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Normalerweise sind die Bars im bei Touristen beliebten Simon-Dach-Kiez in Friedrichshain immer gut gefüllt.
© imago/Reiner Zensen

Existenzängste trotz Lockerungen: Wie Berliner Wirte unter dem Tourismus-Einbruch leiden

Obwohl die Sperrstunde in Berlin entfällt, kämpfen viele Gastronomen weiterhin ums Überleben. Sie leiden vor allem unter den fehlenden Touristen, die sonst den Großteil ihrer Kundschaft ausmachen.

Für Jan Bubinger ist trotz aller Lockerungen noch kein Ende der Coronakrise abzusehen. „Wir machen aktuell nur 25 Prozent des normalen Umsatzes“, sagt der Geschäftsführer der Ständigen Vertretung. Eigentlich ist das rheinische Restaurant, kurz StäV, im Herzen Berlins, direkt an der Spree, mit Blick auf den Reichstag und umgeben von zahlreichen Theatern eine Institution.

Doch mit den Theatern fängt es schon an. Berliner Ensemble, Kalkscheune, Admiral- und Friedrichstadtpalast – alles auf unabsehbare Zeit geschlossen. „Normalerweise kommen da viele Gäste nach den Veranstaltungen um 22 Uhr noch zu uns“, sagt Bubinger. Jetzt ist es um diese Uhrzeit fast leer auf der großen Terrasse. Es sind nicht die einzigen Gäste die fehlen: „Um 17 Uhr kommt niemand mehr zum After- Work-Getränk. Es sind ja alle Arbeitnehmer im Homeoffice“, sagt Bubinger. Doch am schwersten wiegt der Verlust einer Besuchergruppe: Touristen.

„Bei uns machen Touristen 80 bis 85 Prozent der Kundschaft aus“, sagt Bubinger. In den umliegenden Lokalen sei die Situation nicht besser, vor allem die internationalen Touristen würden fehlen. Normalerweise seien Mai und Juni für die StäV die umsatzstärksten Monate, jetzt wird die Terrasse trotz Abstandsregeln nicht voll. 30 Prozent seiner Belegschaft hat Bubinger weiterhin in Kurzarbeit, sieben bis zehn Saisonkräfte hat er gar nicht erst eingestellt. „Wie lange wir das durchhalten, kann ich nicht sagen. Aber irgendwann wird es eng“, sagt der Geschäftsführer. Miete, Strom, Personal und Kredite müssen weiter bezahlt werden.

Wie Bubinger geht es vielen Gastronomen, befürchtet der Berliner Dehoga- Hauptgeschäftsführer Thomas Lengfelder: „Die vielen Gastronomen und die Hotels, die vom Tourismus leben, werden noch lange an dieser Krise zu knabbern haben.“ Daran ändere auch die Aufhebung der Sperrstunde am Mittwoch nichts, wodurch Kneipen, Bars und Restaurants wieder zwischen 23 und 6 Uhr öffnen dürfen. „Das ist ein weiterer Schritt für die Gastronomie, mehr Umsatz zu machen, aber man muss ganz ehrlich sagen, nur mit den Berlinern“, sagte Lengfelder der Deutschen Presseagentur. Wer im Kiez verwurzelt sei, profitiere, insgesamt sei die Senatsentscheidung aber ein Tropfen auf den heißen Stein.

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Neben der fehlenden Kundschaft bleiben für viele Gastronomen die neuen Abstands- und Hygieneregeln das größte Problem. Die Rechnung: Je kleiner der Laden, desto weniger Gäste – und weniger Umsatz. Nicht wenige Eckkneipen haben deshalb weiterhin geschlossen, obwohl sie eigentlich seit dem 2. Juni wieder geöffnet haben dürften. 

„Wenn alles voll ist, reicht er uns ganz knapp zum Überleben“, sagt eine Angestellte in der Blechbilderbar in der Simon-Dach- Straße in Friedrichshain. Wegen Corona dürfen sie aktuell nur zwölf Tische für je vier Personen anbieten – die Hälfte der üblichen Kapazität. Die Aufhebung der Sperrstunde werden sie wohl nur am Wochenende nutzen. „Eigentlich müssten wir jetzt Reserven für den Winter aufbauen“, sagt sie. Stattdessen sei es ein Sterben auf Raten. Dabei gehe es der Blechbilderbar noch vergleichsweise gut, weil sie im Kiez verankert sei. Bei der Konkurrenz, die sich mehr auf die Party-Touristen konzentriere, seien häufig alle Tische leer.

Doch die Clubs auf dem nahen RAW-Gelände sind ebenso dicht wie viele Grenzen. „Das wird den Kiez verändern“, sagt die Angestellte, die selbst seit Jahren am Ostkreuz lebt. „Nicht unbedingt das schlimmste an Corona.“ 

Dafür verantwortlich, dass es im Partykiez ruhiger zugeht, ist Andy Hehmke (SPD). Er ist Ordnungsstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg und lässt seine knapp 40 Mitarbeiter im Außendienst aktuell schwerpunktmäßig die Beschränkungen der Eindämmungsverordnung kontrollieren. Dafür kooperiere man eng mit der Polizei. Sein Eindruck: „Für viele Leute ist Corona vorbei.“ An die Regeln würden sich immer weniger Menschen halten, nicht nur in Kneipen, sondern auch in den Grünanlagen oder an den Uferstellen im Bezirk. Für Hehmke auch ein Kommunikationsproblem: „Wir müssen den Leuten besser klar machen, dass jede Lockerung auch mit neuen Regeln verbunden ist.“

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