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Berliner Corona-Statistik: Stärkstes Infektionsgeschehen erstmals bei den 15- bis 19-Jährigen

Corona trifft verstärkt auch Jugendliche unter 20 Jahren. Der Debatte um die Schulen gibt das Auftrieb. Ärzte warnen jedoch vor den Folgen des Homeschoolings.

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In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen ist erstmals die größte Häufigkeit von Corona-Infektionen festgestellt worden. Sie übertrifft demnach bei der so genannten Sieben-Tage-Inzidenz die zuvor an der ersten Stelle stehenden 20- bis 24-Jährigen. Damit ist nun auch eine zum Teil noch schulpflichtige Altersgruppe stärker in den Fokus gerückt. Das belegt der aktuelle Lagebericht des Landesamtes für Gesundheit und Soziales.

Allerdings sind die Infektionszahlen bei den Jüngeren wesentlich kleiner. Zum Vergleich: Die Inzidenz liegt berlinweit bei 189 pro 100.000 Einwohner, bei den 15- bis 19-Jährigen bei 312, bei den Zehn- bis 14-Jährigen bei 161 und bei den jüngeren Schülern zwischen fünf und neun Jahren bei 90.

In Bezug auf die große Häufigkeit bei den 15- bis 19-Jährigen sagte der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid dem Tagesspiegel am Dienstag im Hinblick auf den Schulalltag: „Wir sind minder beunruhigt. Die Inzidenz entwickelt sich in den Altersgruppen eher außerhalb der Schule, wo die Kontakte nicht so strukturiert sind.“

Für den Amtsarzt sind die jetzigen Inzidenzzahlen daher kein Grund, um der Lehrergewerkschaft GEW zu folgen, die fordert, die Hälfte der Schüler zu Hause zu beschulen, um mehr Abstand in kleineren Lerngruppen zu erzeugen. 

Reichen Maske und Abstand? Einigen geht das nicht weit genug.
Reichen Maske und Abstand? Einigen geht das nicht weit genug.
© Jonas Güttler/dpa

Das sei eher „kontraproduktiv“, meint Larscheid. Im Übrigen seien die Zahlen sehr schwankend, weshalb man die jetzige Spitzenstellung der 15- bis 19-Jährigen nicht überbewerten solle. Das könne sich rasch wieder ändern, erwartet der Amtsarzt.

Gewerkschaft will Unterricht zu Hause und im Klassenraum mischen

Die GEW hatte wegen steigender Infektionszahlen vergangene Woche vorgeschlagen, die Lerngruppen zu halbieren und zur Kombination aus Unterricht in der Schule und zu Hause zurückzukehren, wie es ihn in Berlin vor den Sommerferien gegeben hatte. Dies ist bisher nur vorgesehen, wenn die Gesundheitsämter und die Schulaufsichten alle Schulen in die höchste Gefahrenstufe des Berliner Stufenplanes einordnen.

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Dies gilt bislang für drei Schulen. Darunter sind zwei Berufsschulen, deren Schüler im Gesundheitsbereich eingesetzt werden und daher besonders vorsichtig sein müssen. Bei der dritten Schule handelt es sich um die Reinickendorfer Renée-Sintenis-Schule. Sie war komplett in Quarantäne geschickt worden, nachdem eine inzwischen positiv getestete Mitarbeiterin eine Woche lang trotz Erkältungssymptomen in der Schule gewesen war. Im ganzen Bezirk Reinickendorf sind die Infektionszahlen überdurchschnittlich gestiegen.

GEW-Chef Tom Erdmann hatte seine Forderung nach halbierten Lerngruppen damit begründet, dass aus den Schulen „vermehrt Hilferufe“ kämen. Die Lehrkräfte fühlten sich an ihrem Arbeitsort nicht ausreichend vor möglichen Ansteckungen mit dem Coronavirus geschützt.

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Landeselternsprecher Norman Heise schließt sich dieser Forderung nicht ausschließlich an. Man solle nicht nur auf die hören, „die am lautesten rufen“, sagte er auf Anfrage. Viele Familien kämen „in Schieflage“, wenn abermals die Kinder zu Hause betreut werden müssten. Viele Eltern gehörten keiner Berufsgruppe an, die einen Anspruch auf Notbetreuung hätten.

Kinderärzte warnen vor erneuten Schulschließungen

Amtsarzt Larscheid verwies zudem auf die Erfahrungen des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes, der vieles, was sich in den Familien abspiele, nur deshalb erfahre, weil er Hinweise aus den Schulen bekomme. Wie berichtet, hatten auch die Berliner Kinderärzte dringend davor gewarnt, die Schulen ganz oder teilweise zu schließen: Sie berichten von großen Problemen infolge der Schulschließungen im Frühjahr. Kinder hätten verstärkt Sprachdefizite, es sei auch zu massiven Gewichtszunahmen gekommen. Zudem wurde von vermehrten Fällen häuslicher Gewalt gesprochen.

Dennoch werden auch aus der Schülerschaft die Stimmen lauter, die den Unterricht zu Hause ausweiten wollen. Landesschülersprecher Richard Gamp macht sich dafür stark, Schulen „nicht um jeden Preis offen zu halten und auch neue Wege für sicheren, fortschrittlichen Unterricht zu gehen“. Am Dienstagabend wollte Gamp seine Vorschläge im Landesschülerausschuss zur Diskussion stellen. Der Landesschülersprecher regt an, ab der neunten Klasse zwei bis drei Tage pro Woche zu Hause und an den jeweils anderen Tagen in geteilten Klassen in der Schule zu lernen.

Gamp, Heise, Larscheid sowie der GEW-Vorstand und Ralf Treptow von der Vereinigung der Oberstudiendirektoren werden am Mittwoch Gelegenheit haben, ihre Sichtweisen dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses dazulegen: Er lädt zu einer Anhörung zum Stufenplan.

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