Die Regel: Weibliches Periodensystem
„Ebbe und Blut“: Zwei junge Frauen schreiben über die „Gezeiten“ des Menstruationszyklus.
Wie die Zeiten sich geändert haben! Im Jahr 1949 beschrieb Simone de Beauvoir in ihrem Buch „Das andere Geschlecht“, wie sehr die erste Monatsblutung junge unaufgeklärte Mädchen schockieren kann, bis hin zum Suizidversuch. Wie das „Unwohlsein“ ihr Leben von nun an verkomplizieren wird, wie die „Regel“ ihnen endgültig den Platz im „zweiten“, zweitrangigen unter den Geschlechtern zuweist. „Der Bund der Matronen hat gewonnen. Nun ist sie rettungslos unter die Frauen eingereiht.“
Die Periode als "Aufmerksamkeitsschule für Körper und Stimmung"
Heute kann man dagegen lesen, der weibliche Zyklus sei eine „Aufmerksamkeitsschule für Körper und Stimmung“ und „nicht weniger als ein Zeichen gegen den männlichen Stumpfsinn, gegen das Dahindämmern in der, den Männern eigentümlichen, hormonellen Ödnis“. Kurz: Man kann die Menstruation feiern und sich als Feministin fühlen – wie es viele Mütter mit ihren Töchtern auch tun.
Sogar ein wenig Pathos ist erlaubt, schließlich gehe es „um nichts Geringeres als die Wiege des Lebens“, schreiben Luisa Stömer und Eva Wünsch in ihrem Erstling mit dem schönen Titel „Ebbe & Blut. Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus“. Die Grafikdesignerinnen und Illustratorinnen haben aus ihrer Bachelorarbeit ein optisch höchst ansprechendes Buch gemacht. Wenn sie von der „Schönheit des Mittelschmerzes“ und der „Raffinesse der Eisprungphase“ schreiben, klingt das zwar recht vollmundig und plakativ. Doch warum sollte man nicht preisen, was so lange nur als peinlich, lästig und behindernd galt?
Wie Lego - erst wird aufgebaut, dann abgerissen
Wichtiger noch: Die Autorinnen können nicht nur toll zeichnen, sie haben auch den Rat eines Frauenarztes, einer Internistin und einer Hebamme eingeholt. „Wir wollten ein Aufklärungsbuch für Mädchen und junge Frauen schreiben, ein Buch, das Mütter ihren pubertierenden Töchtern in die Hand drücken können.“ Stömer und Wünsch machen die „Heldentaten des weiblichen Organismus“ anschaulich: Das Heranreifen der Eizelle, der Eisprung, das Absinken der Hormonpegel, der Abbau der Schleimhaut bis zu deren „Zerfließen“ in der Monatsblutung – was da passiere, sei „ein bisschen wie früher beim Lego“, meinen die Autorinnen, „wenn man den ganzen langen Nachmittag Riesenvorstädte gebaut hat, um sie abends triumphal brüllend und mit voller Hausschuhwucht zu zertreten“.
Das Stimmungstief in der zweiten Zyklushälfte, das zum „Prämenstruellen Syndrom“ (PMS) werden kann, kommt ebenso vor wie die verschiedenen Möglichkeiten der „Monatshygiene“. Auch den Verhütungsmethoden und den Wechseljahren sind Kapitel gewidmet. Letztere werden als die Zeit beschrieben, in der die Frau „sturmfrei“ hat, weil „die Kinder und die potenziellen Kinder in Form kleiner Eizellen endlich aus dem Haus“ sind.
Die Menstruation - ein biologischer Dinosaurier
So nett und einleuchtend das alles ist: Es stellt sich die Frage, ob die Autorinnen unter den Gezeiten des weiblichen Zyklus der Flut nicht eine zu große Bedeutung einräumen. Zumindest, wenn gleichzeitig die Fruchtbarkeit gefeiert wird. Während der Schwangerschaft und meist auch in der anschließenden Stillzeit setzt die Menstruation schließlich aus. Frauen, die viele Kinder bekommen, haben in ihrem Leben folglich weniger davon. Kinderlose müssen dagegen im Verlauf ihrer gesamten weiblichen Biografie mit rund 450 Monatsblutungen rechnen. Weil das langjährige zyklische Auf und Ab der Hormone das Risiko für einige Krankheiten erhöht, von Endometriose bis zu einigen Krebsarten, wurde vor einigen Jahren sogar die These vertreten, im Zeitalter der „Pille“ habe die Periode ihre Schuldigkeit getan – man könne die Kontrazeptiva nach abgeschlossener Familienplanung schließlich ohne monatliche Pause nehmen. In seinem Buch „Is menstruation obsolete?“ bezeichnete der streitbare brasilianische Hormonspezialist Elsimar Coutinho sie sogar als „biologischen Dinosaurier“.
Mit solchen Debatten schlagen die Autorinnen sich nicht herum. Sie schreiben für junge Mädchen und Frauen, die vieles im Leben noch vor sich haben – und denen sie helfen können, ihren Körper besser zu verstehen und lieber zu mögen. Für den Anfang ist das gut so. Vielleicht folgt ja ein ebenso anschaulicher Band zwei?
Luisa Stömer und Eva Wünsch: Ebbe und Blut. Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus. Gräfe und Unzer 2017, 240 Seiten, 24 €