Berliner FDP im Wahlkampf: Streiten? Wir doch nicht!
Für die FDP wird es wohl sehr knapp. Die Liberalen geben sich betont optimistisch – und fallen anders als früher durch Einigkeit auf.
Sie haben das Gefühl, dass sie es schaffen könnten. Zuversichtlich, ohne große Töne zu spucken: So ungefähr kann man die Haltung der Wahlkämpfer der Berliner FDP beschreiben. Fünf Prozent in den Umfragen, kontinuierlich seit Monaten gemessen, begründen die Zuversicht. Die großen Töne waren den Liberalen schon 2011 vergangen, als sie mit der Wucht von 1,8 Prozent der Wählerstimmen aus dem Abgeordnetenhaus katapultiert wurden.
„Demut“ habe man gelernt in der Zeit der außerparlamentarischen Opposition, sagt Sebastian Czaja gern. Der 33 Jahre alte Generalsekretär, Spitzenkandidat und Sozialsenatorenbruder ist für Überraschungen gut. Dass die FDP in scheinbarer Missachtung diverser Gerichtsurteile für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel streitet, war eine Überraschung.
Dass ein politisch ambitionierter, nachdenklicher Ex-Pirat wie Bernd Schlömer die Berliner FDP attraktiv findet und in Kreuzberg kandidiert, war eine andere. Die grellbunten Wahlplakate im Ernst-Thälmann-Helden-Look waren eine weitere. Fast vergessen ist, dass Sebastian Czaja mal in der CDU war, wie sein Bruder. Spricht man ihn heute auf den Wechsel von der CDU zur FDP an, sagt er smart und selbstironisch: „Ich habe mich entwickelt.“
Seine FDP, noch 2500 Mitglieder stark, wirkt heute wie erneuert, nicht bloß optisch. Hört man sich unter Liberalen um, fällt eine neue Einigkeit auf. Über viele Jahre hielt eine vehemente innerparteiliche Streitlust die Berliner Liberalen zusammen, es gab Lager, Flügel und eine Unkultur des boshaften Geredes übereinander. Davon ist nichts mehr zu hören.
Womöglich liegt das weniger an Czaja persönlich als am Rückzug früherer Frontmänner der FDP. Czaja hat sich indes schon früher aus gewissen persönlichen Konflikten herausgehalten. Deshalb kann er, auch wenn er von 2006 bis 2011 im Abgeordnetenhaus saß, als Mann der neuen FDP auftreten. Damals war er sport- und wissenschaftspolitischer Sprecher, heute muss er Generalist sein, Verkäufer eines Parteiprogramms, in dem die Liberalen für Tegel ebenso streiten wie für ihre schon immer sehr liberale Schulpolitik mit maximaler Eigenverantwortung der Schulen und für eine Digitalisierung der Bürokratie, die sich leicht dahinsagt, aber schwerer zu erklären ist.
Der elektronischen Akte fehlt als Wahlkampfthema jeder Reiz, aber Czaja kann eben erklären, dass es junge Unternehmer in Berlin gibt, die da Pläne und, vor allem, die passenden Programme haben. Vielleicht hat das dem Abgeordnetenhaus fünf Jahre lang gefehlt: der Ansatz, Politik nicht bloß mit immer mehr und immer neuen Vorschriften zu machen.
Wohl deshalb sind die Liberalen zufrieden mit ihrem Vormann wie mit ihrem Wahlkampf. Quer durch die Stadt heißt es, Czaja mache einen guten Job, er sei eloquent und motiviert und arbeite „ein unglaubliches Pensum“ ab. Offenbar schafft er es, mögliche jüngere Wähler ebenso anzusprechen wie ältere bürgerliche Wähler, die 2011 für die damals kraftvoll wirkende CDU stimmten.
In der Grünen-Metropole Friedrichshain-Kreuzberg erleben FDP-Wahlkämpfer eine unbekannte und unerwartete Großzügigkeit von Kleinspendern. Leute überweisen zehn, zwanzig oder fünfzig Euro – und es sind so viele, dass die Liberalen um Schlömer und den Bezirksvorsitzenden Richard Siebenhaar Plakate nachdrucken und mehr Präsenz zeigen können.
In Friedrichshain-Kreuzberg tritt Marlene Heihsel für die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) an, eine 27 Jahre alte Historikerin. Maren Jasper-Winter, Spitzenkandidatin der FDP-Mitte, ist Jahrgang 1977 – „endlich, endlich“, sagt ein Langstrecken-Liberaler, löse sich die Partei von Ritualen, „junge Leute geben den Ton an“. Maren Jasper-Winter hat in ihrem Wahlkreis einen Pop-up-store eingerichtet, in dem diskutiert und gestritten werden kann.
Ein Langstreckenliberaler sagt, man werde nicht mehr angesprochen auf die Politsünden der Vergangenheit, auf das steuerliche Entgegenkommen für Hoteliers oder den Abgang ausgerechnet des Entwicklungshilfe-Ministers Dirk Niebel zum Rüstungsunternehmen „Rheinmetall“. Wenn man denn irgendetwas bedenklich finden könne, so der Langstreckenliberale, dann sei es so etwas wie ein Jugendlichkeitsrausch in einer Rentnergesellschaft.
Immerhin sind der Berliner FDP Politikerinnen wie Mieke Senftleben erhalten geblieben, wenn auch nicht als Kandidatinnen für das Abgeordnetenhaus. Die Fachfrau für Schul- und Bildungspolitik will in ihrem Heimatbezirk Reinickendorf in die BVV. Die 63 Jahre alte Lehrerin fühlt sich an den Wahlkampf vor fünf Jahren erinnert: Damals guckten alle auf die Piraten, heute guckten alle auf die AfD. Sie habe „das Gefühl, dass wir ein bisschen zu kurz kommen“.