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Streitpunkt Videoüberwachung. Das Aufstellen von mehr Kameras wird seit langem gefordert - ab Mittwoch auch per Unterschriftensammlung.
© dpa

Sicherheit durch Videokameras in Berlin: "Überwachung alleine ist zu wenig"

Berlin debattiert über Videoüberwachung. Der rot-rot-grüne Senat will sie auf wenige Fälle begrenzen. Ein Interview mit dem Kriminologen Claudius Ohder zur Frage, ob mehr Kameras die Sicherheit erhöhen.

Bringt mehr Videoüberwachung mehr Sicherheit? Die Gegner argumentieren, mehr Kameras verhinderten keine Straftaten. Die Befürworter setzten auf das Gegenteil, verweisen zudem auf aktuelle Fahndungserfolge dank Videoaufnahmen. Auch im Parlament wurde dies am Donnerstag heftig debattiert. Dabei ging es um den Kompromiss der rot-rot-grünen Koalition.

Der Senat will keine dauerhafte, flächendeckende Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten, stattdessen sollen mehr Kameras "mobil und temporär" zum Einsatz kommen, "wenn die Polizei eine Gefährdung vermutet".

Herr Ohder, eignet sich Videoüberwachung zur Kriminalprävention? Gibt es dazu wissenschaftliche Studien?
Ja, vor allem aus Großbritannien. Dort ist eine extrem großflächige, dauerhafte Videoüberwachung mit Millionen Kameras schon seit vielen Jahren Realität. Bei Sachbeschädigungen, Graffiti, Autoeinbrüchen in Parkhäusern oder Einbrüchen in Gebäuden kommen die meisten Studien zu folgenden Ergebnissen: Solche eher geplanten Taten gehen signifikant zurück, einzige Ausnahme sind Taschendiebstähle.

In der Regel fürchten potenzielle Täter die Beobachtung. Das bestätigen ja auch die Erfahrungen der BVG in Berlin mit ihren Kameras auf Bahnhöfen und in Zügen. Die Frage ist allerdings, inwieweit die Täter stattdessen anderswo aktiv werden, sich Kriminalität teils nur verlagert. Dazu gibt es noch zu wenig Erkenntnisse.

CLAUDIUS OHDER (62) ist Professor für Kriminologie am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement.
CLAUDIUS OHDER (62) ist Professor für Kriminologie am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement.
© Tsp

Und wie verhält es sich bei Gewalttaten gegen Menschen? Schützen Kameras vor Übergriffen, die im Affekt verübt werden?

Hier ist der Abschreckungseffekt eher gering, er bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Täter, die möglicherweise alkoholisiert und aus einer Aufwallung heraus brutal werden, haben tendenziell eine eingeschränkte Wahrnehmung. Und Terroranschläge lassen sich ohnehin durch Kameras nicht verhindern, Terroristen wollen ja Öffentlichkeit. Man sollte bei dieser Debatte auch beachten, dass Videokameras unerwünschte Nebenwirkungen haben können.

Woran denken Sie?
Die Kameras dürfen kein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das wäre fatal, weil es die Menschen dazu bringt, eigene Sicherheitsvorkehrungen zu unterlassen und eventuell nicht entschlossen genug selbst einzugreifen, falls sie selbst Zeuge eines Übergriffes sind. Gerade die soziale Kontrolle und die Zivilcourage sind ja ganz wichtig für die Kriminalprävention. Überwachung alleine ist zu wenig.

Viele Menschen gehen davon aus, dass alle Kamerabilder ständig von Leuten in Kontrollzentren beobachtet werden. Sie verlassen sich darauf, dass dort im Notfall sofort die Polizei alarmiert wird. Aber das ist längst nicht überall der Fall. Wer Videokameras anschraubt, sollte die Bevölkerung also zuvor umfassend über deren Vor- und Nachteile aufklären.

Wie stehen Sie selbst zur umstrittenen Ausweitung der Videokontrollen in Berlin?
Man muss dies entsprechend der Studienergebnisse sehr differenziert betrachten. Wo Einbrüche und Sachbeschädigungen drohen, wirken mehr Kameras fraglos präventiv. Aber auch in Zügen und auf Bahnhöfen halte ich sie für sinnvoll. Vielleicht stoppt die Furcht, durch Aufnahmen gefasst zu werden, ja doch den einen oder anderen spontanen Gewalttäter in letzter Sekunde.

Außerdem verhelfen die Kameras nachweislich zu besseren Fahndungserfolgen. Und wer festgenommen wird, schlägt angesichts eines drohenden Verfahrens möglicherweise nicht gleich wieder zu. Oder er kommt sogar in Untersuchungshaft. Aber diese Hoffnungen sollte man nicht überbewerten. Die meisten Festgenommenen werden bald wieder auf freien Fuß gesetzt.

Und was halten Sie von der besonders umstrittenen dauerhaften Überwachung von Straßen und Plätzen?
Grundsätzlich sollte man die Dinge nicht wie in Großbritannien übertreiben. Zumal in Berlin Gewaltdelikte auf offener Straße wie Raub, Körperverletzung oder Bedrohung deutlich zurückgegangen sind, bei Jugendgruppengewalt im Jahr 2015 beispielsweise um 7,5 Prozent.

Auf Straßen und Plätzen sollte man genau abwägen, was dort eventuell für eine flächendeckende dauerhafte Videoüberwachung spricht – zum Beispiel eine starke Kriminalitätsbelastung. Man muss in solchen Fällen ganz nüchtern vorgehen. Es gibt keine absoluten Lösungen. Entscheidet man sich für ein Projekt, sollte es wissenschaftlich evaluiert werden.

Reichen die bisherigen Studien nicht aus?
Um alle Folgen auszuloten, braucht es intensivere Untersuchungen. Wünschenswert wäre ein Vorhaben, das von Beginn unter etlichen Fragestellungen begleitet wird. Wie entwickeln sich die Delikte? Wie empfinden die Bürger die Kameras, wie wirken sich diese auf ihr Verhalten aus? Was verändert sich für die Polizei? Aus fachlicher Sicht finde ich es ärgerlich, wie ideologisiert stattdessen um die Videoüberwachung gerungen wird.

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