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Kontrollverlust. Symptome der PMDS, eine aggressive Variante von PMS, sind Reizbarkeit und emotionale Labilität.
©  Imago

PMS: Wenn der Zyklus Achterbahn fährt

Beim Prämenstruellen Syndrom (PMS) geraten die weiblichen Geschlechtshormone aus der Balance. Darunter leiden nicht nur die betroffenen Frauen, sondern auch ihre Lebenspartner. Viele wissen gar nichts von der Störung.

Das Ende einer Beziehung kündigt sich nicht selten mit einem Gefühl der Entfremdung an, das sich gut mit der Frage beschreiben lässt: „Ist das noch der Mensch, den ich einst so geliebt habe?“ Auch Anna und Hannes (Namen geändert) fragten sich das, ihre Beziehung glich einer Achterbahn. „Es war wirklich verrückt, wir hatten Wochen, in denen alles gut lief und dann immer wieder Phasen, in denen zwischen uns alles einfach nur schiefging“, erinnert sich Hannes. Die Frau, in die er sich verliebte, beschreibt er so: überlegt, warmherzig und vor allem sehr liebevoll. Das war die Bergfahrt. Doch regelmäßig schoss der Wagen, in dem sie ja nun zu zweit saßen, hinab ins Tal. Kleinigkeiten brachten die beiden an den Rand einer Katastrophe. „Sie war wie ausgewechselt, als stünde ein anderer Mensch vor mir“, sagt der 30-Jährige.

Anna litt nicht weniger. „In mir tobte ein Gefühlschaos und das Schlimmste war, dass mich niemand verstand – ich fühlte mich alleingelassen“, sagt die 32-Jährige. Sie liebte Hannes, dann wieder spürte sie nur Kälte.

So ging es jahrelang. Was sie damals nicht wussten: Anna leidet an einer Prämenstruellen Dysphorischen Störung (PMDS). So bezeichnen Mediziner eine schwere Form des Prämenstruellen Syndroms (PMS). Schon das PMS kann für Frauen zu einem Martyrium werden: Unterleibs- und Rückenschmerzen, Spannungsschmerzen in der Brust, Wassereinlagerungen in Beinen, Händen oder Brüsten, Heißhunger bis hin zu Müdigkeit oder Kopfschmerzen.

Die kleinste Kleinigkeit kann die Frauen aus der Bahn werfen

Während sich das PMS jedoch auf körperliche Symptome beschränkt, kommen bei der PMDS psychische Leiden wie Reizbarkeit, Aggressivität, Ängste oder emotionale Labilität hinzu. „Die kleinste Kleinigkeit, wie eine traurige Filmszene, kann die Frauen total aus der Bahn werfen und zum Weinen bringen“, sagt Stephanie Krüger, Chefärztin des Zentrums für Seelische Frauengesundheit am Vivantes Humboldt Klinikum. Mitunter kann sich zur Dünnhäutigkeit auch ein gewisser Kontrollverlust gesellen. Die Stimmung kann dann schnell eskalieren – bis hin zu Handgreiflichkeiten.

„Das kann so weit gehen, dass einige unserer Patientinnen dadurch schon in Konflikt mit dem Gesetz gekommen sind“, berichtet die Psychiaterin. Partnerschaft, Familie oder Berufsleben können durch eine PMDS massiv leiden – häufig sind solche Konflikte mit der sozialen Mitwelt für betroffene Frauen auch der letzte Anstoß, professionelle Hilfe zu suchen.

Krüger hat viele Patientinnen mit der Diagnose PMDS behandelt. Oft war es für die betroffenen Frauen ein weiter Weg zu ihr. Denn nicht selten werden die Beschwerden auch von Ärzten nicht erkannt und als weibliche Stimmungsschwankungen abgetan. „Selbst in Fachkreisen sind die Diagnosen PMS und PMDS mitunter Fremdworte“, sagt Krüger. Viele betroffene Frauen finden deshalb jahrelang keine Hilfe.

Viele machen sich auch noch selbst Vorwürfe

Kontrollverlust. Symptome der PMDS, eine aggressive Variante von PMS, sind Reizbarkeit und emotionale Labilität.
Kontrollverlust. Symptome der PMDS, eine aggressive Variante von PMS, sind Reizbarkeit und emotionale Labilität.
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Und so machen sich viele von ihnen für ihr monatliches Gefühlschaos auch noch Vorwürfe – denn sie wissen zunächst oft nicht, dass ihre Beschwerden durch hormonelle Schwankungen während des Menstruationszyklus verursacht werden. „Mir fiel schon auf, dass es mir vor der Regelblutung besonders schlecht ging und ich mich regelrecht schlagartig befreit fühlte, wenn die Menstruation einsetzte“, sagt Anna. „Aber das hört man ja auch von anderen Frauen; vielleicht nicht in dem Ausmaß, aber dass dahinter eine Krankheit stecken könnte, hätte ich nicht gedacht.“

