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Reichen Maske und Abstand? Einigen geht das nicht weit genug.
© Jonas Güttler/dpa

Sorge vor Corona-Infektion: Müssen Berlins Schulen jetzt auf digitalen Unterricht umstellen?

An Berlins Schulen steigt die Zahl der Corona-Fälle. Die Gewerkschaft GEW und der Landesschülersprecher schlagen Alarm: Sie fordern mehr Homeschooling.

Angesichts der steigenden Infektionszahlen in der Corona-Pandemie ist in Berlin eine neue Debatte über Präsenzunterricht und Homeschooling entbrannt. Es geht um den richtigen Weg, mit dem sich komplette Schulschließungen verhindern lassen, eine geeignete Mischung aus beiden Unterrichtsformen – und Sorgen von Lehrerinnen und Lehrern vor einer Ansteckung im Dienst.

Die Bildungsgewerkschaft GEW forderte am Freitag, den Regelunterricht an Berliner Schulen in seiner derzeitigen Form zu beenden. Der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann sprach sich dafür aus, die Lerngruppen zu halbieren und zur Kombination aus Unterricht in der Schule und zu Hause zurückzukehren, wie es ihn in Berlin vor den Sommerferien gegeben hatte.

Die Forderung bedeutet letztlich: Alle Schulen sollen gemäß dem Berliner Stufenplan auf die höchste Stufe Rot gesetzt werden. Aus den Schulen gebe es vermehrt Hilferufe, sagte Erdmann. Die Lehrkräfte fühlten sich an ihrem Arbeitsort nicht ausreichend vor möglichen Ansteckungen mit dem Coronavirus geschützt.

Ein ähnlicher Vorstoß wie von der Lehrer-Gewerkschaft kam aus der Schülerschaft. Landesschülersprecher Richard Gamp verbreitete bereits am Donnerstag ein Positionspapier, mit dem er für ein energischeres Vorgehen plädierte – gerade um vollständige Schulschließungen in Zukunft zu vermeiden.

Schülersprecher: Mehr Mut zum Homeschooling

"Ich setze mich stark dafür ein, Schulen nicht um jeden Preis offen zu halten und auch neue Wege für sicheren, fortschrittlichen Unterricht zu gehen", schrieb Gamp, der für 350.000 Schülerinnen und Schüler in Berlin spricht. Er forderte "mehr politischen Mut", erprobte Unterrichtsformate auch einzusetzen. Es sei jedoch "unvorteilhaft", wenn das unkoordiniert und im ständigen Wechsel geschehe wie derzeit, wenn mitunter ganze Klassen plötzlich in Quarantäne geschickt würden.

Will entschiedener vorgehen: Landesschülersprecher Richard Gamp.
Will entschiedener vorgehen: Landesschülersprecher Richard Gamp.
© Doris Spiekermann-Klaas

Gamp regte an, ab der neunten Klasse zwei bis drei Tage pro Woche im Homeschooling und an den jeweils anderen Tagen in geteilten Klassen in der Schule zu unterrichten. Dadurch würden auch Infektionsrisiken auf dem Schulweg verringert, außerdem die Einhaltung des Mindestabstands in den Klassen erleichtert. "In den oberen Klassenstufen besteht sowieso bereits ein großer Teil des Unterrichts aus Aufgabenbearbeitung in Einzelarbeit", erklärte Gamp. Dies könne auch gut zu Hause erledigt werden, Lehrkräfte könnten per Videochat für Fragen zur Verfügung stehen.

Zurückhaltung bei Schulleitungen und Elternschaft

Nicht alle wollen dem Wunsch nach geteiltem Unterricht folgen. Astrid-Sabine Busse vom Interessenverband Berliner Schulleitungen sagte am Freitag, sie sei dafür, die Schulen so lange wie möglich im Regelbetrieb laufen zu lassen. Auch für den Vorsitzenden des Landeselternausschusses, Norman Heise, gibt es derzeit keinen Grund, die Schülerinnen und Schüler teilweise wieder zu Hause zu unterrichten. Solche Forderungen kämen auch nicht aus den Bezirkselternausschüssen und dem Landeselternausschuss. Allerdings würden sich einzelne Eltern durchaus in dieser Weise zu Wort melden.

