Gesetz über Tarifeinheit verabschiedet: „Ein schwarzer Tag für die Grundrechte“
Nach gut fünfjähriger Lobbyarbeit der Arbeitgeber beschließt der Bundestag mit großer Mehrheit ein Gesetz, das kleinen Gewerkschaften das Leben erschwert. Ob es gegen die grundgesetzliche Koalitionsfreiheit verstößt, entscheidet sich bald in Karlsruhe.
Fünf Jahre haben die Befürworter Anlauf genommen, am Freitag dann nahmen sie mit dem Gesetz über die Tarifeinheit locker die parlamentarische Hürde. Mit der satten Mehrheit der großen Koalition – 448 Abgeordnete dafür, 126 dagegen, 16 Enthaltungen – stimmte der Bundestag dem von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegten Gesetz zu. Arbeitgeber und IG Metall applaudierten, Beamtenbund und Berufsgewerkschaften protestierten. Das Gesetz ist äußerst umstritten und verstößt womöglich gegen die grundgesetzliche Koalitionsfreiheit. In jedem Fall wird sich das Bundesverfassungsgericht in absehbarer Zeit damit befassen müssen.
Beamtenbund: "Schwarzer Tag für Grundrechte"
Von einem „schwarzen Tag für die Grundrechte“ spracht Klaus Dauderstädt, Vorsitzender des Beamtenbundes. „Die heute beschlossene Regelung verstößt gegen das Grundgesetz, zerstört den Betriebsfrieden und treibt die Gewerkschaften in Deutschland in einen harten Konkurrenzkampf.“ Einen ganz anderen Blick auf das Gesetz hat Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: „Durch die Wiederherstellung der Tarifeinheit wird Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geschaffen und einer weiteren Erosion und Zerlegung der Tarifautonomie entgegengewirkt.“
Arbeitsministerin Nahles war sowieso zufrieden und zeigte sich in der gut einstündigen Debatte im Bundestag überzeugt, dass „Koalitionsrecht und Streikrecht nicht angetastet werden“. Ob das stimmt, wird die Zukunft zeigen. Denn wegen des Gesetzes werden Arbeitskämpfe unter Umständen erschwert oder sogar unverhältnismäßig. Das entscheiden demnächst die Arbeitsgerichte.
Die Geschichte des Gesetzes beginnt 2008/09. Damals zeichnete sich ab, dass das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung ändern würde, und zwar zugunsten der Tarifpluralität und zulasten der Tarifeinheit; mehrere Gewerkschaften sollten in einem Betrieb die Möglichkeit haben, Tarifverträge abzuschließen. Das Prinzip der Tarifeinheit – ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag –, wäre aufgehoben. Lange bevor dann im Juni 2010 das Bundesarbeitsgericht endgültig entschied, vereinbarten Arbeitgeber und DGB-Gewerkschaften einen gemeinsamen Vorschlag für ein Gesetz zur Rettung der Tarifeinheit, den Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und DGB-Chef Michael Sommer der damaligen schwarz-gelben Regierung unterbreiteten. Das Argument der beiden Spitzenverbände: Wenn das Beispiel der Lokführer und Piloten Schule macht und jede Berufsgruppe ihr eigenes Tarifsüppchen kocht, dann geht die Streikrepublik Deutschland unter. Von „englischen Verhältnissen“ war die Rede, also Dauerstreiks mit dem Ergebnis der Deindustrialisierung. Die Bundeskanzlerin verstand das Argument und sagte mehrmals ein Gesetz zu – das dann aber im Regierungsgestrüpp stecken blieb.
Deal der Koalition: Mindestlohn gegen Tarifeinheit
Im Herbst 2013 kam das Vorhaben wieder auf den Tisch. Am Rande der Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD verabredeten Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter unter anderem mit Andrea Nahles und Ursula von der Leyen ein Geschäft: Die eine Seite – Gewerkschaften und SPD – bekommt den gesetzlichen Mindestlohn und die vorgezogenen Rente nach 45 Versicherungsjahren, die andere Seite – CDU und Arbeitgeber – kriegt ein Gesetz über die Tarifeinheit. Den ersten Teil der Absprache hat Nahles geliefert. Am Freitag folgte Teil zwei.
Das war eine schwere Geburt, denn nicht nur unter Juristen, auch im DGB ist das Gesetz umstritten. Mit Ach und Krach hat der neue DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann im vergangenen Jahr eine gemeinsam Stellungnahme des Dachverbandes für das Gesetz erreicht, doch mit Verdi, der NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) und der GEW (Lehrer) hat Hoffmann im eigenen Haus drei Gegner des Gesetzes, weil sie eine Einschränkung des Streikrechts befürchten.
Kern der neuen Regelung ist das Mehrheitsprinzip: Wenn es in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften gibt, die Tarifverträge für identische Beschäftigtengruppen abschließen (Tarifkollision), dann hat künftig der Tarifvertrag der größten Gewerkschaft Vorrang (Mehrheitsprinzip). Die Friedenspflicht der großen Gewerkschaft erstreckt sich dann aber auch auf die kleinere Gewerkschaft, sodass im Ergebnis die Streikfähigkeit eingeschränkt werden könnte.
Bei der Bahn gibt es Tarifkollision
Die IG Metall begrüßte am Freitag das Gesetz, weil „die Belegschaft nur per Mitgliedschaft in Gewerkschaften mehrheitlich entscheiden kann, welcher Tarifvertrag im Betrieb zur Anwendung kommt“. Nach dieser Logik dürfte es dann zu dem „harten Konkurrenzkampf“ zwischen den Gewerkschaften kommen, wie der Beamtenbund meint, da jede Gewerkschaft die Mehrheit im Betrieb haben will. In diese Richtung argumentiert auch der oberste Lokführer Claus Weselsky. Falls das Gesetz komme, so der GDL-Chef, sei er zur Expansion gezwungen.
Die jüngste Auseinandersetzung bei der Bahn fand vor dem Hintergrund des Gesetzgebungsprozesses statt. GDL und die deutliche größere Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG konkurrieren, und die Bahn will keineswegs unterschiedliche Tarifverträge für dieselbe Beschäftigtengruppe abschließen. Nachdem sich am Donnerstagmorgen Bahn und GDL auf eine Schlichtung bis zum 17. Juni verständigt hatten, blieben die Verhandlungen mit der EVG in der Nacht zum Freitag ergebnislos. Es zeichnete sich aber ein Kompromiss ab, sodass in der kommenden Woche der Tarifvertrag stehen könnte.