Immer wieder werden die Hormone für eine schlechte Stimmung bei Frauen verantwortlich gemacht. Nicht selten sind es Männer, die da über Frauen lästern – und meistens liegen sie damit falsch. Bei einer Prämenstruellen Dysphorischen Störung sind allerdings wirklich die weiblichen Geschlechtshormone die Übeltäter. „Während vor dem Eisprung, also in den ersten beiden Wochen des Zyklus, der Hormonhaushalt im Gleichgewicht ist, kommt es nach dem Eisprung (um den 13. Tag) zu einer relativen Östrogendominanz“, erklärt Krüger. Das heißt, während das Östrogen ganz normal vom Körper ausgeschüttet wird, bleibt der Blutspiegel des Hormons Progesteron am Boden – obwohl er nach dem Eisprung eigentlich steigen müsste. Progesteron ist, vereinfacht gesagt, bei der Regulation des weiblichen Zyklus der Gegenspieler zum Östrogen. Die Östrogendominanz entsteht also nicht durch einen Überschuss an Östrogen, sondern beruht auf einem Mangel von Progesteron. Die Folgen sind gravierend: „Die psychischen Symptome wie Reizbarkeit, Aggressivität und emotionale Labilität werden durch fehlenden Anstieg des Progesterons hervorgerufen“, sagt Krüger.

Zudem wirken die weiblichen Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron auch auf die Botenstoffe Serotonin und Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). Serotonin dämpft Aggressionen, hebt die Stimmung und sorgt für innere Gelassenheit. GABA ist der wichtigste Botenstoff für die Regulierung von Angst, innerer Unruhe und Anspannung. Experten vermuten außerdem, dass die familiäre Veranlagung und Umweltreize wie Stress die Krankheit begünstigen.

Das allmonatliche Leiden folgt also dem weiblichen Zyklus. Dadurch kann man ein PMDS eigentlich recht einfach diagnostizieren: Typischerweise setzen die Symptome mit dem Eisprung, also um den 13. Tag des weiblichen Zyklus ein und verschwinden mit dem Einsetzen der Menstruation.

Das wichtigste Instrument ist das Zyklustagebuch

„Das wohl wichtigste Instrument ist daher das Zyklustagebuch“, sagt Krüger. In diesen Kalender tragen die Patientinnen ihre Regelblutung und verschiedene Symptome wie beispielsweise Heißhunger, Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Isolationsgefühl ein. „Dieses Stimmungstagebuch sollte über drei bis vier Zyklen geführt werden, damit die Diagnose auch sicher gestellt werden kann“, so die Chefärztin. Solche PMS-Kalender können einfach im Internet als PDF heruntergeladen werden. Alternativ dazu gibt es auch zahlreiche Apps für das Smartphone, die die Daten auch übersichtlich als Grafik visualisieren können. Stiftung Warentest attestiert allerdings einigen Programmen gravierende Datenschutzprobleme.

Welcher Therapieansatz sich am besten eignet, hängt unter anderem vom Beschwerdebild, dem Alter der Patientin und nicht zuletzt ihrer Lebenssituation ab – also davon, ob sie sich beispielsweise Kinder wünscht. „Ebenfalls muss bei der Therapiewahl bedacht werden, dass es sich – zumindest bis zu den Wechseljahren – um eine chronische Krankheit handelt“, sagt Krüger. Eine Heilung ist also nicht möglich, ein Leben ohne PMDS-Symptome aber in vielen Fällen schon.

Sind die Beschwerden eher mild ausgeprägt, können schon eine spezielle Diät und Ausdauersport helfen. „In der zweiten Zyklushälfte sollten alle phytoöstrogenhaltigen Lebensmittel wie zum Beispiel Sojaprodukte oder Bier gemieden werden“, sagt Krüger. Phytoöstrogene sind natürliche, in Pflanzen vorkommende Stoffe, deren chemische Zusammensetzung dem Östrogen ähnelt und daher die Östrogendominanz noch weiter verstärken kann. Auch tierische Produkte können die hormonelle Dysbalance verschärfen, wenn sie, wie beispielsweise rotes Fleisch, sogenannte „Progesteronfresser“ sind, erklärt Krüger. Alkohol verstärkt Wassereinlagerungen im Gewebe und sollte daher bei entsprechenden Beschwerden vermieden werden.

