Seit 15 Jahren in der Hauptstadt: Wie der Easyjet-Tourismus Berlin verändert hat
Vor 15 Jahren landete erstmals eine Easyjet-Maschine in Schönefeld. Heute verbindet die Airline Berlin mit 90 Zielen in ganz Europa. Das gefällt nicht allen.
2004 hat Easyjet Berlin zu seiner ersten Basis außerhalb Großbritanniens gemacht. „Das war der Startschuss für den Aufstieg Berlins in die Spitzengruppe der europäischen Reiseziele“, resümierte am Montag Burkhard Kieker, der Chef der Tourismus-Agentur Visit Berlin. Die britische Fluggesellschaft ist seit der Insolvenz von Air Berlin im Herbst 2017 die führende Airline der Hauptstadt. Zugleich klagt man in einigen Kiezen seit Jahren über den „Easyjetset“, also die oft sehr preisbewusste – aber auch oft betont partyfreudige – Kundenklientel von Billigfluganbietern wie Easyjet und Ryanair, des großen Konkurrenten aus Dublin.
2004 hatte Easyjet mit rund 100 Mitarbeitern, sechs Flugzeugen und 13 Zielorten in Schönefeld noch recht bescheiden begonnen. Trotzdem musste sich der damalige Airline-Chef Ray Webster vor seinen Aktionären in London für den Schritt rechtfertigen. Warum ausgerechnet Berlin? „Diese Stadt dürfte sich zu einem der wichtigsten kulturellen und wirtschaftlichen Wachstumsmärkte entwickeln“, sagte er voraus – und behielt recht.
Nach der Air Berlin-Pleite übernahm Easyjet viele Angestellte des einstigen Wettbewerbers und startet seither auch in Tegel. Mehr als 1500 Personen zählt inzwischen die hiesige Belegschaft, alle werden mit lokalen Verträgen nach deutschem Recht unter Anerkennung ihrer Gewerkschaften beschäftigt, betont Stephan Erler, der von Berlin aus Easyjets Deutschland-Geschäft koordiniert.
90 Reiseziele mit 35 Flugzeugen
In den eineinhalb Jahrzehnten hat Easyjet 61 Millionen Passagiere von und nach Berlin transportiert, allein im vergangenen Jahr waren es mehr als zehn Millionen. 33 Millionen Reisende waren internationale Fluggäste auf dem Weg in die Metropole. Ohne ausreichende Flugangebote hätten die Attraktionen Berlins keine Besucher und es gäbe keine wirtschaftliche Entwicklung, glaubt Kieker von Visit Berlin. 2004 habe man sich „nicht träumen lassen“, in welchem Umfang der Billigflieger die mangelhafte Anbindung Berlins ausgleichen werde. Heute bedient die Airline ab Schönefeld und Tegel 90 Destinationen mit 35 Flugzeugen. „Mehr als Air Berlin hier je stationiert hatte“, betont Kieker.
Flughafen-Chef Engelbert Lütke Daldrup bekräftigte anlässlich des Jubiläums den Eröffnungstermin für den neuen Hauptstadtflughafen. „Wir freuen uns auf die weitere erfolgreiche Zusammenarbeit – ab Oktober 2020 am BER.“ Von dem Flughafen verspricht sich Kieker „für die Zukunft nochmals einen Wandel“ durch weitere der dringend geforderten Langstreckenverbindungen. Die gehören zwar nicht zum Portfolio von Easyjet, doch könne der Billigflieger hier als europaweiter Zubringer fungieren.
Seit dem Aus von Air Berlin bietet Easyjet auch innerdeutsche Verbindungen, startet von Tegel in Konkurrenz zur Lufthansa und deren Tochter Eurowings nach Düsseldorf, Frankfurt, Köln/Bonn, München, Stuttgart und seit dem vergangenen Wochenende auch nach Sylt. Im Sommerflugplan kommen außerdem neue Auslandsstrecken nach Danzig, Kos, Sevilla und Zadar ins Streckennetz. Auch wenn das weitere Wachstum zumindest in Tegel durch die Kapazitätsengpässe begrenzt ist, kündigte Stephan Erler für den Winterflugplan 2019/20 schon „ein bis zwei weitere interessante Ziele“ an.
