Lieferservices, neue Gerichte, Kochboxen: So trotzen Berliner Gastronomen den Corona-Einschränkungen
Auf gutes Essen muss man auch in der Krise nicht verzichten. Denn Restaurants wie Klub Kitchen, Standard oder Mrs. Robinson reagieren mit eigenen Lösungen.
Erst vor wenigen Wochen hatte die Gastronomie in Berlin Grund zur Freude. Mit dem „Rutz“ in der Chausseestraße wurde erstmals ein Berliner Restaurant mit drei Sternen im Guide Michelin ausgezeichnet. Inzwischen ist die gute Stimmung Vergangenheit. Mit dem Senatsbeschluss vom 17. März wurden auch den Berliner Gastronomen harte Beschränkungen auferlegt. Kneipen müssen komplett schließen, Restaurants dürfen nur noch zwischen 6 und 18 Uhr Gäste empfangen, Tische müssen im Abstand von 1,5 Metern stehen.
Viele Gastronomen stellen die Auflagen zur Eindämmung des Coronavirus vor existenzbedrohende Herausforderungen, einige haben ihre Türen bereits geschlossen. Aus Sicht von „Rutz“-Küchenchef Marco Müller hat das dramatische Auswirkungen auf die Stadt. „Berlin würde ohne Gastronomie auseinanderbrechen“, meint der Dreisternekoch.
Doch so muss es nicht kommen. Denn zahlreiche Restaurantbetreiber beweisen in der Krise Kreativität. Sie versuchen auf verschiedenen Wegen, ihre Gerichte trotz der Restriktionen anbieten zu können. So etwa das „Ernst“. Das Restaurant aus der Gerichtsstraße in Wedding fasst nur zwölf Gäste, bietet denen allerdings normalerweise ein handverlesenes Menü, bei dem das Personal viel über Anbau und Hersteller der Zutaten zu berichten weiß.
[Behalten Sie den Überblick: Corona in Ihrem Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihren Bezirk. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de]
Um diese Produzenten auch weiter zu unterstützen, bietet das Ernst nun in Corona-Zeiten Boxen an, in denen man unverarbeitet die Zutaten für die Gerichte erwerben kann. Mit Erfolg: die Boxen sind derzeit ausverkauft, ab Samstag erwartet das Restaurant neue Lieferungen. „Die Nachfrage war überwältigend“, steht auf der Instagram-Seite des „Ernst“.
Klub Kitchen startet eigenen Lieferservice
Ein anderes Beispiel ist das Restaurant „Klub Kitchen“ in der Almstadtstraße in Mitte. Normalerweise reicht die Schlange hier mittags bis auf den Fußweg, innen sitzt man eng an eng. Am Anfang der Coronakrise bot das Restaurant zunächst Lieferungen für Covid-19-Risikogruppen an. Doch was als Nachbarschaftshilfe begann, ist inzwischen zu einem eigenen Konzept geworden.
Seit dieser Woche bringen die Mitarbeiter auf Wunsch jede Bestellung ab 25 Euro innerhalb eines Zwei-Kilometer-Radius’ mit dem Fahrrad zum Kunden. Bestellt wird via Whatsapp-Nachricht, bezahlt via Paypal. Zudem verkauft das Restaurant seine Saucen und Dressings abgepackt.
Auch Liebhaber neapolitanischer Pizza kommen weiterhin auf ihre Kosten. "Standard Pizza" aus Prenzlauer Berg bietet seinen Teig an. Zwar hat wohl kaum jemand einen handgefertigten neapolitanischen Kuppelofen zu Hause, wie es im Restaurant am Teutoburger Platz der Fall ist. Aber zumindest den Teig, ein Heiligtum der Neapolitaner, kann man weiterhin kosten.
