Folgen des Coronavirus für Berlin: Und plötzlich kommt die Stadt in den Ruhemodus
Berlins Senat sagt Großveranstaltungen doch ab. Amtsärzte wollen generelles Verbot. Union Berlin bestreitet Geisterspiel und das Berghain schließt.
Hinter den roten Plastikstühlen ragen Palmen in die Höhe. Ein schönes Fotomotiv an einer Betonwand, passend zum Ort. Der Raum gehört zum ehemaligen Tropen-Institut des DRK-Klinikums Westend, und vor einer anderen Wand steht Dilek Kalayci, allerdings nicht vor Palmen, sondern vor einem Plakat mit der Botschaft : „WARTEBEREICH, Bitte warten Sie, bis Sie aufgerufen werden.“
Es ist Dienstag, 8.10 Uhr, die Gesundheitssenatorin von der SPD besucht eine der sechs neuen Coronavirus-Ambulanzen in der Stadt; auf den roten Plastikstühlen sitzen die Leute, die sich testen lassen. Sekunden später sagt Kalayci, fast schon im Plauderton: „Das Bundesliga-Spiel von Union gegen Bayern München findet mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht statt.“
Sie hätte jetzt noch mehr sagen können, sie hätte auch eine Entscheidung verkünden können, die dazu führt, dass Berlin, die Vier-Millionen-Stadt, langsam in den Ruhemodus versetzt wird. Aber Dilek Kalayci redet wieder vom Gesundheitssystem und den Herausforderungen durch das Corona-Virus, Routine. Vielleicht, weil sie dem Regierenden Bürgermeister nicht die Show stellen will.
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Denn Müller sitzt neben seiner Gesundheits-Senatorin, als er wenige Stunden später im Roten Rathaus verkündet: Alle Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern werden verboten. Es ist seine Niederlage, nachdem er am Vortag das Gegenteil verkündet hatte.
Und Kalayci ergänzt: „Jetzt müssen die Bezirke dafür die allgemeinen Verfügungen auf den Weg bringen“. Wenn sie sich sträubten, werde das Land mit einer allgemeinen Verfügung vorgehen.
Den Amtsärzten der Bezirke genügt das nicht. Sie fordern in einem Schreiben an Kalayci geschlossen, alle Sport- und Kulturveranstaltungen abzusagen. Das gelte auch für Veranstaltungen in Clubs. Interessant war das Timing, mit dem Kalayci die Nachricht vom Union-Geisterspiel in der Alten Försterei mitteilte. Denn um 7.26 Uhr hatte noch das zuständige Bezirksamt Treptow-Köpenick auf Twitter in einer „Klarstellung“ verkündet, dass noch keine Entscheidung gefallen sei.
Hin und Her um Union-Spiel
Die Klarstellung bezog sich auf eine Äußerung von Union-Präsident Zingler, der am Dienstag vollmundig erklärt hatte, dass Union vor Zuschauern spielen werden. Er bezog sich dabei auf das Bezirksamt Treptow-Köpenick. Doch schon am Dienstagabend hatten sich die Verantwortlichen im Senat intern auf ein Verbot aller Großveranstaltungen mit mehr 1000 Zuschauern geeinigt.
Am Mittwochvormittag kam dann die offizielle Mitteilung des Bezirksamts: Keine Zuschauer beim Union-Spiel. Auch die Volleyballer der BR Volleys spielen am Sonntag in der Max-Schmeling-Halle ohne Zuschauer.
Im Abgeordnetenhaus sagte Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz (SPD), dass die Zahl der 81 bestätigte Infektionen durchschnittlich das 20-fache von Fällen „häuslicher Isolierung“ nach sich ziehe. Rund 1600 Berliner seien damit betroffen. Und „das wird auch so weitergehen“, weil er nicht mit einer Abebben der Epidemie rechne. Engpässe bei den Schutzausrüstungen „gibt es schon heute“ bei Krankenhäusern und der Feuerwehr und zwar selbst dann, wenn es keine weiteren Coronavirus-Fälle gäbe.
25 Millionen für den Seuchenschutz freigegeben
Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses hat am Mittwoch mit den Stimmen aller Fraktionen 25 Millionen Euro freigegeben, die für den Kampf gegen Corona in Berlin verwendet werden dürfen. Zum Beispiel für die Feuerwehr und den öffentlichen Gesundheitsdienst, für Schutzausrüstungen oder Beatmungsgeräte.
Die Lieferanten sollen schnellstmöglich „im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens ermittelt werden“, heißt es in der Vorlage der Finanzverwaltung an den Hauptausschuss.
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Auch Berlins Clubvertreter reagierten am Mittwoch auf das Verbot großer Veranstaltungen und die Risiken durch das Coronavirus. Einerseits verkündete man drastische Maßnahmen. So werden ab dem Wochenende temporär die E-Mailadressen oder Telefonnummern von Besuchern registriert. Die Clubcommission, Interessenvertretung der Berliner Clubs, empfiehlt, deren Auslastung auf 70 Prozent zu begrenzen.
Clubs bangen um ihre Existenz
Andererseits bangen viele Betreiber jetzt um ihre Existenz. „Gerade die kleinen und mittelständischen Kulturbetriebe verzeichnen bereits jetzt durch den Ausfall von Veranstaltungen und den Besucherrückgang schmerzhafte wirtschaftliche Einbußen“, erklärte Lutz Leichsenring, Pressesprecher der Clubkommission.
Internationale Künstler hätten Veranstaltungen abgesagt, zudem stornierten Konzertbesucher ihre Tickets. Das betreffe auch in hohem Maß das Tournee-Geschäft verschiedener Bands, „so dass nicht nur Clubs, sondern auch Live-Spielstätten, Labels und Bookingagenturen betroffen sind“. Die Schließung aller Clubs „von nur wenigen Wochen würde unweigerlich zur Insolvenz der meisten Clubs führen“.
Die Kommission hofft jetzt, dass es einen Rettungsfonds für die Clubs geben wird. Das Berghain hat erstmal alle Partys in seinem Räumen abgesagt. Und die BVG teilte mit, dass Fahrgäste ab sofort nur noch durch die hinteren Türen in die Busse ein- und aussteigen dürfen. So soll verhindert werden, dass sich Busfahrer anstecken.
„Nicht die Anlaufstellen besuchen“
Wer sich auf das Coronavirus testen lassen will, sollte auf keinen Fall zu den sechs Anlaufstellen für Corona-Tests an Berliner Krankenhäusern gehen. So appelliert zumindest Burkhard Ruppert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin, am Mittwoch: „Auf keinen Fall sollten Verdachtsfälle eine der aktuell sechs Abklärungsstellen aufsuchen.“
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Dort könnten sich Menschen mit dem Virus anstecken, die aktuell nicht zu den vom Robert-Koch-Institut eingeteilten Verdachtsgruppen 1 und 2 gehören. Darunter fallen Menschen mit Corona-Symptomen und/oder Kontakt zu Infizierten. „Es kann nicht sein, dass wir einerseits versuchen, mögliche infizierte Patienten aus den Praxen rauszuhalten, aber diese andererseits in die Abklärungsstellen laufen lassen. Das ist aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar“, sagte Ruppert