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Klasse leer. Immer mehr Gruppen an Schulen müssen in Quarantäne.
© Doris Spiekermann-Klaas/Tsp

Der schleichende Lockdown der Schulen: Immer mehr Lehrer, Schüler und Klassen in Quarantäne

Noch sind die meisten Schulen in Deutschland offen. Aber das wird nur mit besseren Schutzmaßnahmen so bleiben können.

„Wir lassen Schulen und Kitas offen. Das dort bestehende Infektionsrisiko nehmen wir in Kauf, weil die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen nicht abermals unter einem Lockdown leiden darf und weil wir die Eltern nicht nochmal solchen Belastungen aussetzen wollen wie im März/April.“

Das twitterte am Dienstag Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) – und beschrieb so, wohl eher unfreiwillig, das Spannungsfeld, in dem sich die Bildungspolitik gerade befindet.

Die Frage, wie mit den Schulen bei aktuell stark steigenden Coronazahlen umgegangen werden soll, polarisiert. Auf der einen Seite stehen Politiker wie Hans, die den Eltern keinesfalls erneute wochenlange Schulschließungen zumuten möchten und dafür bereit sind, Lehrende und Lernende sehenden Auges dem „dort bestehenden Infektionsrisiko“ auszusetzen.

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Auf der anderen Seite kritisieren Schüler, Lehrer- und eben auch Elternverbände das Fehlen von Schutzkonzepten der Kultusministerien, die sicheren Unterricht und sichere Betreuung bei stetig steigenden Neuinfektionszahlen ermöglichen.

Dass in den Sommermonaten viel mehr hätte getan werden können, etwa um mehr Raum für mehr Abstand in kleinere Gruppengrößen, und bessere Lüftung zu schaffen, ist offenkundig.

Jetzt häufen sich die Infektionsmeldungen aus den Schulen, ganze Jahrgänge und Schule werden in Quarantäne geschickt. Stehen wir – trotz aller Beteuerungen der Politik – also doch kurz vorm Schul-Lockdown? Wird der Präsenzunterricht gestoppt, wenn der „Lockdown light“ nicht reicht, um die Fallzahlen zu senken?

Sind Schulen Hotspots für Ausbrüche?

Seit Beginn der Pandemie gab es auch an Schulen größere und kleinere Ausbrüche. Unklar blieb aber oft, ob die Schulen selbst Quelle des Infektionsgeschehens oder nur durch externe Einträge einbezogen worden waren.

Gut dokumentiert ist ein Ausbruch an einer Oberschule in Oise in Nordfrankreich. Spätere Untersuchungen des Blutes von Lehrern, Schülern und Bewohnern der Region auf Antikörper gegen Sars-CoV-2 zeigten eine hohe Infektionsrate unter Schülern und Lehrern, jedoch geringere unter Eltern und Geschwistern der Schüler – was für die Schule als Ursprung des Superspreading-Events spricht.

An einer Schule in Jerusalem waren vor allem die Klassen 7 bis 9 betroffen, nicht aber die Jahrgänge 10 bis 12, was ebenfalls dafür spricht, dass eine hohe Übertragungsrate in der Schule zum Infektionsgeschehen beitrug.

In Deutschland betonen zwar die Kultusministerien immer wieder, Schulen seien „keine Hotspots oder Treiber der Pandemie“ – so etwa Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU). 

Richtig beantworten lässt sich die Frage dennoch nicht – was auch daran liegt, dass offenbar kaum ein Kultusministerium dokumentiert, ob es innerhalb von Schulen zu Ansteckungen gekommen ist. Auf eine entsprechende Anfrage des Tagesspiegels konnten – oder wollten – zumindest die meisten Bundesländer keine aktuellen Daten nennen.