Nur ein paar Kilometer weiter, an der Pappelallee, bietet das „Mrs. Robinson“ seine Menüs ebenfalls als eine Art Kochbox an. In dieser Woche kann man beispielsweise alle Zutaten für eine „Steak Night“ zu zweit abholen oder auch für einen „Luxe Brunch“. Nur kochen muss man noch selbst.
Wieder andere Restaurants haben kurzerhand neue Gerichte kreiert, die zum Mitnehmen gedacht sind. So hat das Barra in Neukölln seit dieser Woche ein Fried Chicken Sandwich to go im Angebot. Üblicherweise gibt es hier saisonale Menüs im Abendgeschäft. Für das neue Sandwich öffnet Barra nun schon mittags. Bekannt gegeben werden solche Angebote meist auf sozialen Netzwerken wie Instagram.
Gastronomie wichtiger Wirtschaftsfaktor
Die Gastronomie ist für Berlin ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 2019 gab es knapp 10.000 Restaurants in der Stadt – Tendenz steigend. Nimmt man noch Imbisse, Kneipen und sonstiges Gastgewerbe hinzu, kommt man nach Zahlen der Industrie- und Handelskammer Berlin auf rund 20.000 Betriebe mit über 100.000 Beschäftigten. Die Umsätze waren in den vergangenen Jahren stetig steigend.
Neben der Eigeninitiative einzelner Gastronomen entwickeln sich derzeit auch mehrere Plattformen, die Restaurants helfen sollen. So sind auf der Internetseite www.supportgastro.com diverse Restaurants gelistet, zu denen jeweils Informationen hinterlegt sind, wie man deren Essen auch in Corona-Zeiten bekommen kann. Häufig können die Restaurants auch durch Gutschein-Käufe unterstützt werden, die man einlösen kann, wenn die Krise vorüber ist. „Restaurants sind das Rückgrat unserer Nachbarschaft“, heißt es auf der Seite. „Und es liegt an uns, sie während der Krise am Leben zu halten.“
Plattformen gegen die Corona-Krise
Dieselbe Idee steht auch hinter der Internetseite www.helfen.berlin. Ins Leben gerufen hat sie der Unternehmer Karsten Kossatz. Er sagt: „Mein Lieblingsrestaurant und mein Lieblingsclub gehören zu meinem Leben und ich möchte, dass es sie weiter gibt.“ Ab dem heutigen Freitag soll man auf seiner Plattform Gutscheine erwerben können. „Wer sowieso einmal wöchentlich in einem bestimmten Restaurant 50 Euro ausgibt, der kann dieses Budget dem Restaurant nun schon vorzeitig zur Verfügung stellen, damit es die Krise überlebt.“ Auf beiden Plattformen können betroffene Gewerbetreibende ihr Lokal auch selbst anmelden.
Andere Start-ups verbinden ihre Hilfsangebote mit der Hoffnung, in der Gastro-Szene Fuß zu fassen. Das Unternehmen SimplyDelivery etwa stellt Restaurants zwei Monate kostenlos seine Software zur Abwicklung von Lieferungen zur Verfügung. Das Paket aus Kassensystem, Webshop und Fahrer-App soll die Umstellung auf das Liefergeschäft vereinfachen und kann innerhalb des Probezeitraums kostenlos gekündigt werden.
Auch Lieferando, die größte Plattform für Essenslieferungen aus Restaurants in Berlin, spürt die Krise. Viele Restaurants haben sich bereits abgemeldet, weil sie schließen. Gleichzeitig verzeichne man einen „wesentlichen Anstieg“ der Anfragen von Restaurants, auch auf Lieferando gelistet zu werden.
Ein anderes Berliner Start-up profitiert von der Krise. HelloFresh, ein Unternehmen, das Kochboxen mit portionierten Zutaten verschickt, hat einen hohen Zulauf. Dessen Aktienkurs konnte allerdings kaum profitieren. Kein Wunder; die Gastronomen tun gerade alles dafür, dass HelloFresh mehr Kochboxen- und Liefer-Konkurrenz in der Hauptstadt hat als je gedacht.