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Fatalismus oder Realismus? Berlins Arbeits- und Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) gab sich pessimistisch.
© imago images/Stefan Zeitz

Berlins Arbeitssenatorin Breitenbach: „Viele in Kurzarbeit werden nicht mehr auf ihren Arbeitsplatz zurückgehen können“

Berlins Arbeitssenatorin Elke Breitenbach hat im Abgeordnetenhaus bei einer Rede zur Coronakrise Pessimismus verbreitet – und die Bundesregierung kritisiert.

Von Ronja Ringelstein

Berlins Arbeitgeber und Arbeitnehmer schlittern gemeinsam ins Ungewisse. Wie sieht der Arbeitsmarkt der Hauptstadt von morgen aus? Wie viele Schulabgänger finden einen Ausbildungsplatz? Keiner weiß es, auch die Arbeits- und Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) nicht.

„Ich finde, es ist kein Manko, auch mal offen und ehrlich zu sagen: Wir haben in einer neuen Situation nicht auf alles Antworten, wir haben Fragen“, sagte Breitenbach am Donnerstag im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses.

Anlass war die Aktuelle Stunde auf Antrag der Linksfraktion unter dem Motto: „Mit Arbeits- und Sozialpolitik gegen die Auswirkungen der Krise“. Gemeinsam müsse man um „gute Lösungen ringen“, sagte Breitenbach weiter, allerdings sind davon noch nicht viele in Sicht, auch, weil das Ausmaß des Problems noch nicht bekannt ist.

Die Zahl der Arbeitslosen hat in Berlin einen Höhepunkt seit etwa fünf Jahren erreicht. Nach Angaben der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im Mai insgesamt 200.641 Berliner als arbeitslos registriert, 18.000 mehr als im April, obwohl im Frühjahr die Zahlen normalerweise sinken.

Im Mai vor einem Jahr waren es 47.210 Arbeitslose weniger, die Arbeitslosenquote ist damit in Berlin also wieder zweistellig, bei zehn Prozent. „Dramatisch“ nennt die Arbeitssenatorin diesen Anstieg.

Beschäftigte in Kurzarbeit verlieren ihre Arbeitsplätze

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeits- und den Ausbildungsmarkt seien noch nicht absehbar. „Aber wir müssen davon ausgehen, dass viele derjenigen, die jetzt in Kurzarbeit sind – und das sind sehr viele – nicht mehr auf ihren Arbeitsplatz zurückgehen können, weil sie ihn verloren haben. Damit wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen“, sagte Breitenbach. Nach Angaben der BA haben seit März 37.154 Unternehmen in Berlin Kurzarbeit für insgesamt 388.288 Mitarbeiter angezeigt.

Breitenbach kritisierte, dass die Bundesregierung Chancen vertan habe. Etwa beim Kurzarbeitergeld müsste man die Zeit nutzen, um diese Menschen in der Zwischenzeit weiter zu qualifizieren. „Wir würden gerne Beratungen zu Verfügung stellen. Ich befürchte aber, Beratung über Qualifizierung reicht nicht.“ Breitenbach hätte sich vom Bund einen Beschluss gewünscht, dass, wer sich qualifizieren lässt, auch das Kurzarbeitergeld aufgestockt bekommt.

Regierung wie Opposition wollen Jobs retten – nur wie?

Während um gemeinsame Lösungen noch gerungen wird, war man sich im Plenum bei der Problembenennung einig, in Opposition wie Koalition: Arbeitsplätze müssen irgendwie gerettet werden.

Die, die jetzt ihre Jobs verlieren, arbeiten vor allem auf dem Niedriglohnsektor, haben befristete Arbeitsverträge gehabt, die nicht verlängert wurden oder – und das ist besonders schwierig mit Blick auf den ohnehin herrschenden Fachkräftemangel – es waren Auszubildende in Betrieben, die nun nicht mehr ausbilden wollen oder können.

