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Die Lackiererei des Tesla-Werkes in Grünheide ist fertig.
© Patrick Pleul/dpa

Nach brisantem Störfallgutachten: Umweltverbände fordern, Tesla keine Vorab-Erlaubnisse mehr zu erteilen

Teslas Gigafactory ist fast fertig, aber laut einem Gutachten nicht ausreichend auf Störfälle vorbereitet. Verbände fordern einen Stopp bei Vorab-Genehmigungen.

An der neuen Europa-Gigafactory von Tesla im brandenburgischen Grünheide gerät nun der von Elon Musk zuletzt angepeilte Produktionsstart Ende 2021 ins Wanken. Grund der erneut drohenden Verzögerung ist ein brisantes Störfallgutachten, das im bisherigen Genehmigungsantrag Teslas widersprüchliche, lückenhafte und mangelhafte Störfall-Szenarien beim Umgang mit gefährlichen Chemikalien in der Lackiererei des fast fertigen Werkes offenbart hat. Wenn etwas passiert, wären die Auswirkungen weitaus gefährlicher als von Tesla angegeben. Alle Mängel lassen sich nach Tagesspiegel-Recherchen abstellen.

Wegen der ungeklärten Störfallproblematik fordern der Naturschutzbund Brandenburgs, die Grüne Liga und die Bürgerinitiative Grünheide aber das Landesumweltamt auf, Tesla keine weiteren Vorab-Erlaubnisse mehr zu erteilen, mit denen der US-Konzern bisher das Werk parallel zum laufenden Genehmigungsverfahren auf eigenes Risiko errichten konnte. Das bestätigten alle Organisationen auf Anfrage. 

Aktuell prüfen die Behörden einen weiteren, den mittlerweile 15. Antrag auf eine sogenannte 8A-Erlaubnis, mit dem Tesla sich den Probebetrieb von Anlagen in der Lackiererei und des Presswerkes der Karosserie genehmigen lassen will. Davon hängt der neue Zeitplan Teslas ab, nachdem der lange angepeilte Start im Juli 2021 gecancelt werden musste.

Kürzlich war Elon Musk überraschend nach Grünheide gekommen, zu einem Arbeitsbesuch, wie es hieß. Zu diesem Zeitpunkt lag Tesla das auf den 5. Mai datierte Gutachten bereits vor.

„Nach diesem Störfallgutachten darf keine weitere Vorab-Genehmigung erteilt werden. Das wäre der Wahnsinn“, warnt etwa Michael Ganschow, Geschäftsführer der Grünen Liga. Mit dem Gutachten sei zudem klar, dass das Werk in den Anträgen Teslas in einer zu geringen Gefahrenklasse eingestuft wurde.

Im Werk könnten gefährliche Gase freigesetzt werden und Arbeiter gefährden 

„Mit dem Gutachten ist die Genehmigungsfähigkeit der Gigafactory nicht einfacher geworden, unabhängig von der Wasserproblematik“, warnt auch Oliver Kalusch, Chef des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), für den er als Störfallexperte Mitglied der deutschen Kommission für Anlagensicherheit (KAS) ist, die das Bundesumweltministerium und die Bundesregierung berät.

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Der BBU hat im Tesla-Genehmigungsverfahren in kritischen Einwendungen – eine hat Kalusch verfasst – auf Defizite bei den Störfall-Vorkehrungen in den Tesla-Anträgen hingewiesen. Das war der Grund, weshalb das Landesumweltamt von Tesla zusätzlich ein Sachverständigengutachten gefordert hat, mit dem nun im Auftrag des US-Elektrobauers die Münchener Ingenieurgesellschaft Müller-BBM die Tesla-Unterlagen auf Plausibilität checkte – mit verheerendem Ergebnis. Über das Gutachten hatten letzte Woche zuerst „Frontal 21“ und „Business Insider“ berichtet.

Diese Szenarien hat das Gutachten untersucht

Neben vielen kleineren Mängeln, Widersprüchen und fehlenden Angaben sind laut dem Müller-BBM-Gutachten die bisherigen Vorkehrungen Teslas auf Störfälle unzureichend, wären die Auswirkungen bei drei der fünf von Tesla selbst untersuchten Szenarien deutlich gravierender.

Es geht zum Beispiel darum, dass beim Entladen eines Tanklasters ein Schlauch reißt und das Kältemittel Tetrafluorpropen freigesetzt wird, das in der Lackiererei eingesetzt werden soll. Doch im Gegensatz zum bisherigen Tesla-Antrag wäre laut Gutachten dieser Störfall nicht schnell in den Griff zu bekommen.

Dieses Szenario, heißt es im Gutachten, ist „vollständig neu abzuleiten und zu betrachten“. Die Chemikalie werde nicht gasförmig freigesetzt, wie es im Antrag angegeben sei, sondern flüssig. Und damit sei „ein Lachenbrand und eine Verdampfung … mit anschließender Zündung“ möglich, also eine Explosion, was untersucht werden müsse. In der zweiten Variante breite sich „die flüssig freigesetzte Menge als Aerosol/Gasgemisch in der Umgebung aus.“

Elon Musk bei seinem Besuch auf der Baustelle im Mai.
Elon Musk bei seinem Besuch auf der Baustelle im Mai.
© Christophe Gateau/dpa

Auch bei einem weiteren Szenario, bei dem nach einem Brand dieses Kältemittels giftiger Fluorwasserstoff (bekannt als Flusssäure) freigesetzt werden könnte, sind laut Gutachter die Auswirkungen „vollständig neu abzuleiten.“

Gerügt wird auch, dass „das Schwergasverhalten des Kältemittels bei der Auswirkungsbetrachtung der Freisetzung“ nicht berücksichtigt wurde, also in der Halle eine giftige Schwergaswolke entstehen könnte.

