Lehrer-Protest gegen "Beschwerdeportal" in Berlin: Elf Geständnisse an die AfD
Berliner Lehrer schreiben offenen Brief zum geplanten Start des „Beschwerdeportals“. Schulsenatorin Scheeres kündigt an, angeprangerte Pädagogen zu unterstützen.
In die Berliner Lehrerschaft kommt Bewegung: Kurz vor dem für Montag geplanten Berliner Start der AfD-„Beschwerdeplattform“ gegen „ideologisch einseitige“ Lehrer kursieren offene Briefe an die Partei und Fraktion, in denen sich Kollegien oder einzelne Pädagogen dem „Einschüchterungsversuch“ entgegenstellen und ihre „Vergehen“ von sich aus melden. Falls der Start der Plattform in Berlin gelingt, wäre es das dritte Bundesland, in der die AfD auf diese Weise versucht, Informationen über Lehreräußerungen zu sammeln. Der für Freitag angekündigte Start der Brandenburger Plattform scheiterte. Die Berliner Bildungsverwaltung kündigte an, die Datenschutzbeauftragte „um eine Überprüfung der Zulässigkeit des AfD-Vorhabens zu bitten“.
Zwei Lehrer aus Westend schrieben den Brief
„Wir gestehen, dass wir die Zeit des Nationalsozialismus nicht als kleinen ,Vogelschiss‘ behandelt haben“, heißt es in einem offenen Brief, der am Freitag über die Berliner Lehrerinitiative „Bildet Berlin“ veröffentlicht wurde. Verfasst wurde er von Florian Quaiser und Steffen Schulz-Lorenz, zwei Lehrern des Charlottenburger Heinz-Berggruen-Gymnasiums, die ihn an die „sehr geehrten Damen und Herren der Berliner AfD“ gerichtet haben.
In dem Brief schreiben die Lehrer, sie wollten der AfD „gern die Arbeit abnehmen“ und von sich „gestehen“. Es folgt ein Katalog von elf „Geständnissen“ mit einem angehängten Vordruck für Unterschriftenlisten, die von den Lehrern ausgefüllt und bis zum 15. Dezember an „Bildet Berlin!“ geschickt werden können.
Die Geständnisse im O-Ton
Zu den „Geständnissen“ zählt,
– „dass wir uns kontinuierlich auf den Artikel 3 des Grundgesetzes berufen und die Diskriminierung von Menschen aufgrund von Hautfarbe, Herkunft, politischer oder religiöser Überzeugung im Unterricht nicht erlaubt haben“;
– „dass wir sprachliche Tabubrüche von Seiten Ihrer Partei und anderen Menschen als solche im Unterricht thematisiert haben, weil rassistische und diskriminierende Aussagen als solche in unserem Land benannt werden müssen,
– „dass wir in unserem Unterricht das komplexe Thema der Migration nicht als Erklärung für alle Probleme in Deutschland haben gelten lassen“;
– „dass wir in unserem Unterricht aktiv Produkte der von Ihnen bekämpften Medien eingesetzt und hinsichtlich ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit untersucht haben“;
– „ dass wir in unserem Unterricht offensichtliche Lügen, wissenschaftliche Halbwahrheiten und allgemeine Ungenauigkeiten in Quellen über all die Jahrhunderte analysiert und interpretiert haben und
– „dass wir überlegen, einen Längsschnitt zum Thema ,Denunziation in verschiedenen historischen Epochen (Römische Republik – Inquisition im Mittelalter - Nationalsozialismus – Deutschland 2018‘ zu entwickeln.
„Wir wollen alle gesammelten Unterschriften gemeinsam übergeben“, kündigte der Sprecher der Initiative, Florian Bublys, gegenüber dem Tagesspiegel an.
Scheeres: "Gift für das Schulklima"
„Die AfD gibt vor, das Neutralitätsgebot zu schützen, aber in Wirklichkeit will sie Schulen für ihre Zwecke instrumentalisieren“, erklärte am Freitag Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD). Das AfD-Ziel, „politisch missliebige Lehrkräfte an den Pranger zu stellen“, säe Misstrauen, fördere das Denunziantentum und vergifte das Schulklima. „Ich hoffe sehr, dass die Berliner Eltern- und Schülerschaft sich nicht an einem solchen Projekt beteiligt. Als Dienstherr wird meine Verwaltung betroffene Lehrkräfte bestmöglich unterstützen“, kündigte die Senatorin an. Die Berliner AfD hatte ihr Votum für die Beschwerdeplattform unter anderem damit begründet, dass sie im Rahmen der U18-Wahl "ausgeklammert" worden sei, was sich jedoch nach Tagesspiegel-Recherchen als falsche Behauptung herausstellte.
Grundschulverband warnt vor "Verängstigung"
Der Berliner Grundschulverband warnten ebenfalls vor dem AfD-Portal, das „Denunziation, Verunglimpfung und Verängstigung“ fördere. Er appellierte, „diesen Aktionen überall entschlossen entgegenzutreten. Ebenso wie Lehrer der Kreuzberger Lina-Morgenstern-Schule erinnerte er an Paragraph 1 des Schulgesetzes, wonach Kinder befähigt werden sollen, „der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren“ entschieden entgegenzutreten“.
Den Brief kann man in voller Länge HIER nachlesen.