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Ein Demonstrant hält bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen vor der russischen Botschaft Blumen vor Polizisten.
© Christoph Soeder/dpa

Corona-Demonstration in Berlin: Unerträglich, bizarr – aber auch legitim

Versuchter Reichstagssturm und friedliche Demo: Die Anti-Corona-Proteste und ihr kruder Mix von Menschen, die eine diffuse Angst verbindet. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christian Tretbar

Manchmal sind demokratische Grundrechte schwer auszuhalten. Was sich in Berlin am Samstag versammelt hat, war an Absurdität mitunter kaum zu überbieten.

Ein Mann erklärt, er brauche keinen Mundschutz, weil ihm zweimal ein IQ von 120 attestiert worden sei. Gratulation. Andere glauben, dass Kennedy noch lebe, und seien deshalb da. Wieder andere rufen offen zum Umsturz auf und erklären, dass Frauen dann nicht mehr bei der Polizei sein würden, weil die ja zum Gebären da seien. Gottgewollt.

Impfgegner, die davor warnen, dass Menschen heimlich genetisch verändert würden. Radikale Liberale, die wirklich die Freiheit in Gefahr sehen. Rentner, die irgendwie dagegen sind – so insgesamt. Menschen, denen die Masken, die Abstandsregeln einfach zu viel sind. Menschen, die ernsthaft und begründet Zweifel haben an beschlossenen Maßnahmen. Gandhi-Fans, die für Selbstbestimmung kämpfen. Putin-Fans, die einem Autokraten huldigen, der solche Demos, die teilweise auch das System als Ganzes infrage stellen, sofort verboten hätte – ohne dass ein Gericht das Verbot wieder gekippt hätte.

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Menschen mit allen möglichen Flaggen: Deutschland, Israel, USA, Schweden, Niederlande, sogar Regenbogenflaggen. Und dann die Reichsflaggen. Womit wir bei der ganzen Bandbreite an Rechten wären. Die waren vielleicht nicht in der Mehrheit. Aber sie waren sehr offensichtlich. Reichsbürger, Neonazis, Rechtsextreme, Antisemiten, AfDler, rechte Verschwörungstheoretiker – alles dabei. Es war ein kruder Mix aus Codes und Chiffren.

Was sie vereint, ist schwer zu sagen. Würden alle wirklich miteinander ins Gespräch kommen, wären die Gemeinsamkeiten schnell aufgebraucht. Es ist wahrscheinlich eine diffuse Angst vor politischer, medizinischer und kultureller Fremdbestimmung, die sie vereint.

Demonstranten in Berlin.
Demonstranten in Berlin.
© Axel Schmidt/REUTERS

Mittendrin die Polizei. Sie musste am Ende ausbaden, was politisch vorher schiefgelaufen ist. Ein Innensenator, der die Demo verboten hat. Was natürlich sein Recht ist. Nicht jede geplante Demo muss auch stattfinden. Nur die mitgelieferte Begründung war zu wenig substanziell – behaupten gleich zwei Gerichte. Und das Ganze flankiert durch politische Einlassungen, die klarmachen, dass hier eine Demo aus politischen Gründen verboten werden sollte.

Das ist sicher angesichts der erwartbaren Regelverletzungen und der zum Teil offen zur Schau gestellten rechtsradikalen Gesinnung menschlich nachvollziehbar, aber politisch unklug.

Polizeistrategie mit wechselhaftem Erfolg

So musste die Polizei also handeln. Und das hat sie mit einer Strategie der kontrollierten Offensive getan. Erst die Aufforderung, Auflagen einzuhalten, was völlig überraschend nicht geschehen ist. Dann die Auflagen erhöht, was ebenfalls völlig überraschend nicht eingehalten wurde. Und schließlich die Auflösung des ersten Demozugs am Mittag, woran sich völlig überraschend auch niemand richtig gehalten hat. Es folgte eine vorsichtige Räumung – mit viel Diskussionen, aber ohne große Handgreiflichkeiten. Da klappte die Strategie.

Später wurde es schwieriger. Die Polizei musste hart gegen rechte Hooligans vor der russischen Botschaft vorgehen. Es gab hunderte Festnahmen. Der Innensenator sprach von "heftigen, gewalttätigen Auseinandersetzungen". Abstandsregeln, Mundschutz und sonstige Hygienemaßnahmen wurden weiter weitestgehend ignoriert.

Am Abend konnte die Polizei dann nur mit Mühe verhindern, dass der Reichstag von rechten Demonstranten gestürmt wurde. Unerträgliche Bilder.

[Versuchter Sturm auf den Reichstag: Nur drei Polizisten standen den Rechten im Weg – Politik reagiert bestürzt]

Es dürfte auch dem letzten, der einfach legitim gegen Corona-Maßnahmen protestieren will, klar gemacht haben, in welcher Gesellschaft er sich befindet. Die Polizei wurde überrascht am Reichstag und konnte einen kompletten Sturm dann aber verhältnismäßig ruhig klären.

Insofern war es eine Strategie mit wechselhaftem Erfolg.

Die Polizei nimmt den Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann in Gewahrsam bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen.
Die Polizei nimmt den Verschwörungstheoretiker Attila Hildmann in Gewahrsam bei einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen.
© Kay Nietfeld/dpa

Aber es setzt auch Maßstäbe für künftige Demonstrationen – egal von wem. Denn so konsequent, wie hier zu Recht auf die Einhaltung der Abstandsregeln und Maskenpflicht gepocht wurde, wird es auch bei anderen Aufzügen sein müssen.

Erstens, weil es richtig ist, um die Gefahr einer Infektion zu reduzieren. Und zweitens, um nicht politisch in Verruf zu geraten, dies nur bei rechten Demos oder Demos, bei denen auch Rechte mitmischen, zu tun.

Und was bleibt am Ende? Ein politisch beschädigter Innensenator. Ein Infektionsgeschehen, das man wahrscheinlich nie genau beziffern kann. Und der sichtbare Beleg dafür, dass es Menschen mit den verrücktesten und gefährlichsten Irrungen und Wirrungen gibt, die aber eben in einer Demokratie auch auf die Straße gehen dürfen. Ob aber ein Gericht nach den Erfahrungen vom Samstag noch einmal ein Verbot kippen würde, ist fraglich.

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