In einem anderen Szenario, dort ging es um den Fall, dass ein Behälter mit dem Lösemittel Butylacetat ausläuft, sind laut Gutachter die Auswirkungen zu gering eingeschätzt und das Eintreffen der Werkfeuerwehr zu schnell kalkuliert. 

"Das ist ein Desaster für Tesla"

„Unsere Einwände sind durch das Gutachten zu 95 Prozent bestätigt worden“, sagt Oliver Kalusch vom Bundesverband BBU. „Es ist kein Parteigutachten. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so etwas schon einmal erlebt habe. Das ist ein Desaster für Tesla.“ Es sei gut, „dass es nach dem Seveso-Skandal in Deutschland so strenge und eindeutige Richtlinien gibt.“

Welche Konsequenzen das hat, ist noch unklar. Wie berichtet, sollen der Genehmigungsantrag für die Gigafactory in Kürze ohnehin neu ausgelegt werden, da Tesla – so hatte es Brandenburgs Umweltministerium mitgeteilt – eine nachträgliche Ergänzung um die auf dem gleichen Areal geplante Batteriezellenfabrik angekündigt hat.

„Mit dem Störfallgutachten wäre eine Neuauslegung ohnehin zwingend“, sagt Kalusch. Er geht davon aus, dass aufgrund des Gutachtens und der geplanten neuen Batteriefabrik „ein komplett neuer Genehmigungsantrag“ vorgelegt werden müsste. Es stelle sich auch die Frage, „ob es nicht eine komplett neue Umweltverträglichkeitsprüfung geben muss. Ich denke, dass das der Fall ist.“

Aus dem Gutachten ergibt sich aus Sicht der Umweltverbände auch, dass es sich bei der Gigafactory nach dem derzeitigen Planungsstand um einen Betrieb der oberen Störfallklasse handelt. „Für den ist ein gesonderter Sicherheitsbericht vorgeschrieben“, sagt Kalusch. Das heißt, dann wären die Anforderungen strenger, dann müsste Tesla „auch für Dennoch-Szenarien, also unvorhersehbare Störfälle“ nachweisen, wie „die Auswirkungen so gering wie möglich gehalten werden.“

Bürgerinitiative Grünheide droht mit Klage

Einig sind sich die Grüne Liga, der Naturschutzbund Brandenburg, der BBU und die Bürgerinitiative Grünheide darin, dass angesichts der ungeklärten Störfallproblematik auf keinen Fall eine weitere 8A-Vorabgenehmigung erteilt werden darf, schon gar nicht für einen Probebetrieb in der Lackiererei, wo mit Chemikalien gearbeitet wird.

Nabu-Landesgeschäftsführerin Christiane Schröder verweist darauf, dass nun erst Recht „eine positive Prognose für die Fabrik in einem Trinkwasserschutzgebiet sehr fraglich“ sei. „Damit dürfte es auch keine weiteren 8A-Zulassungen mehr geben, bis es entsprechende Nachbesserungen durch den Antragsteller gibt“, sagt Schröder.   

Die Bürgerinitiative Grünheide, die einige kritische Anwohner vertritt, geht noch weiter. „Schon die letzten Vorab-Erlaubnisse hätten nicht erteilt werden dürfen. Denn es war klar, dass es im Bereich Störfall ein Problem gibt“, sagt Sprecher Steffen Schorcht. „Wir prüfen juristische Schritte.“

Als das Landesumweltamt letzte Woche am Tag des Abflugs von Elon Musk die 13. Genehmigung erteilt hatte, mit der Tesla Roboter für die Endmontage der Autos in die Fabrik einbauen darf, sei das Störfallgutachten schon da gewesen. „Einen Probebetrieb in der Lackiererei zu genehmigen wäre grob fahrlässig und juristisch sehr bedenklich“, sagt Schorcht.  

Ministerium erwartet, dass Tesla die Ergebnisse "in seine Planungen" integriert

Brandenburgs Umweltministerium geht nach Auskunft von Sprecherin Frauke Zelt davon aus, dass „Tesla die Ergebnisse des Gutachtens jetzt in seine Planungen integriert.“ Bei einer Auslegung der Unterlagen zu geplanten Änderungen und der Erweiterung der Fabrik werde es mit ausgelegt. „Das Störfallgutachten war bereits vor längerer Zeit von der Genehmigungsbehörde abgefordert worden“, sagt Zelt. „Es ist gut, dass es jetzt vorliegt.“ Es sei erforderlich, „um Sicherheit in der Einschätzung der Gefährdungsklasse nach Störfallrecht zu gewinnen.“

Die Genehmigungsbehörde prüfe das Gutachten und werte es aus. Es sei „selbstverständlicher Teil von Genehmigungsverfahren, so auch beim Tesla-Vorhaben, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sowie der Beschäftigten zu gewährleisten und insbesondere auch im Gefahrstoffbereich Auswirkungen auf die Umwelt zu prüfen.“

Tesla, das seine Planungen permanent verfeinert und verbessert, arbeitet dem Vernehmen nach mit Hochdruck an der Abstellung der Mängel – und den neuen Anträgen. Musk hatte versprochen, dass die Fabrik auch bei den Umweltschutzstandards eine der modernsten der Welt sein wird.

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