zum Hauptinhalt
Nächster Halt: Alexanderplatz Der Kältebus in Berlin.
© imago/Jakob Hoff

Besonders schwer haben es die Frauen: Wie der Kältebus den Obdachlosen hilft

Seit 25 Jahren gibt es die rollende Kältehilfe in Berlin, zu der drei Fahrzeuge gehören. Wem man auf einer Schicht so begegnet? Eine Rundfahrt durch die Stadt.

Die Arbeit könne auch frustrierend sein, gibt Matthias Spreemann zu, aber die schönen Momente machten das wieder wett, fügt er umgehend hinzu. Er ist gelernter Berufskraftfahrer, fährt aber bereits seit zwei Jahren mit dem Kältebus durch die Berliner Nächte, er koordiniert als einer von drei Hauptamtlichen das 28-köpfige Kältebusteam der Berliner Stadtmission.

["Nacht der Solidarität": Berlin will seine Obdachlosen zählen - Helfer werden für die 12 Bezirke gesucht. Ingo Salmen erklärt die Aktion für ganz Berlin im neuen Marzahn-Newsletter - hier der Tagesspiegel-Link. Unsere Bezirksnewsletter gibt es unter leute.tagesspiegel.de]

Aufgewachsen ist Spreemann - der Name ließe kaum anderes zu - in Berlin-Mitte. Heute wohnt er zwar am Stadtrand, in Französisch Buchholz, arbeitet aber wieder am trubeligen Herz der Hauptstadt. Familie hat er keine, zu Hause wartet niemand auf ihn, das erleichtert die unbequemen Arbeitszeiten: vier bis fünf Nächte in der Woche von abends 21 Uhr bis morgens um 3 Uhr steuert Matthias Spreemann den Kleintransporter, in dem er acht Passagiere mitnehmen kann.

Den ersten Zwischenstopp macht er an diesem Novemberabend am Alexanderplatz, wo er auf Sabrina und zwei ihrer Freunde trifft. Sabrina hat drei Hunde, einen Husky und zwei Hütehunde. „Die passen auf mich auf", sagt die 29-Jährige. Schließlich sei das Leben auf der Straße nicht ungefährlich.

Das Dreiergespann hat sein Lager unter der S-Bahnbrücke aufgeschlagen, es herrscht reger Verkehr. Es nieselt schon den ganzen Abend, das Thermometer zeigt magere acht Grad Celsius. Noch sei es gut auszuhalten, sagt Sabrina.

Kein Vermieter wolle sie haben

Sie träumt von einer richtigen Bleibe, einer Wohnung. Das Geld wäre da, sie ist beim Amt gemeldet, bezieht Hartz IV, aber kein Vermieter wolle sie haben. „Leute wie wir kriegen nicht einmal mehr eine Wohnung in Hellersdorf, es ist gerade verdammt schwer in Berlin. Die Flüchtlinge haben unsere Situation nicht gerade verbessert“, sagt die junge Frau.

In die Notunterkunft würde sie nur im absoluten Notfall gehen. Oft sei es laut, dreckig und auf den Toiletten werden Drogen konsumiert, das könne sie gar nicht leiden. Außerdem nehmen die meisten Unterkünfte sie mit den Hunden gar nicht erst auf.

Karen Holzinger, Gründungsmitglied des Berliner Kältebusses.
Karen Holzinger, Gründungsmitglied des Berliner Kältebusses.
© Magdalena Thiele

Der Kältebus würde die Hunde sogar mitnehmen, im Notfall kriege er auch einen Rollstuhl in den dafür nicht ausgestatteten Kleinbus, sagt Spreemann, das Ein- sei leichter als das spätere Ausladen, dafür müssten dann schon mehr Leute mit anpacken.

Viele Unterkünfte lehnen Rollstuhlfahrer ab

Eigentlich gibt es für den Transport von Rollstuhlfahrern seit dieser Saison einen neuen Ambulanzwagen – das Geschenk einer Stiftung – aber inzwischen komme es immer häufiger vor, dass Menschen im Rollstuhl Hilfe von Matthias Spreemann und seinen Kollegen benötigen. Besonders schwierig bleibt ihre Unterbringung. Die meisten Unterkünfte lehnen Rollstuhlfahrer ab, weil sie nicht die Ausstattung haben oder das ehrenamtliche Personal mit deren Pflege überfordert wäre.

„Vielen von ihnen wurde ein Fuß oder ein Bein amputiert“ - meistens als Folge einer Infektion die sie sich auf der Straße geholt haben, erklärt Karen Holzinger, Bereichsleiterin Wohnungslosenhilfen im Verein für Berliner Stadtmission. Im Rollstuhl auf der Straße sei es besonders hart. Viele haben nicht einmal jemanden, der ihnen hilft auf Toilette zu gehen. Das habe dann die entsprechenden Folgen.

