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Die gesperrte Berliner Tauentzienstraße nach einem illegalen Autorennen.
© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

BGH-Urteil zum Ku'damm-Raser-Prozess: Warum ein Mordurteil aufgehoben wurde – und das andere nicht

Einer der Angeklagten muss erneut vor Gericht, der andere bleibt hinter Gittern - das hat der BGH entschieden. Wichtig beim Urteil: Gab es einen gemeinsamen Tatentschluss?

Der Strafprozess gegen Ku'damm-Raser Marvin N. muss vor dem Berliner Landgericht erneut beginnen. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob das Mordurteil gegen N. am Donnerstag auf und verwies die Sache zurück.

Bestand hatte hingegen das Urteil gegen den anderen Angeklagten Hamdi H., der in der Nacht zum 1. Februar 2016 die Kollision verursachte, bei der ein unbeteiligter Mann ums Leben kam. Er bleibt zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt, das Urteil gegen ihn ist damit rechtskräftig. Der BGH nahm zwar eine Korrektur am Schuldspruch vor, dies wirkte sich aber nicht weiter aus.

Bei Marvin N. hingegen sahen die Bundesrichter erneut Mängel in der Beweiswürdigung durch das Berliner Landgericht. Wie schon beim ersten Mal – der BGH hatte die Mordurteile gegen beide am 1. März 2018 schon einmal aufgehoben – war die Frage des Vorsatzes entscheidend.

Die beiden Männer hatten sich am 1. Februar 2016 über eine Strecke von etwa 1,5 Kilometern in der Berliner Innenstadt ein Autorennen mit hohen Geschwindigkeiten geliefert. Sie rasten den Kurfürstendamm entlang auf eine Kreuzung zu. Die roten Ampeln ignorierten sie.

Hamdi H. rammte mit einem Tempo von 160 bis 170 Stundenkilometern nahezu rechtwinklig den Jeep des Arztes Michael W., der aus der Nürnberger Straße bei grüner Ampel auf die Kreuzung fuhr. Der 69 Jahre alte W. wurde in seinem Wagen 25 Meter durch die Luft geschleudert und hatte keine Überlebenschance, er starb noch am Unfallort. Die Kollision verwandelte die Kreuzung in ein Trümmerfeld.

Um jeden Preis wollte Hamdi H. das Rennen gewinnen

Hamdi H. hatte bei diesem Rennen das etwas schwächer motorisierte Fahrzeug und den glühenden Ehrgeiz, das Rennen zu gewinnen – um jeden Preis. Er hatte schon zwei „Stechen“ gegen den jüngeren, stärker motorisierten Gegner verloren.

Beate Sost-Scheible, Vorsitzende des vierten Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH), verkündete das Urteil.
Beate Sost-Scheible, Vorsitzende des vierten Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH), verkündete das Urteil.
© Uli Deck/dpa Pool/dpa

Seine Fahrweise sei „bewusst hochriskant“ und in der Unfallträchtigkeit „kaum noch steigerbar“ gewesen, sagte die Vorsitzende des vierten Strafsenats, Beate Sost-Scheible, bei der Urteilsbegründung: „Die Unfallträchtigkeit der Fahrt war für den Angeklagten geradezu offensichtlich“.

Zusätzlich habe er sich aber zumindest damit abfinden müssen, dass ein Mensch sterben könnte. Mit diesem Willenselement hätte sich die Kammer des Berliner Landgerichts beschäftigt, sein Vorliegen bejaht und dies letztlich tragfähig begründet.

Der BGH stuft das Urteil des Landgerichts was Marvin N. betrifft als rechtsfehlerhaft ein

Was aber Marvin N. betrifft, so stuft der BGH das Urteil des Landgerichts als rechtsfehlerhaft ein. Auch hier ist Frage entscheidend, ob Marvin N. Vorsatz hatte, ob er also den Tod eines Menschen in Kauf nahm bei seinem Handeln, das eigentlich darauf gerichtet war, das Rennen zu gewinnen.

Nun kam es auf die Feinheiten an. Marvin N. war nämlich als Mittäter verurteilt worden. Dafür wäre rechtlich gesehen ein gemeinsamer Tatentschluss nötig gewesen, der sich nicht nur auf die Durchführung des Rennens, sondern auch auf die mögliche Tötung eines Menschen erstreckt. Es würde dafür nicht reichen, wenn N. innerlich damit einverstanden gewesen wäre, selbst jemanden zu töten, sondern er müsste auch damit einverstanden gewesen sein, dass durch H. jemand getötet wird.