Das Öffnen von Fenstern, wie hier an einer Grundschule in Baden-Württemberg, reicht zum Infektionsschutz allein nicht aus. forscher empfehlen vor allem weniger Schüler pro Klasse.
Das Öffnen von Fenstern, wie hier an einer Grundschule in Baden-Württemberg, reicht zum Infektionsschutz allein nicht aus. forscher empfehlen vor allem weniger Schüler pro Klasse.
© Christoph Schmidt/dpa

Ausnahmen sind Bremen und das Saarland. Das Saarland berichtet insgesamt von 12 Fällen bis Ende Oktober, wo an einer Schule mehr als eine Coronainfektion gemeldet wurde. Das Land geht „von einer niedrigen einstelligen Zahl von Fällen aus, bei denen es möglicherweise zu einer Sekundär- bzw. Folgeinfektion in der Schule gekommen sein könnte“.

Bremen hatte in der dritten Oktoberwoche von damals 14 Schulen gesprochen, bei denen das Gesundheitsamt von Ansteckungsketten innerhalb der Einrichtung ausgeht.

Einzelne Ausbrüche sind auch anderswo dokumentiert. Eine Elmshorner Privatschule meldete zu Wochenbeginn 19 Infizierte. In Hamburg erregte im September eine Stadtteilschule Aufmerksamkeit, an der sich 33 Schülerinnen und Schüler und drei Beschäftigte infizierten. Zumindest in einer Klasse gingen die Behörden von Ansteckungen innerhalb der Schule aus.

Das Robert-Koch-Institut berichtete Mitte Oktober, Ausbrüche in Schulen würden „in zunehmendem Ausmaß“ beobachtet, könnten aber „gut kontrolliert“ werden. Man habe „mehrere hundert Ausbrüche“ in Schulen gesehen, ergänzte Lothar Wiehler in der „Tagesschau“.

Zwar seien Schulen bislang kein „Treiber“ der Pandemie, so wie bei Influenza-Wellen. Aber es sei klar, dass bei mehr Infektionen insgesamt auch mehr Fälle in Schulen auftreten würden.

Wie ist die Lage aktuell an Schulen in Deutschland?

Stand vergangenes Wochenende waren bundesweit 165 Schulen wegen Ansteckungen von Schülerinnen und Schülern geschlossen – eine davon eine Berliner Grundschule in Frohnau. Eine Mitarbeiterin kam dort mehrere Tage mit Covid-Symptomen zur Schule.

Klar ist allerdings auch, dass das noch immer nur ein Bruchteil aller Schulen ist. In Bayern waren in der vergangenen Woche zwei Prozent aller Schulen im Distanzunterricht, weitere vier Prozent in einem Wechselmodell aus Präsenz- und Distanzunterricht. In Baden-Württemberg waren kurz vor Beginn der Herbstferien 15 von 4500 Schulen vollständig geschlossen, zudem gut 1000 von 67 500 Klassen aus dem Präsenzunterricht genommen.

In Niedersachsen waren seit Schuljahresbeginn immerhin 338 von 3000 Schulen von Einschränkungen betroffen, mehr als zehn Prozent.

Was spricht gegen Schulschließungen?

Schulschließungen sind nicht nur eine enorme Belastung für viele Familien. Erste Studien zeigen auch, dass Kinder und Jugendliche im Distanzunterricht wenig lernten. Am Mittwoch veröffentlichten Forscher der Uni Oxford Ergebnisse einer Untersuchung in den Niederlanden, die beim Online-Unterricht vergleichsweise gut aufgestellt sind. Schülerinnen und Schüler hätten dort im Frühjahr trotz digitaler Lehre „wenig bis nichts“ gelernt, bilanzieren sie.

Bildungsforscher betonen zudem, vor allem Kinder aus bildungsfernen Familien litten besonders unter dem Lockdown.

Was spricht für baldige Schulschließung?