Von Tegel zu Städten, ab Schönefeld in den Urlaub
Derzeit arbeitet die Airline an einer Optimierung der Flugpläne. Geplant ist, die Urlaubsziele auf Schönefeld und die Städteflüge auf Tegel zu konzentrieren. Um den auch in diesem Sommer wieder drohenden Engpässen im europäischen Luftverkehr zu begegnen, hat Easyjet die Bodenzeiten der Maschinen verlängert, um größere Puffer zu schaffen. Außerdem wurden auch in Berlin Reserveflugzeuge samt Besatzungen stationiert. So dürften auch in dieser Saison Millionen Gäste ihren Weg nach Berlin finden.
„Diese Form des Tourismus stellt unsere Kieze auch vor Herausforderungen“, erklärt Sara Lühmann, die Sprecherin des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, wo besonders viele Hostels, Clubs und Spätis feier- und trinkfreudige Fluggäste empfangen. „In einigen Stadtteilen hatte es in den vergangenen Jahren sehr viele Beschwerden von Anwohnerinnen und Anwohnern über Touristen gegeben – vor allem wegen des Lärms.“
Vor drei Jahren hatte der Bezirk daher das eigentlich zeitlich befristete Projekt „fair.kiez“ aufgesetzt, um konkrete Maßnahmen für einen „stadtverträglichen Tourismus“ zu entwickeln. Die Arbeitsgruppe veranstaltete unter anderem Versammlungen mit Anwohnern und Gastronomen, erstellte „Lärmkarten“ rund um den Simon-Dach-Kiez im Süden Friedrichshains, um die Dimension des Problems zu veranschaulichen. Konventionelle Banner und die elektronische Werbetafel an der Warschauer Brücke, dem Einfallstor vieler Easyjetsetter mit Ziel Simon-Dach-Straße und RAW-Gelände, sollten für mehr Sensibilität werben. Sprüche wie „Seid fair im Kiez, wir wohnen hier“ oder „ Habt Spaß, aber mit Respekt“ sollten für die Bedürfnisse der Anwohner werben.
Die eine Lösung gibt es nicht
Zumindest davon ist heute nicht mehr viel zu sehen. Die bisherigen Erfahrungen hätten gezeigt, dass es nicht die eine Lösung für das Problem gibt, heißt es auf der Internetseite der Arbeitsgruppe. Es sei wichtig bei Konflikten zeitnah zu reagieren und zu moderieren, aber auch Maßnahmen mit den Akteurinnen und Akteuren vor Ort zu entwickeln und umzusetzen. Die Fachämter des Bezirks für Wirtschaft, für Ordnungsangelegenheiten und für Umwelt würden sich bis heute noch regelmäßig zur „fair.kiez“-Arbeitsgruppe treffen, berichtet Bezirkssprecherin Lühmann.
Im benachbarten Neukölln, wo ebenfalls einige bei jüngeren Touristen beliebte Ausgehviertel beheimatet sind, ist man ein wenig gelassener. Bürgermeister Martin Hikel (SPD), der auch die Abteilungen für Finanzen und Wirtschaft leitet, bestätigt, dass das Engagement von Easyjet in Schönefeld in den letzten Jahren „auf jeden Fall“ Auswirkungen auf die touristische Entwicklung im Bezirk gehabt habe.
„Viele Reisende buchen direkt in Neuköllner Hotels und Hostels und nutzen somit die gute Anbindung sowohl zum Flughafen als auch in die Innenstadt mit ihren touristischen Zielen und Sehenswürdigkeiten“, erklärt er. „Viele Hotels berichten uns darüber hinaus, dass ihre Gäste vielfach tatsächlich mit den günstigen Fluganbietern in die Stadt kommen und die Übernachtungsangebote in Neukölln zu schätzen wissen.“