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Nur elf Prozent der Berliner Betriebe bildeten überhaupt aus, sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Katina Schubert. Sie forderte, dass Auszubildende, die gekündigt wurden, Hilfe vom Land bei der Suche nach einer neuen Ausbildungsstelle bekommen sollen.

Es sei wichtig, dass ausbildende Betriebe Unterstützung erhielten, wie das am Mittwochabend beschlossene Konjunkturprogramm der Bundesregierung es vorsieht. „Wir bitten die landeseigenen Betriebe und den Öffentlichen Dienst jetzt über den Bedarf hinaus auszubilden und hier ein Vorbild zu sein“, sagte Schubert. Sie forderte außerdem, dass die Förderungen von Unternehmen direkt an Bedingungen geknüpft werden müsse, wie den Erhalt von Arbeitsplätzen, „gute Arbeit“ und ökologische Nachhaltigkeit.

Die Firma Bagjack in Marzahn konnte schnell reagieren und Jobs sichern, weil sie jetzt nicht nur wie üblich Fahrradtaschen, sondern auch Schutzmasken näht.
Die Firma Bagjack in Marzahn konnte schnell reagieren und Jobs sichern, weil sie jetzt nicht nur wie üblich Fahrradtaschen, sondern auch Schutzmasken näht.
© Kitty Kleist-Heinrich

Während auch die Oppositionsführerin CDU-Fraktion, das Gebot der Stunde darin sieht, „Menschen in Ausbildung und Arbeit zu bringen“ warf ihr Wirtschaftspolitischer Sprecher, Christian Gräff, der Koalition aber vor, sich durch die massive Schuldenaufnahme gerade unsolidarisch gegenüber zukünftigen Generationen zu verhalten.

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Jede noch so gute arbeitsmarktpolitische Unterstützung werde nicht helfen, wenn nicht die Kinder zurück in Schulen und Kitas und damit die Eltern wieder zum Arbeitsplatz zurückkehren können. „Der Senat hat darauf keine Antwort. Solange Bildungssenatorin Scheeres im Amt ist, ist die SPD für das Desaster beim Homeschooling verantwortlich“, sagte Gräff. Und dafür, dass Kinder nicht gut ausgebildet und später keinen Job bekommen würden.

Befürchtung: Jobcenter sind der Aufgabe nicht gewachsen

Der Sprecher für Arbeitsmarktpolitik der FDP-Fraktion, Alexander Wieberneit, warnte, dass der Arbeitsmarkt zeitversetzt auf die schwere Krise reagiere. „Wir dürfen nicht glauben, dass die Kurzarbeit allein die Krise auffangen kann.“

Die Arbeitnehmer seien schnell und gezielt erreicht worden, aber man dürfe nicht die Unternehmen aus dem Blick verlieren, die dafür Wochen und monatelang in Vorleistung gegangen wären. „Die Kurzarbeit darf auch nicht der erste Schritt in die Arbeitslosigkeit werden“, sagte der FDP-Mann. Aber man sehe, was sich am Arbeitsmarkt zusammenbraue. Der Senat verschließe die Augen.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Derzeit sei nicht einmal die Erhöhung des Personals bei den Jobcentern geplant. „Wie viele Arbeitsplätze seit Mitte März verloren gegangen, wie viele befristete Verträge nicht verlängert wurden, will der Senat nicht ermitteln“, kritisierte der Arbeitsmarktpolitiker. Es treffe die Gastronomie, und ausgerechnet das Gesundheitswesen und die Behindertenwerkstätten besonders schwer.

Arbeitssenatorin Breitenbach teilte die Befürchtung des FDP-Abgeordneten Wieberneit, dass die Jobcenter für die Situation personell nicht ausreichend ausgelastet sind. Sie wies allerdings darauf hin, dass diese keine Landesbehörden sind und sie für deren Personal nicht zuständig sei. „Wir brauchen jetzt ein schnelles und konsequentes Hochfahren der anderen Bereiche, etwa bei der Arbeitsvermittlung, bei der Berufsberatung, bei der Jugendberufsagentur. Das sind Punkte, die zentral wichtig sind“.

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