Zum einen werden die mit der Kontaktverfolgung überlasteten Gesundheitsämter bei einer unübersichtlichen Infektionssituation an einer Schule gar nicht anders können, als die Einrichtung zu schließen – wie etwa bei der Grundschule in Berlin-Frohnau. Zum anderen manövrieren die Kultusminister die Schulen aufgrund des Fehlens klarer Schutzvorschriften in Richtung Schließung: Nach wie vor setzen sie vor allem aufs Lüften als Präventionsmaßnahme.

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Das RKI dagegen rät schon ab einer Inzidenzrate von 50 Infektionen pro 100.000 Einwohnern in einem Landkreis zur Maskenpflicht im Unterricht für alle Klassenstufen. Auch solle geprüft werden, Schulen oder Klassen kurzzeitig unabhängig von akuten Infektionen in den Einrichtungen zu schließen.

Sind Kinder „stille“ Sars-CoV-2-Überträger, Schulen also potenzielle Hot-Spots?

Eine eindeutige Antwort können Forscher darauf noch immer nicht geben. Fest steht, dass sich Kinder mit Sars-CoV-2 infizieren und das Virus auch an andere (Kinder wie Erwachsene) weitergeben können. Aber jüngere Kinder (unter 10 Jahren) sind wohl weniger empfänglich für Sars-CoV-2-Infektionen als Erwachsene.

Zu diesem Ergebnis kommen die Harvard-Epidemiologen Marc Lipsitch und Edward Goldstein sowie die Epidemiologin Muge Cevik von der University of St. Andrews in Großbritannien in einer Analyse der aktuellen Studienlage, kürzlich veröffentlicht im Fachblatt „Journal of Infectious Diseases“.

Allerdings weisen sie darauf hin, dass die Daten eindeutige Schlussfolgerungen noch nicht zulassen. So könnten etwa viele infizierte Kinder aufgrund ihrer geringeren Covid-19-Symptome übersehen werden, wodurch ihre Empfänglichkeit (und damit auch Infektiosität) fälschlich als geringer eingeschätzt wird. Dafür spricht, dass Antikörperstudien bei Kindern überraschend häufig eine zurückliegende Sars-CoV-2-Infektion nachweisen: Eine Studie des Helmholtzzentrums München fand, dass sechsmal mehr Kinder in Bayern infiziert als gemeldet waren.

Können Schulen mit geeigneten Schutzmaßnahmen offen bleiben trotz hoher Infektionszahlen in der Bevölkerung?

Lipsitch, Goldstein und Cevik weisen ausdrücklich darauf hin, dass Sars-CoV-2 sich in Schulen mit nur eingeschränkten Schutzmaßnahmen – etwa kein konsequenter Gebrauch von Masken (vor allem bei Lehrenden) und fehlende Reduzierung der Klassengrößen – „robust“ verbreiten kann. Das gilt insbesondere für Oberschulen, also ältere Kinder und Jugendliche.

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In Grundschulen sei dieses Risiko aufgrund der wohl geringeren Empfänglichkeit von Kindern unter zehn Jahren für Sars-CoV-2 geringer. „Nichtsdestotrotz ist auch über Ausbrüche an Grundschulen berichtet worden“, betonen die Forscher und plädieren für wirksame Schutzmaßnahmen, etwa geringe Klassengrößen. Der Ausbruch an der Jerusalemer Schule fand bei Klassengrößen von bis zu 38 Schülern statt, in Santiago de Chile fand das Virus in Gruppen von 25 bis 38 Schülern Verbreitungspotenzial.

Als Positiv-Beispiel nennen die Forscher ausdrücklich die Halbierung der Klassengrößen in Baden-Württemberg vor den Sommerferien: Von 137 infizierten Schülern hätten nur sechs andere Klassenkameraden angesteckt. Aber auch solche Maßnahmen haben Grenzen. Für offene Schulen müsse auch das allgemeine Infektionsgeschehen in der Bevölkerung berücksichtigt werden, so die Forscher. Gerät das außer Kontrolle, können auch Schulen nicht offen bleiben.

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