Grüne Woche in Berlin: Trinken mit Anleitung
Der Rückzug der Russen hat große Löcher auf der Grünen Woche hinterlassen: So viel Platz war dort noch nie. Und wie wird er genutzt? Vor allem für folkloristische Heiterkeit.
Was ist da bloß los? Die ersten paar Schritte über die Grüne Woche sind für den geübten Besucher ein Schock – so, als treffe man einen alten Bekannten, der radikal abgenommen hat: Ist er jetzt topfit oder todkrank? Ungewöhnlich vieles ist nicht mehr da, wo es über Jahrzehnte war, allen voran die Blumenschau, die seit Menschengedenken in der zentralen Halle 9 arrangiert wurde.
Diese Halle existiert auf dem Plan gar nicht mehr, der auch sonst das Ergebnis einer strengen Diät zeigt: Alles liegt brav nebeneinander, nur in einer einzigen Halle werden noch beide Ebenen genutzt. Und auch dort, wo sonst nie eine Lücke blieb, sperren Trennwände den Blick aus, oder das Landwirtschaftsministerium hat seine lehrreichen Tafeln hingestellt. So viel Platz war nie – das erinnert an die erste IFA nach dem Umstieg auf den Ein-Jahres-Turnus, ist aber schlimmer.
Hauptgrund dafür ist natürlich, dass die Russen, die zuletzt das südliche Messegelände dominiert hatten, sich dieses Jahr nicht melden mochten. Was nun als Ersatz auf ein paar hundert Quadratmetern rasch zusammengenagelt wurde, wirkt wie die Revanche der abgeblitzten Veranstalter: Ein fieses „Festival der russischen Traditionen“ mit viel Wodka, garniert mit Sprüchen wie „Trinken mit Anleitung“, „Ura! Ura! Uraaa!“ und russischem Diskogestampfe, das ganz ohne silberhaarige Regionalpräsidenten und ihre Begleiterinnen auskommt. Und auch ohne Volkstanzensemble.
Der Bauernhof ist eröffnet
Andererseits war der russische Auftritt immer ein Fremdkörper in der so bodenständigen Publikumsmesse, und so ließe sich positiv formulieren, dass diese wieder viel übersichtlicher geworden ist und ihr Profil als europäische Landwirtschaftsschau gefestigt hat. Vor allem anderen kommt, wie immer, Deutschland.
Die Piraten von Meckpomm feiern Wand an Wand mit badischen Spätzlekochern, und den üblichen Schnellstart legen die Bayern hin, deren ausladender Biergarten am Morgen schon besetzt ist, als die Hallen gerade erst geöffnet werden. Hier ist die Messewelt so, wie sie immer war, die Krisen haben keinen Zutritt, und wenn etwas knallt, sind es die Peitschen, die zum Ländler so folkloristisch heiter geschwungen werden, dass sie praktisch keine politische Drohung enthalten.
Zwischendurch schneidet der Tross des Eröffnungsrundgangs mit den Herren Müller und Schmidt, dem Regierenden und dem Landwirtschaftsminister. Beide haben, als sie den deutschen Erlebnisbauernhof betreten, das traditionelle Scharmützel mit protestierenden Tierschützern bereits hinter sich, es kann nur noch besser werden. Beide schneiden was Grünes durch, der Bauernhof ist eröffnet, weiter im Rundgang.
Die Pferdeschau ist zurück
Ein unverrückbarer Fixpunkt der Messehistorie auch im postrussischen Zeitalter ist die Tierhalle, in der es zugeht wie immer, mit Schafen, Ziegen, Rindern und dem Info-Stand der RBB, der Rinderbesamungsanstalt Brandenburg. Über die große Schaufläche werden zu einer Uffta-Version von „Freude, schöner Götterfunken“ gerade ein paar prämierte Kühe gezogen, das gibt Applaus, und auch die Pferdeschau ist zurück.
Hauptattraktion für die Besucher aus der Region ist wie jedes Jahr die Brandenburg-Halle, die auch diesmal wieder aussieht, als wäre sie gar nicht erst abgebaut worden. Mittendrin serviert das Polizeiorchester seine sämig swingende Blasmusik, drumherum riecht es nach Senf, Räucherwurst und Sanddorn. Blasmusik ist aber kein Vorrecht Brandenburgs, denn Niedersachsen bietet die Kapelle aus Bleckede auf, in der Bierhalle unterstreicht eine Saxophonistin im rasanten roten Kleid das 500-jährige Reinheitsgebot, und auch bei den Holländern tutet es heftig. Die haben auch allen Grund dazu, denn ihr Auftritt, wie immer eine Art Zusatz-Blumenhalle, wird von Jahr zu Jahr größer. Und ist immer schön.
Eine Gourmet-Messe ist es nicht
Die Blumenschau, zum ersten Mal in der ehemaligen Russen-Halle 2.2, zeigt quietschbunte Variationen zum Thema „Karneval in Venedig“; eingeflochten ist das „Weinwerk“, der Versuch, den allgegegenwärtigen Verkäuferkolonnen das Thema zu entreißen. Tatsächlich gibt es die gefürchtete „Wein- und Sektgalerie“ nicht mehr, das ist kein Grund zur Trauer, aber die großen Namen des deutschen Weinbaus fehlen, wie immer, komplett.
Eine Gourmet-Messe ist dies ohnehin nicht, auch wenn viele Länder gute Produkte zeigen, die Schweizer ihren Käse, die Holländer, ja, ihre Tomaten. Und am interessantesten ist immer der norwegische Stand mit gut gekochten Häppchen für ein, zwei Euro, und auch die Dänen, wohl erstmals wieder offiziell vertreten, scheinen gemerkt zu haben, dass sich im Land kulinarisch was tut.
Oder doch lieber einfachere Genüsse? Aal-Kai und Käse-Fred sind immer dabei: „Einmal für nen Zehner / damit kann uns keener“. Auch die Russen nicht.