Brandenburg bedienten sich dieses Hilfsmittels nicht, so Köngeter.
Unterschiede gibt es auch in weiteren Punkten. So verlangt nur AfD-Fraktion in Berlin bei Beschwerden obligatorisch den Nachnamen des Melders: Im Meldeformular der AfD-Brandenburg muss nur die Schule, den Ort und die E-Mail- Adresse eingeben, bevor man zur obligatorischen „Schilderung des Sachverhalts“ kommt. Die sächsische AfD-Fraktion verlangt ebenfalls die Nennung der Schule, des Ortes und der Mailadresse, darüber hinaus soll man das Datum eintragen. Der Vorfall selbst muss nicht unbedingt beschrieben werden.
Die AfD-Hamburg, die überhaupt als erste schon vor Monaten ein solches Portal angekündigt hatte und auch bei der Umsetzung Ende September den Anfang machte, will nur die E-Mailadresse oder Telefonnummer wissen, „damit wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen können“. Den zu beanstandenen Vorfall muss man hier – wie in Sachsen – nicht vorab mitteilen.
Piraten sprechen von mehr als 100.000 Fake-Meldungen
Anders als die AfD-Berlin begründet die Hamburger Fraktion ihren Vorstoß nicht nur allgemein mit der „einseitigen Beeinflussung“ durch Lehrer, sondern mit Hinweisen auf mutmaßliche Neutralitätsverstöße wie „plumpes AfD-Bashing, fehlerhaftes und unsachliches Unterrichtsmaterial bis hin zu Pädagogen, die mit ’FCK-AfD-T-Shirts’ vor die Schüler treten oder Aushänge in den Schulen, in denen zu Demonstrationen gegen die AfD aufgerufen wird“.
Piraten-Sprecher Köngeter zufolge gab es bis Freitag 420.000 Zugriffe auf der Seite „Mein Abgeordneter hetzt“. Daraus folgten dann „grob ermittelt“ 124.000 Fake-Meldungen: Die meisten gingen in den ersten zwei Tagen an die AfD Hamburg und Baden-Württemberg, die besonders von sich reden machten, weil sie die beiden ersten Beschwerdeportale ans Netz gebracht hatten. Das Baden-Württembergische Portal ging schon nach einem Tag vom Netz. Rund 10 000 Meldungen betrafen Berlin, weitere 14 000 hätten sich später wiederum auf Hamburg und Sachsen verteilt, so Köngeter.
Lehrer wehren sich – und ernten positive Reaktionen
Zudem müssen sich die AfD-Fraktionen mit einem weiteren Störmanöver der Piraten auseinandersetzen: Sie haben die Seite „Mein Lehrer wehrt sich“ kreiert. Dort bieten die Piraten ein Tool, mit dem ein Lehrer „formgerecht und automatisch“ gemäß Datenschutzgrundverordnung von der AfD Auskunft darüber verlangen kann, ob und welche Daten zu seiner Person gespeichert worden sind.
Aber nicht nur Piraten, Gewerkschafter, Bildungsminister und Abgeordnete halten gegen sondern auch immer mehr Lehrer. So sammelt die Lehrerinitiative „Bildet Berlin!“ Unterschriftenlisten für einen offenen Brief, den, wie berichtet, zwei Pädagogen des Charlottenburger Heinz-Berggruen-Gymnasiums, Florian Quaiser und Steffen Schulz-Lorenz, mit „Geständnissen an die AfD“ geschrieben hatten. Sie teilten am Wochenende auf Anfrage mit, dass sie trotz der Ferien schon sehr viele – positive – Reaktionen auf ihren Vorstoß bekommen hätten. Auch die ersten Unterschriftenlisten lägen bereits vor – und es gebe Solidarität von Schülerseite.
Schweizer Erfahrungen
Ähnlich war es im Jahr 2014, als der Jugendverband der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) ein vergleichbares Portal installierte. Und auch damals habe es parodistisch-kritische Selbstanzeigen gegeben, heißt es in einem am Sonntag veröffentlichten Beitrag des Schweizer Online-Magazins „Geschichte der Gegenwart“. Durch den Witz vieler Schüler und Lehrer sei „die Dümmlichkeit der Plattform“ bald mit Selbstanzeigen offengelegt worden. „Der SVP-Pranger wird heute in der Schweiz nur noch als Lachnummer erinnert“, schreibt Autorin und Mitherausgeberin Sylvia Sasse von der Universität Zürich.
Die naheliegende Vermutung, dass die Hamburger AfD-Fraktion ihre Idee zu dem Portal aus der Schweiz übernommen haben könnte, stimme aber nicht, betonte am Dienstag Fraktionssprecher Robert Offermann. Das Portal sei eine "original Hamburger Geschichte", die sich aus entsprechenden Hinweisen von Eltern ergeben habe. "Wir haben nicht in die Schweiz geguckt", sagte Offermann, auch wenn es generell "auf europäischer Ebene" Kontakte zur SVP gebe.
Im Laufe des Novembers wolle die Hamburger AfD eine Zwischenbilanz zu den Erfahrungen mit dem Portal "Neutrale Schule Hamburg" geben. Die "satirischen" Zuschriften, die es insbesondere nach einem Bericht der "heute-show" gegeben habe, ebbten inzwischen ab und es gebe "vermehrt ernsthafte Meldungen", so Offermann.