Schlechte Bezahlung: Warum Beamte von Berlin zum Bund wechseln
Berlin verlangt seinen Beamten mehr ab als andere Bundesländer, bezahlt sie aber im Vergleich am schlechtesten. Die Folge: Vor allem junge, qualifizierte Kräfte wandern ab.
Der Abteilungsleiter machte seinem Ärger auf Twitter Luft. „ Schon wieder verliere ich eine Kollegin aus meiner Abteilung“, beklagte sich der leitende Beamte der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung kürzlich auf dem Kurznachrichtendienst. „Der Bund zahlt deutlich besser.“
Er forderte: „Berlin muss sich was einfallen lassen...“ „Tja... Unterschied mindestens eine Besoldungsstufe. Dazu Beihilfe, etc...“, antwortete ein anderer Twitter-Nutzer. Woraufhin der Abteilungsleiter zurückschrieb: „Ja, ich kann nicht mitbieten. Ministerialzulage, etc. Schon die Besoldung an sich differiert stark, null Chance...“
Eine Klage, die man in der öffentlichen Verwaltung der Stadt öfter hört. Berlin verlangt seinen Beamten mehr ab als andere Bundesländer, bezahlt sie aber im Vergleich am schlechtesten. Der Beamtenbund warnt vor den Folgen. „Wir stellen die Tendenz fest, dass Kollegen schauen, ob bei den Bundesbehörden Posten frei sind“, sagt Frank Becker, Berliner Landeschef beim Beamtenbund.
Enormer Abfluss von Kollegen
Zwar wird die Besoldung zum ersten August um drei Prozent erhöht, dennoch bleibt Berlin Schlusslicht in Deutschland. Die Erhöhung sei "nicht mehr als ein Trostpflaster. Berlin liegt weiterhin bis zu 15 Prozent hinter anderen Bundesländern und dem Bund zurück“, sagt der stellvertretende Landesbezirksvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Detlef Herrmann. „Unsere Kolleginnen und Kollegen sind mit Recht sauer und fragen sich, ob ihre Arbeit dieser Stadt denn überhaupt nichts mehr wert ist."
Auch im Justizvollzug mache sich das bemerkbar: „Jüngere Kräfte wandern nach Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern ab, weil sie dort besser bezahlt werden“, sagt Beamtenbund-Chef Becker. Zahlen gebe es bisher allerdings nicht.
Unzufrieden ist auch die Berliner Richterschaft. Es gebe einen „enormen Abfluss“ von Kollegen zu anderen Gerichten, sagt ein Verwaltungsrichter. Der Richterbund hat kürzlich darum jedes einzelne Mitglied aufgefordert, Briefe an die Abgeordneten zu schicken. Etwa 1000 Richtern müsste die Aufforderung zugegangen sein, schätzt der Vorsitzende des Berliner Landesverbands im Deutschen Richterbund, Stefan Finkel; auch die Vereinigung Berliner Staatsanwälte hat den Brief weiterverbreitet.
Der Grünen-Abgeordnete Benedikt Lux bestätigt, „sechs oder sieben“ der Briefe bekommen zu haben. „Das Anliegen ist berechtigt“, sagt Lux. „Das Verfassungsgerichtsurteil muss umgesetzt werden.“
Senat sieht das Problem ebenfalls
Denn im Mai erklärte das Bundesverfassungsgerichts die Besoldung der Richter in Sachsen-Anhalt in der Besoldungsgruppe R 1 für verfassungswidrig. Da die Berliner Richter noch fünf Prozent weniger bezahlt bekommen als die Kollegen in Sachsen-Anhalt, ist es naheliegend, dass ihre Besoldung dann ebenfalls verfassungswidrig sein dürfte.
Die Innenverwaltung prüft, welche Folgerungen das Land Berlin aus dem Urteil ziehen müsste. Das Problem der Abwanderung sieht der Senat ebenfalls. „Auch die Besoldung kann dazu beitragen, wie attraktiv ein Arbeitgeber wahrgenommen wird“, heißt es aus der Innenverwaltung. In dieser Frage habe es „nach vielen Nullrunden der Vorgängerregierung“ eine Trendumkehr unter der Großen Koalition gegeben. Im Vergleich zum Jahr 2012 werde im August 2015 die Besoldung für die Berliner Beamten um effektive zehn Prozentpunkte erhöht.