Einer von drei Bussen, die zur Stadtmission gehören.
Einer von drei Bussen, die zur Stadtmission gehören.
© Magdalena Thiele

Früher habe es das so nicht gegeben, sagt Karen Holzinger. Sie ist Gründungsmitglied der Institution Berliner Kältebus. Seit 1994 gibt es die rollende Kältehilfe, damals aus der Not heraus ins Leben gerufen. Im Winter 1994 hatte es den ersten Kältetoten auf Berlins Straßen gegeben. Der Tagesspiegel hatte es damals geschafft mit seiner Aktion „Menschen Helfen“ das nötige Kleingeld für den ersten Bus zusammen zu bekommen, erinnert sich Holzinger.

Besonders schwer ist es für Frauen

Vor zwanzig Jahren hätten sie keinen einzigen Rollstuhlfahrer auf der Straße angetroffen. Im vergangenen Jahr seien 35 zu ihnen in die Notunterkunft der Stadtmission in der Lehrter Straße gebracht worden, hier wird niemand abgelehnt. Dabei hätten auch sie eigentlich nicht die Ausstattung für Menschen mit speziellen Bedürfnissen.

Besonders schwer sei es auch für Frauen, auf der Straße zu leben. Ihren Anteil schätzt Holzinger auf circa 20 Prozent - die Dunkelziffer sei allerdings hoch, vermutet die Sozialpädagogin. Viele gingen auch Zweckbeziehungen ein, um nicht auf der Straße sitzen zu müssen.

Seit der EU-Osterweiterung habe sich die Lage auf Berlins Straßen weiter zugespitzt. Viele Leute kämen nach Deutschland um hier ihr Glück zu finden. Auch wenn ihr „Glück“ nur darin besteht, hier auf der Straße zu leben, das sei oft noch besser als zuhause. Viele von Ihnen wüssten auch einfach nicht, wo sie Hilfe bekommen würden.

Kältebus ist „nicht die Lösung für alles“

„Wir müssen zu den Menschen hinfahren, weil viele von Ihnen physisch oder psychisch gar nicht dazu in der Lage sind, sich Hilfe zu suchen“, erklärt Holzinger. Nur die Unterkunft anzubieten reiche für solche Fälle nicht aus, dazu brauche es den Kältebus.

Aber der Kältebus ist leider nicht die Lösung für alles“, sagt Ulrich Neugebauer, ebenfalls Fahrer der ersten Stunde und heute Leiter der Kältehilfe. „Nicht jeder auf der Straße möchte unsere Hilfe annehmen, das muss man aushalten“.

Karen Holzinger und Ulrich Neugebauer bei der Vorstellung der Arbeit des Vereins.
Karen Holzinger und Ulrich Neugebauer bei der Vorstellung der Arbeit des Vereins.
© Magdalena Thiele

Zu seiner Arbeit gehöre es auch, dieses Dilemma Anrufern zu erklären. „Wir müssen manchmal ablehnen irgendwo hinzufahren, wenn wir wissen, dass unsere Hilfe dort nicht erwünscht ist. Für die Menschen drum herum ist der Anblick des Elends natürlich schwierig auszuhalten.

Ein langer Prozess der Vertrauensbildung

„Dennoch gibt es viele Obdachlose, die sich freuen, wenn wir vorbeikommen, nach ihnen sehen und eine heiße Tasse Kaffee dabei haben“, für die fahre der Kältebus. Er habe gelernt, ein Nein zu akzeptieren, werde aber trotzdem nicht müde die Hilfe anzubieten, erklärt Ulrich Neugebauer. „Wir haben diese Saison einen Menschen, der seit anderthalb Jahren am Kotti sitzt, davon überzeugen können, mitzukommen“, erzählt er. „Das ist oft ein langer Prozess der Vertrauensbildung, aber der lohnt sich.“

Leider wird der Kältebus nur zu einem geringen Teil, anders als die Unterkünfte, mit öffentlichen Geldern finanziert. Um auch weiterhin die Kosten für die nunmehr drei Busse decken zu können, hoffe man auf mehr Unterstützung durch die öffentliche Hand. 100.000 Euro sind pro Jahr nötig, um alle Kosten zu decken. Bisher beteilige sich der Bezirk Neukölln mit 17.000 Euro. Das sei schon eine große Hilfe, sagt Neugebauer. Aber vor allem lebe der Kältebus von den Spenden und der Barmherzigkeit der Berliner.

Magdalena Thiele

Zur Startseite