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Made in Pankow. Derzeit baut Stadler hier U-Bahnen für das Kleinprofil.
© imago/Ulli Winkler

Milliardenauftrag für Berlins Nahverkehr: Setzt die BVG auf Billig-U-Bahnen?

Erste Details zu den neuen Zügen sind bekannt. Kritiker bemängeln unter anderem die fehlende Innovation. Doch Insider widersprechen.

Der Vorwurf ist scharf: Berlin bekommt eine „Aldi-Bahn“. Brancheninsider, die Einblick in die Ausschreibungsunterlagen hatten, behaupten das. Begründet wird das so: Die BVG hat in dieser Ausschreibung für 1500 Wagen den Preis mit 70 Prozent gewichtet, die Technik nur mit 30 Prozent. Da innovative Lösungen in der Anschaffung teuer sind, war es für die drei Bieter dieser Ausschreibung nicht sinnvoll, diese anzubieten, hieß es in Branchenkreisen. Für die Lieferung der 1060 Großprofil- und 440 Kleinprofilzüge hatten das Konsortium Siemens/Bombardier, Alstom und Stadler ein Angebot abgegeben.

Wie berichtet gewann der Schweizer Hersteller Stadler, der in Pankow bereits Züge für die U-Bahn baut. Alstom hat bei der Vergabekammer eine Rüge gegen die Ausschreibung abgegeben. Der Inhalt und die Auswirkungen sind unklar. Sollte die Rüge zurückgewiesen werden, könnte die BVG am Montag den Sieger offiziell küren. Die Frist für Einsprüche läuft am Sonntag um 24 Uhr ab. Siemens-Bombardier hat klar gemacht, dass man nicht rügen werde. Stattdessen werde das Konsortium einen Protestbrief an BVG-Chefin Sigrid Nikutta schicken, hieß es.

Erste Details zu den neuen Zügen

Klar ist: Berlin wird mit den neuen Zügen Jahrzehnte leben müssen. Dem Tagesspiegel liegen erste Details vor. Es wird für beide Netze Vier- und Zwei-Wagen-Züge geben, die sich dann kuppeln lassen. Bekanntlich können im Großprofil (U5 bis U9) Züge mit sechs (langen) Wagen fahren, im Kleinprofil (U1 bis U4) acht (kurze) Wagen. Für das Großprofil hatte die BVG zuletzt durchgehend begehbare Züge des Typs „H“ beschafft.

Das Konzept werde nicht weiter verfolgt, sagte ein Insider. Denn bei jeder Störung und bei jeder Graffiti-Schmiererei muss dann die komplette Sechs-Wagen-Einheit in die Werkstatt. Dies habe sich nicht bewährt, dieses Konzept erfordere mehr Züge für den gleichen Betrieb wie kuppelbare Züge. Im Kleinprofil (die Wagen sind schmaler) und im Großprofil kann künftig als kleinste Einheit ein Doppelwagen fahren – sinnvoll zum Beispiel auf der Stummellinie U4. Die neuen Züge werden die Bezeichnung „J“ und „JK“ für das Kleinprofil tragen.

Bei der Zahl der Türen geht die BVG im Kleinprofil wieder auf zwei zurück. Die zuletzt beschafften Züge der Serie IK hatten noch drei Türen pro Wagen. Wie ein Branchenkenner sagte, seien die Türen künftig breiter. Simulationen haben ergeben, dass der Fahrgastwechsel genau so schnell sei. Hintergrund dieser Vorgabe in der Ausschreibung: Türen kosten Geld und gehen gerne kaputt. Im Großprofil bleibt es bei drei Türen pro Wagen.

Keine Klimaanlagen in den Bahnen

Jens Wieseke vom Fahrgastverband Igeb fordert nur zwei Dinge: „Funktionierende Züge, und das möglichst schnell“. Eine Klimaanlage brauche eine U-Bahn wirklich nicht, sagte Wieseke – und unterstützt damit die BVG. Innerhalb des Siemens-Bombardier-Konsortiums war der Verzicht auf eine Klimaanlage als fahrgastfeindlich interpretiert worden. Das stimmt nicht, sagen Branchenkenner. Im Untergrund seien die Temperaturen auch ohne Klimaanlage ausgewogen, im Sommer kühl, im Winter warm. Eine Klimaanlage würde nur die Tunnelröhren und damit die Stationen aufheizen. Im Kleinprofil gebe es ohnehin keinen Platz für eine Klimaanlage, hieß es weiter.

BVG-Insider widersprechen auch einer anderen Kritik aus dem Siemens-Umfeld. In der Ausschreibung sei sehr wohl sicher gestellt, dass die künftigen Züge für den fahrerlosen Betrieb genutzt werden können. Die 1500 Wagen werden noch 2060 und auch 2070 noch fahren, da sei es selbstverständlich, dass die Option fahrerloser Betrieb nicht verbaut worden sei in der Ausschreibung, sagte ein Experte.

Berlin hinkt beim fahrerlosen Betrieb zurück

Andere Städte sind hier schon viel weiter. In Nürnberg fahren zwei der drei Linien bereits ohne Fahrer. Für die dritte Linie liefert Siemens jetzt Züge, die umgerüstet werden können. Nur im automatischen Betrieb kann der dichte Takt weiter gesteigert werden. 2008 hatte Nürnberg die erste automatische U- Bahn-Linie Deutschlands eröffnet.

Das Konsortium Siemens-Bombardier will sich nun bei BVG-Chefin Nikutta über die „katastrophale“ Ausschreibung beschweren. Die Fehler in den von der BVG zur Verfügung gestellten Unterlagen seien auch der Personalfluktuation in der BVG-Chefetage geschuldet, hieß es. Es räche sich, dass das Unternehmen seit Jahren auch keinen Technik-Vorstand mehr habe. Wie berichtet, soll es in diesem Jahr wieder einen eigenen Vorstand für „Betrieb“ geben.

Chefin Nikutta gibt dann diesen Bereich ab und übernehme stattdessen das Ressort Finanzen. Als dieser Wechsel zum Jahreswechsel bekannt wurde, hatte der Fahrgastverband Igeb dies gelobt und darauf verwiesen, dass zuletzt zahlreiche Führungskräfte abgelöst worden seien, darunter der bisherige U-Bahn-Chef.

Klar ist beiden Seiten: Für eine Ausschreibung nach EU-Regeln zählen Argumente von einst nicht mehr. Es sei unerheblich, ob „in Berlin Arbeitsplätze gesichert werden“ oder „XY beliefert uns doch bewährt seit Jahrzehnten“. Wenn die abgegebenen Angebote bewertet werden, wissen Techniker und Einkäufer nicht, welches Angebot von welchem Hersteller stammt – dieses Geheimnis kennt nur ein ganz kleiner Kreis.

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