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Sich beim Ticketkauf ungesehen an der Schlange vorbeischleichen können – das wäre praktisch.
© picture alliance / Rainer Jensen

Berlinale-Kolumne: Unsichtbar auf der Berlinale – das wär's

So ein Filmfestival bietet viel Tolles. Manchmal wünscht sich unser Autor aber eine Kappe, die ihn unsichtbar werden lässt. Eine Kolumne.

Seid Ihr alle da? „JAAAAAAAAA!“, ruft der Zoo-Palast zurück. Es gibt nichts Besseres, als in einem Kino voller johlender, trampelnder, kreischender und klatschender Kinder zu sitzen.

Die Berlinale bietet so viel Tolles: eine Weltreise in zehn Tagen, eine Tour durch Berlins schönste Kinos, keine Werbung vor den Filmen, spannende Talks mit Regisseurinnen und Schauspielern, freundliche Menschen in Warteschlangen, einen modernen digitalen Ticketverkauf – ach nee, das dann doch nicht. Das Tollste aber an der Berlinale ist: das Generationenprogramm für Kinder und Jugendliche. Hier entdeckt man Menschen, die sich noch selber entdecken. Eine Menge Tiere gibt es auch – Tiere, die nicht auf Bürgersteige pullern.

Mein Lieblingstrickfilm aus Estland handelt von den Hasen aus dem Erfinderland. Sie stellen wichtige Dinge her, etwa Limonaden-Automaten oder Marmeladen-Kaugummis. Sie haben sogar eine Tanne, an der Erdbeeren wachsen. Ich glaube, den Kids ist die Sache mit dem Klimawandel schon sehr bewusst.

Schneller verschwinden können

Ich habe Nico gefragt, was er gern erfinden will. Nico steht mit seiner Schulklasse vorm Kino und isst vor der Rückfahrt nach Buch ein Butterbrot. „Ich baue eine Maschine, die mich unsichtbar macht“, sagt Nico und zieht blinzelnd seine Wintermütze ins Gesicht. „Da findet mich beim Verstecken niemand.“

So eine Kappe hätte mir bei der Berlinale gut geholfen. Dann hätte ich in mancher Szene schneller verschwinden können: etwa beim Filmempfang einer Anwaltskanzlei, als mir eine Dame der Berliner High Society zuraunte, sie mache beim Wettbewerb der jungen Mädels, wer das schönste Dekolleté hätte, ab morgen nicht mehr mit. Oder an einer Theaterkasse, als ich einem Pärchen vor mir zehn Minuten dabei zusah, wie es sich fast darauf einigte, welche Sitzplätze es fürs Bryan-Adams-Konzert will – please forgive me, aber meine favorisierten Berlinale-Karten waren dann weg.

Unsichtbar verschwinden will ich auch bei jeder Vorführung im Friedrichstadt-Palast, bei der ausgerechnet ich immer auf dem unbequemsten Stuhl von 1895 unbequemen Stühlen sitze. Bei den DDR-Revuen mit Wasserballett kam mir hier alles größer vor. Ich war aber auch kleiner.

Ja, die Berlinale bietet so viel Tolles. Manchmal macht sie sogar das Unsichtbare sichtbar. So wie Kinder das können.

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Robert Ide, Berlin-Chef beim Tagesspiegel und großer Kino-Fan, schreibt für den Tagesspiegel jeden Tag seine neue Berlinale-Kolumne - auch auf der Titelseite. Titel: "Im Film mit Robert Ide". Er löst damit Harald Martenstein ab, der seit 1990 die Berlinale als Kolumnist begleitet hat. Hier lesen Sie Martensteins Bilanz im Tagesspiegel.

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Robert Ide

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