Spricht für Berlins Schulleitungen: Astrid-Sabine Busse.
Spricht für Berlins Schulleitungen: Astrid-Sabine Busse.
© Frank Bachner

Frank Rudolph, Sprecher des Philologenverbandes Berlin/Brandenburg, sagte, es sei klar, dass die Probleme an den Schulen größer würden. Der Philologenverband sei aber dagegen, den Regelunterricht generell zu beenden, und dafür, dass die Schulleitungen entsprechend entscheiden können sollten.

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Ein Sprecher der Bildungsverwaltung sagte, derzeit sei die Situation an den Schulen keineswegs so, dass der Präsenzunterricht ausgesetzt werden sollte. „Schulen sind keine Hotspots, sagen auch die Amtsärzte. Nach der gestern Nachmittag erfolgten Einstufung laut Stufenplan sind viele Schulen sogar eine Stufe runtergestuft worden.“ So habe beispielsweise das Gesundheitsamt in Treptow-Köpenick fast 40 Schulen auf Grün gesetzt, was Regelbetrieb bedeute. „Wir wollen vermeiden, dass Kinder und Jugendliche den Anschluss verlieren.“

GEW: „Infektionen werden billigend in Kauf genommen“

Der GEW-Vorsitzende Erdmann hält dem entgegen, an keinem anderen Ort begegneten sich aktuell so viele Menschen in geschlossenen Räumen ohne Abstand und in den meisten Fällen ohne Masken wie in der Schule. „Die Beschäftigten in den Schulen haben den Eindruck, dass Infektionen an den Schulen billigend in Kauf genommen werden.“

Das Recht auf Bildung sei ein hohes Gut, sagte Erdmann. „Aber wir dürfen die Schulen nicht auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten und der Schülerinnen und Schüler im Regelbetrieb halten.“ Das werde zunehmend zu einem unkalkulierbaren Risiko.

Berlin regelt Unterricht nach Corona-Stufenplan

Seit dem Ende der Herbstferien gilt für die Berliner Schulen ein Corona-Stufenplan. Er legt fest, welche Einschränkungen und Maßnahmen bei einer weiteren Zunahme der Infektionszahlen vorgesehen sind. Dabei wird zwischen vier farblich differenzierten Stufen unterschieden.

Grün steht für den üblichen Regelunterricht bei geringem Infektionsgeschehen, Gelb und Orange für Regelunterricht mit unterschiedlich verstärkten Hygienevorkehrungen. Erst die Stufe Rot bedeutet laut Bildungsverwaltung, dass bei hohen Infektionszahlen kein Regelunterricht mehr stattfindet, sondern eine Kombination aus schulisch angeleitetem Lernen zu Hause und Präsenzunterricht.

365 Lerngruppen geschlossen, drei Schulen auf Stufe Rot

In Berlin sind derzeit 365 Lerngruppen wegen Corona-Infektionen geschlossen. Das gab die Senatsbildungsverwaltung in ihrer aktuellen Corona-Statistik bekannt. Gemeint sind vor allem Klassen und Kurse. 326 Gruppen stammen aus Grundschulen, weiterführenden Schulen oder Förderschulen, die meisten in Reinickendorf (63), Neukölln (55) und und Tempelhof-Schöneberg (42). 39 Gruppen befinden sich an beruflichen Schulen - 15 davon in Marzahn-Hellersdorf.

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744 Schülerinnen und Schüler (Vorwoche: 530) sowie 221 Beschäftigte (Vorwoche: 170) wurden positiv getestet. Vor den Herbstferien waren es 250 Schülerinnen und Schüler sowie 50 Lehrkräfte.

Nach dem Stufenplan fallen 586 Schulen in die Kategorie Gelb, 153 in die Stufe Orange und drei in die Stufe Rot - eine Grundschule in Reinickendorf und je eine berufliche Schule in Mitte und Marzahn-Hellersdorf, wo es eben 15 geschlossene Lerngruppen gibt. Nur 47 Schulen werden unter Grün eingestuft - sie alle befinden sich im Bezirk Treptow-Köpenick. Die Lage ist im Südosten Berlins so gut wie nirgends sonst in der Stadt. (mit dpa)

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