Gericht kippt Demo-Verbot: Polizei und Senator leisten der Radikalisierung bürgerlicher Demonstranten Vorschub
Das Verbot sei fehlerhaft und rechtswidrig. Denn es war auch politisch. Das wirft die Frage auf, ob Geisel seinem Amt gewachsen ist. Ein Kommentar.
Es sind Sätze wie diese, die Innensenator Andreas Geisel (SPD) und die Berliner Polizei deutlich in die Schranken weisen: Es liege keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, die ein Verbot der Demonstration gegen die Anti-Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern rechtfertige. So hat es das Verwaltungsgericht Berlin am Freitag entschieden.
Die für das Verbot angestellte Gefahrenprognose genüge nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das Verbot sei rechtswidrig und fehlerhaft.
Das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung nach einer Beschwerde der Polizei in zweiter Instanz. Das Versammlungsrecht ist ein hohes Gut, jegliche Einschränkung dieses elementaren Grundrechts in einer Demokratie muss gut begründet sein.
Und genau da liegt das Problem. Sicherlich mag es höchst unvernünftig erscheinen, wenn Tausende gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, absichtlich Regeln missachten, das Virus leugnen, dahinter gar eine Verschwörung wittern. Und es verwundert nicht, dass Rechtsextremisten und Antisemiten aufspringen. Unerträglich und den meisten zuwider ist das alles durchaus.
Doch jene Freude, dass der Staat endlich durchgreift und die Versammlungsfreiheit per Verbot einfach einschränkt, darf keinen Demokraten ergreifen. Obendrein gilt das Recht. Für ein Verbot reicht die von der Polizei, sicherlich nicht ohne politischen Einfluss des Innensenators, angeführte Begründung jedenfalls nicht.
Der Innensenator verfehlt seine Aufgabe
Dafür hätte sich die Behörde mehr Mühe geben müssen, befanden die Richter. Zumal der Senat selbst in seiner Eindämmungsverordnung eine Infektionsgefahr bei Versammlungen in Kauf nimmt und nicht einmal Schutzmasken vorschreibt. Und die Polizei hätte selbst überlegen müssen, wie das Infektionsrisiko durch konkrete Auflagen minimiert werden kann.
Nicht zum ersten Mal zeigt sich, wie die Polizei – hier mit Demonstrationsverboten – politisch agiert, nämlich für den SPD-Politiker Geisel. Auch als ein Aufzug von Rechten am symbolträchtigen 9. November 2018 verboten wurde, scheiterte Geisel krachend.
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Als Chef eines Verfassungsressorts hat er aber auch die Meinungsfreiheit jener zu gewährleisten, deren Ansichten ihn und andere zutiefst anwidern. Ist Andreas Geisel dem gewachsen, hat er dafür die Statur? Eher agiert er wie einer, der sich Applaus dafür abholt, auf der politisch richtigen Seite zu stehen. Doch das ist nicht seine Aufgabe in diesem Amt.
Eine noch größere Bühne für Corona-Skeptiker
Der Innensenator und die Polizei müssen sich fragen lassen, ob sie die Stimmung nicht erst recht angeheizt und der Radikalisierung auch der „bürgerlichen Klientel“ unter den Teilnehmern Vorschub geleistet haben. Am Ende sogar für deutlich mehr Zulauf und einen Solidarisierungseffekt gesorgt haben.
Und schließlich zeigt das Verbot, wie strategisch schwach und wenig weitsichtig Polizei und Innensenator aufgestellt sind. Klug agieren geht anders, etwa mit äußerst strengen Auflagen und konsequentem Einschreiten bei jeglichem Verstoß.
Ob das dann wiederum rechtswidrig ist, wäre erst später vor Gericht zu klären. Diesen Vorteil haben sie nicht genutzt, stattdessen haben Polizei und Senator den Corona-Skeptikern den Vorhang für eine noch größere Bühne geöffnet. Was für ein Desaster.