Dass die Angeklagten beim Zufahren auf die Kreuzung aber ihren Plan, ein Rennen zu fahren, um die mögliche Tötung eines Menschen erweiterten, hält der Senat für fernliegend. Der Vorsatz von H. könne N. nicht zugerechnet werden.

Wenn sich das Landgericht nun nochmals mit der Sache befasst – alle Zeugen neu hören, alles nochmal aufrollen – kann es immer noch zu einer Verurteilung wegen Mordes kommen, die Richter müssen aber höchste Genauigkeit bei der Begründung wahren. Das Landgericht hatte es als reinen Zufall angesehen, dass der Jeep des Opfers zuerst von Hamdi H. gerammt wurde.

„Außerordentlich schwierige Aufgabe“ für Gerichte

Es gehe um Vorgänge, die sich in den Köpfen der Täter abspielen. Darin habe ein Tatrichter keinen Einblick. Er sei darauf angewiesen, sich seine Überzeugung vom Vorstellungsbild des Angeklagten aufgrund der äußeren Tatumstände zu verschaffen.

Bild der Verwüstung: Fahrzeugteile liegen nach dem illegalen Autorennen in der Tauentzienstraße.
Bild der Verwüstung: Fahrzeugteile liegen nach dem illegalen Autorennen in der Tauentzienstraße.
© Britta Pedersen/dpa

Sost-Scheible sprach von einer „außerordentlich schwierigen Aufgabe“ für Gerichte, solche Fälle zu entscheiden. „Wir haben es nicht mit einem klassischen Tötungsdelikt zu tun.“

Der Verteidiger von Marvin N., Enrico Boß, zeigte sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. „Menschlich sind solche Fälle Tragödien, aber die Juristerei muss sich vom Emotionen frei halten und nüchtern an die Sache herangehen“, so Boß. Er werde das Urteil jetzt in Ruhe analysieren. „Wir gehen dann in eine neue Runde.“

Raserfälle beschäftigen die Gerichte in Deutschland immer wieder. Anfang 2019 bestätigte der BGH bereits eine Verurteilung wegen Mordes in einem Fall aus Hamburg. 

Dabei handelte es sich aber nicht um ein illegales Autorennen. Der Angeklagte verursachte den tödlichen Unfall auf der Flucht vor der Polizei mit einem gestohlenen Taxi, raste ohne Rücksicht auf Verluste auf die Gegenfahrbahn und kollidierte frontal mit einem anderen Taxi, dessen Fahrer starb.

Der vierte Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) bei der Urteilsverkündung gegen die Ku'damm-Raser.
Der vierte Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) bei der Urteilsverkündung gegen die Ku'damm-Raser.
© Uli Deck/dpa

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Dieser Fall ähnelt insoweit einem weiteren Berliner Fall, der ebenfalls derzeit beim BGH liegt, nämlich die Revision des 1991 geborenen Milinko P., der im Juni 2018 auf der Flucht vor der Polizei um jeden Preis entkommen wollte und dabei die 22-jährige Berliner Studentin Johanna Hahn totfuhr. Dafür bekam er von der 40. Großen Strafkammer des Landgerichts lebenslange Haft wegen zweifachen Mordes. Zweifach deshalb, weil auch sein Beifahrer starb.

Für Raserfälle gebe es keine „fallübergreifenden Lösungen“, sagte Sost-Scheible. Es sei eine umfassende Gesamtschau aller Tatumstände erforderlich, und es komme immer auf die Umstände des Einzelfalls an.

Jeweils im Einzelfall müsse bei solchen Raserfällen vor allem entschieden werden, ob es sich um fahrlässige Tötung oder doch um Mord handelt. Die Vorsatzfrage ist hierbei der Kern. Wenn einer bei allem riskanten Verhalten darauf vertraue, dass es gutgehe, so liege kein Vorsatz vor.

Verteidiger Enrico Boß wies noch darauf hin, dass diese Raser ihre Autos lieben und sich über sie definieren würden, so dass es schwierig sei, davon auszugehen, dass sie einen Schaden an ihren Autos in Kauf nähmen – was gegen die Annahme eines Vorsatzes spreche.

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