Tagesspiegel-Debatte zum Berliner Flughafen: Welche Zukunft für Tegel?
Politiker und Experten haben am Dienstagabend in der Urania über die Zukunft des Flughafens Tegel gestritten. Zuvor demonstrierten die Gegner.
Regelmäßig schallt das Inferno auf die Ku’damm-Flaneure herab: Tegel-Fluglärm aus drei Boxen, montiert auf dem Demo-Wagen. Dahinter die Kinder aus Grundschulen in der Einflugschneise. „Tegel schließen – Ruhe genießen“, skandieren sie und schaffen es immer wieder, das Konzert aus Trommeln, Pfeifen und Fluglärm-Konserven noch zu übertönen.
Die Demo der Initiative „Tegel schließen“ vom Kranzler-Eck zur Urania ist am Dienstagnachmittag der Auftakt der zentralen Diskussion zum bevorstehenden Volksentscheid über die Zukunft von Tegel. Organisiert von Tagesspiegel und RBB, kamen mehr als 1000 Berliner, um sich die Argumente der Kontrahenten um FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop von den Grünen, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), dem CDU-Experten für Stadtentwicklung Matthias Brauner und dem Staatsrechtler Helge Sodan anzuhören, moderiert von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt und Anna Kyrieleis vom RBB. Im Saal sitzen zunächst alle friedlich beieinander – bis Sebastian Czaja vorgestellt wird: Buhrufe aus allen Reihen des großen Urania-Saals.
Applaus für Michael Müller
Genüsslich nehmen die Gäste wenig später die Aufzählung der alten Zitate von CDU-Granden entgegen, die sich einst für die Schließung des Flughafens stark gemacht hatten. Michael Müller erntet frenetischen Applaus, als er klarmacht, dass er Tegel schließen will. Auch Ramona Pop bekommt für jede Spitze gegen Czaja sofort donnernden Beifall und ein stammtischträchtiges „Richtig!“ Hohngelächter, als auch Czaja mal „über Lärmschutz reden will“. Eine Frau im weinerlichen Ton: „Wir wollen draußen leben, nicht drinnen, Mensch.“ Darauf ruft sie ein tiefer Bass zur Ordnung: „Ruhe!“
Die Tegel-Fans sind akustisch in der Minderheit
Aber auch Czaja bekommt mal Rückendeckung aus dem Publikum, als er den Unglauben äußert, dass die Verantwortlichen des BER-Desasters es hinbekommen, die Kapazitäten dort zu erweitern. Auch Pop erntet mal Kopfschütteln, als sie die Tegel-Offenhaltung mit dem Brexit vergleicht, einer Entscheidung gegen jede Vernunft und die geltende Rechtslage. Buhrufe bei den Tegelfans, die sonst akustisch in der Minderheit sind. Doch die Stimmung ist gut. Trotz allem Frust, der sich immer wieder Bahn bricht, können die Besucher über die eingespielten O-Töne flugverlärmter Berliner lachen, die sich „dran gewöhnt haben“.
Auf der Demo fielen Schmähungen wie "Volksverräter"
Draußen auf der Demo hatte es zuvor harte Argumente, aber auch Schmähungen wie „Volksverräter“ gegeben, wenn von der FDP die Rede war. Sebastian Czaja musste sich seinen Weg zur Urania durch die Demo bahnen. „Du Arschloch“ kam mehrfach aus der Ecke der Pankower Freunde um Schauspielerin Jasmin Tabatabai. Lutz Fauner, 81-jähriger Bewohner aus Spandau-Hakenfelde, nahm Czaja kurz zur Seite, um ihm zu sagen, dass es ihm leid tue, „dass er soviel Schwachsinn verbreite“. Immerhin wurde er sich mit dem FDP-Mann einig, dass ein Flughafen in Sperenberg die beste Lösung gewesen wäre. Inzwischen skandierte die Menge das böse Wort „Populist“. Czaja lächelte sich weiter seinen Weg in die Urania frei.
Tabatabai und Trittin werfen ihre Prominenz in die Debatte
Jasmin Tabatabai und Jürgen Trittin, der Grünen-Politiker, wohnen beide in Pankow, leiden unter Fluglärm und werfen ihre Prominenz in die Debatte. Die Schauspielerin redete draußen fast wie eine Profi-Politikerin, appellierte „an alle Berliner, die nicht von Fluglärm betroffen sind: Lasst euch nicht missbrauchen von Populisten, die euch vorgaukeln, dass es etwas zu entscheiden gibt.“
Trittin hatte sich einen Schlenker zum Dieselskandal ausgedacht: „Es geht darum, ob der Diesel unter den Flughäfen weiterbetrieben wird.“ Statt Air Berlin wolle nun Ryanair 300.000 Berliner zulärmen – „diese Spekulantentruppe will sich Tegel unter den Nagel reißen.“
Nur rund 300 Lärmopfer demonstrierten
Die Demo ist kleiner ausgefallen als erwartet. Rund 300 Lärmopfer aus Spandau, Reinickendorf und Pankow haben sich mit Schildern, Transparenten und Flyern ausgestattet, um nochmal ihr Thema in die Stadt zu tragen. Aribert Schmidt aus Zepernick in Brandenburg, 75 Jahre alt, ist enttäuscht. „Wenigstens 10.000 müssten kommen, verstehen die Berliner das denn nicht?“
Es sind viele Ältere gekommen – und viele Familien mit ihren Kindern, die genau verstehen, worum es hier geht. Roland Kolbe, Systemadministrator und junger Vater, hat seine Wohnung 2012 im Afrikanischen Viertel gekauft, kurz nach der geplatzten BER-Eröffnung. „Gekauft in der rechtssicheren Annahme, dass alles so kommt, wie man uns verspricht.“
Nach einer Stunde Debatte entspannt sich die Lage
Im Urania-Saal hat sich die angestaute Empörung nach einer Stunde Debatte etwas gelegt. Mit Mieten und Milieuschutz werden eher periphere Themen angeschnitten. Müller bekommt nochmal Bravorufe, Füßetrommeln und tosenden Applaus, als er von den Nachnutzungsplänen des Flughafens schwärmt.
Endlich darf auch Rechtsprofessor Helge Sodan seine Sicht erläutern. Nun wird es still im Saal, nur seine nüchterne Stimme ist zu hören. Es sei eben schon denkbar, den Landesentwicklungsplan für Berlin und Brandenburg zu ändern. Er wohne übrigens in relativ lärmfreien Zehlendorf und sei kein Politiker, könne also ganz unbefangen nachdenken. Theoretisch zumindest könne man den Landesentwicklungsplan einseitig kündigen und die Aufhebung der Betriebsgenehmigung wieder aufheben. Die anderslautenden Gutachten des Senats hält er in ihrer juristischen Relevanz für relativ schwach.
Müller droht fast abzuheben
Müller hofft, dass Tegel nicht so endet wie Tempelhof. Endlich mal keine umstrittene Nachnutzung, das will er sich nicht von der FDP kaputtmachen lassen. Wieder Bravo-Rufe im Publikum – Müller droht fast abzuheben. Nach zwei Stunden emotionaler Debatte gehen alle auseinander. Friedlich, bewegt und etwas schlauer.
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