„Zwar weiß man noch nicht genau, warum Sport gegen PMS und PMDS wirkt, Studien zeigen aber klar, dass er wirkt“, sagt Stephanie Krüger. Insbesondere Ausdauersport (Kardiotraining) wie zum Beispiel Joggen, Fahrrad fahren oder Schwimmen hilft dabei, den Hormonhaushalt in Balance zu halten. „Durch eine gezielte Ernährungsumstellung und Sport können die Symptome oft schon deutlich gemildert werden“, sagt Krüger.

Bei stärker ausgeprägten Symptomen kommen Medikamente in Betracht

Kontrollverlust. Symptome der PMDS, eine aggressive Variante von PMS, sind Reizbarkeit und emotionale Labilität.
Kontrollverlust. Symptome der PMDS, eine aggressive Variante von PMS, sind Reizbarkeit und emotionale Labilität.
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Bei stärker ausgeprägten Symptomen kommen zusätzlich verschiedene medikamentöse Behandlungen entweder mit Hormonen oder Antidepressiva infrage. „Wichtig ist, dass das, was man macht, auch im Hirn ankommt“, sagt Krüger. Gerade bei einer hormonellen Therapie sei das jedoch schwierig, da nur einige wenige Hormonpräparate die „Blut-Hirn-Schranke“ überwinden können.

„Hocheffektiv ist die durchgängige Gabe eines Kontrazeptivums, dessen Zusammensetzung den im weiblichen Körper produzierten Hormonen ähnelt“, sagt Krüger. Dafür seien jedoch nicht alle Verhütungspillen geeignet – manche könnten PMDS sogar verschlimmern. „Wenn eine geeignete Pille gefunden wurde, sollte die Einnahme im Langzyklus, also über mehrere Monate hinweg erfolgen“, so Krüger. Auf diese Weise werden der Eisprung und die damit verbundenen Hormonschwankungen unterbunden. Rund 70 bis 80 Prozent der Patientinnen könnten durch diesen Ansatz beschwerdefrei werden, sagt die Chefärztin. Allerdings kann die Patientin dann auch nicht schwanger werden.

Ein weiterer Therapieansatz ist es, Progesteron dem Körper zuzuführen, um das hormonelle Gleichgewicht wiederherzustellen. Das Hormon wird dazu vom 13. Zyklustag bis zum Eisprung verabreicht. „Die Progesterongabe ist arm an Nebenwirkungen und eignet sich insbesondere für Frauen mit Kinderwunsch“, sagt Krüger.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können das Wohlbefinden verbessern

Neben der hormonellen Therapie können auch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer das psychische Wohlbefinden verbessern. Solche Antidepressiva, die normalerweise bei Depressionen zum Einsatz kommen, sorgen dafür, dass der Botenstoff Serotonin länger im synaptischen Spalt wirken kann. „Zur Behandlung einer PMDS genügt schon eine deutlich geringere Dosis, als sie bei Depressionen oder Angsterkrankungen eingesetzt wird“, sagt Krüger. Zudem müsse das Medikament nur in der zweiten Zyklushälfte eingenommen und mit Einsetzen der Menstruation wieder ausgesetzt werden.

Seitdem Anna die Ursachen für ihre emotionalen Berg- und Talfahrten kennt, hat sich in ihrem Leben und in ihrer Beziehung vieles zum Besseren verändert. „Ich habe meine Ernährung umgestellt und mache viel mehr Sport“, sagt sie. Das hat schon viel gebracht – doch ganz verschwunden sind die Symptome nicht. „Allerdings scheue ich mich noch, Medikamente zu nehmen.“ Immerhin: Die Täler sind nicht mehr ganz so tief. Und von Zeit zu Zeit zoffen sich Anna und Hannes auch heute noch. Aber sie können damit beide gelassener umgehen. „Seitdem ich die Ursache kenne, nehme ich mir ein paar gereizte Worte von ihr nicht mehr so zu Herzen“, sagt Hannes. „Jetzt weiß ich, dass das eben auch ein Teil der Frau ist, in die ich mich verliebt habe.“

Der PMS-Kalender kann als PDF heruntergeladen werden unter www.gesundheitsinformation.de, dann „Frauengesundheit“. Die Last und die Lust der Geschlechter ist auch der Themenschwerpunkt des soeben frisch erschienenen Tagesspiegel- Gesundheitsratgebers „Frau & Mann“. In dem Magazin geht es auf 130 Seiten um Sexualität, um die Macht der Hormone, um Erkrankungen der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane und vieles mehr. Das Heft kostet 12,80 Euro (für Tagesspiegel-Abonnenten 9,80 Euro) und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop unter Telefon 29021-520, im Internet unter www.tagesspiegel.de/shop sowie im Zeitschriftenhandel.

Von Frieder Piazena

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