Berlin hat an vielen anderen Stellen gespart
Dem Richterbund geht das nicht weit genug. „Das ist ein Witz gegenüber den Beschlüssen anderer Länder seit dem Doppelbeschluss 2003“, sagt Stefan Finkel. „Man darf nicht vergessen, dass Berlin auch an vielen anderen Stellen gespart hat, zum Beispiel bei den Beihilfen.“ Mit dem Beschluss von 2003 über den Haushalt 2004/2005 wurden die Gehälter der Berliner Beamten eingefroren.
Da in den nächsten Jahren viele Richter in Ruhestand gehen, werde es ein Problem, genügend Leute zu finden, meint ein Richter – gegen die Konkurrenz anderer Bundesländer. Es sei denn, es tut sich was: „Bei den Lehrern hat das Land es ja auch geschafft, über Nacht eine schöne Schippe draufzulegen.“
Wie Berlin an Lehrer kommt - und was sie verdienen
Berlin wirbt für Berlin
Bei den Lehrern ist Berlin auf Pädagogen aus anderen Bundesländern angewiesen. Nur weil genügend Bewerber von außerhalb gefunden wurden, konnten im vergangenen Schuljahr alle Stellen besetzt werden. In der aktuellen Einstellungsrunde sieht es ähnlich aus.
Damit genügend Lehrer kommen, hat Berlin kräftig die Werbetrommel gerührt, besonders in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg. Die Senatsbildungsverwaltung organisiert regelmäßig einen sogenannten Berlintag, bei dem Interessenten die Vorzüge der Stadt kennenlernen sollen.
Was Lehrer in Berlin verdienen
Von den finanziellen Bedingungen her hat die Hauptstadt nicht die besten Karten: Lehrer werden hier im Gegensatz zu allen anderen Ländern außer Sachsen nicht verbeamtet und verdienen auf lange Sicht weniger. Das Einstiegsgehalt eines angestellten Berliner Lehrers kann sich jedoch sehen lassen. Es liegt bei rund 4200 Euro für Grundschullehrer und 4700 Euro für Studienräte. Verbeamtete Studienräte in Hamburg verdienen zu Anfang 3800 Euro, haben aber weniger Abzüge und werden regelmäßig hochgestuft. Die Berliner Lehrer haben dagegen keine nennenswerten Gehaltssteigerungen zu erwarten.
Woher sie kommen
Dass dennoch so viele Lehrer aus anderen Bundesländern nach Berlin gekommen sind, liegt daran, dass Angebot und Bedarf in den Ländern unterschiedlich verteilt sind. In Bayern etwa gibt es zu viele Lehrer, sodass selbst Referendare mit guten bis sehr guten Noten nicht unbedingt eine Stelle bekommen. Nach einer Modellrechnung der Kultusministerkonferenz bis 2025 gibt es in den westlichen Bundesländern in den nächsten Jahren ein Überangebot an Lehrern, in den östlichen Ländern einschließlich Berlin einen Mangel.
Und wohin sie gehen
Es gibt allerdings auch das umgekehrte Phänomen: Lehrer, die Berlin verlassen. Meistens lockt die Verbeamtung. Beliebt bei Berliner Pädagogen ist Hamburg, manche bewerben sich auch in Brandenburg und hoffen auf eine Stelle im Speckgürtel. Bitter für Berliner Schulen: Oft sind es gerade die Referendare mit den besten Noten, die gehen.
Die jahrelange Sparpolitik des Senats hat auch zu einem Sanierungsstau an öffentlichen Gebäuden und den Straßen Berlins geführt. "Lassen wir unsere Infrastruktur verrotten?", fragte einer unserer Leser. Lesen Sie hier die Antwort des Finanzsenators Matthias Kollatz-Ahnen.