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Der Landesentwicklungsplan legt die grundlegende Strategie für Berlin-Brandenburg fest.
© dpa

Landesentwicklungsplan: So wollen Berlin und Brandenburg zusammen wachsen

Es soll der länderübergreifende Masterplan sein - und er sorgt für Zündstoff: Brandenburgs CDU-Chef droht mit einer Kündigung. Doch was steht eigentlich drin?

Immer mehr Berliner zieht es raus ins Nachbarland. Was für eine dramatische Gesamtdimension diese „Wanderungsbewegung“ hat, illustrieren Zahlen, die das gemeinsame Landesamt für Statistik beider Länder jetzt erstmals auf Tagesspiegel-Anfrage ermittelte: Danach sind von 1991 bis 2017 inzwischen sage und schreibe 802.596 (!) Berliner nach Brandenburg gezogen, das aktuell rund 2,5 Millionen Einwohner zählt, dank der Neu-Brandenburger in ziemlich stabiler Tendenz.

Umgekehrt zog es in den gut drei Jahrzehnten 529.164 Märker in die Metropole mit ihren 3,5 Millionen Einwohnern, Tendenz stark steigend. Im Saldo machte Brandenburg, wo es noch vor einigen Jahren Befürchtungen vor Verödung und aussterbenden Dörfern gab, ein Plus von immerhin rund 270.000 Neubürgern. Es ist also viel in Bewegung zwischen Berlin und Brandenburg.

Genau das ist der Hintergrund, weshalb der neue „Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg“ (LEP HR) so viel Zündstoff birgt, den die Kabinette beider Bundesländer auf ihrer ersten gemeinsamen Sitzung in diesem Jahr am heutigen Dienstag in Berlin beschließen wollen. Ein Beschluss, der von einer politischen Kampfansage begleitet wird.

Im Tagesspiegel-Interview hat sich CDU-Chef Ingo Senftleben, der nach der Brandenburg-Wahl im Herbst 2019 selbst Ministerpräsident werden will, jetzt öffentlich festgelegt: „Als Ministerpräsident Brandenburgs werde ich noch in der ersten Woche in einem Brief an das Land Berlin den Landesentwicklungsplan kündigen.“

Prinzip einer gesteuerten, kanalisierten Entwicklung

Aber was steht in dem Plan überhaupt? Dieser länderübergreifende Masterplan bildet die grundlegende Strategie für die Hauptstadtregion bis 2030 ab. Er ist Grundlage für Bebauungspläne, Flächennutzungspläne in Brandenburg und Berlin, für Wohn- und Gewerbegebiete, Windparks. Dass es grenzüberschreitend überhaupt so etwas gibt, ist bundesweit ein Novum. Die Gemeinsame Landesplanung samt gemeinsamer Behörde (GL) war in den Jahren vor der 1996 geplatzten Länderfusion vereinbart worden.

Der sogenannte Siedlungsstern in Berlin und Brandenburg.
Der sogenannte Siedlungsstern in Berlin und Brandenburg.
© Tsp/Pieper-Meyer

Nach dem 121 Seiten starken Entwurf für den LEP HR sollen im Umland neue große Wohngebiete nur in jenen Gemeinden mit Bahnhöfen ausgewiesen werden dürfen, die an den S-Bahn- und Regionalbahntrassen liegen – also an dem seit dem 19. Jahrhundert gewachsenen „Siedlungsstern“ der Metropole. Nach Wandlitz und Werneuchen werden nun zwei neue Achsen ausgewiesen, die bisherige Achse nach Hennigsdorf bis Oberkrämer verlängert.

Räume zwischen den Achsen sollen möglichst „grüne Lunge“ und Erholungsraum bleiben, für Orte gibt es Restriktionen. Dass an diesem Prinzip einer gesteuerten, kanalisierten Entwicklung festgehalten wird, ist klare Position des rot-rot-grünen Senat in Berlin und der rot-roten Regierung in Brandenburg.

In Brandenburg allerdings gibt es vor allem angesichts vieler ins Land ziehender Berliner schon länger Widerstände und Unmut. In zwei Beteiligungsverfahren für den LEP HR, der den bisherigen Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2009 ablöst, wurden tausende Einwände vorgebracht, vor allem gegen Baueinschränkungen.

Zur Rolle der Kommunen

Infrastrukturministerin Kathrin Schneider (SPD) hat Kritik aus Kommunen, aber auch der Brandenburger CDU stets zurückgewiesen. Warum Kommunen nicht alles selbst entscheiden können, erklärt das Schneider-Ministerium in einem Erläuterungspapier so: „Wir wollen keinen ungesteuerten Siedlungsbrei als Speckgürtel“. Gemeinden hätten naturgemäß die eigene Gemeinde im Blick. „Der Blick aufs ganze Land ist im Interesse der Gesamtentwicklung aber unverzichtbar“, heißt es. „Dazu gehört dann auch, Wald und Wiesen für die Naherholung zu erhalten, und nicht sehenden Auges weiteren Autoverkehr zu erzeugen, weil das schöne neue Wohngebiet im Grünen keinen Bahnanschluss hat.“

Nach dem Plan sollen alle Gemeinden zumindest moderat wachsen dürfen: Je 1000 Einwohner soll jeder Ort einen Hektar neue Wohngebiete ausweisen, bisher waren es 0,5 Hektar. Damit hätten laut Schneider-Ressort die Kommunen seit 2009 theoretisch rund 500 Hektar neue Wohngebiete planen können, 140 Hektar seien es bis 2017 gewesen. „Trotzdem wird der neue LEP HR diese Möglichkeit der Eigenentwicklung mehr als verdoppeln.“ Und für Zentren, für größere Orte werden Zuschläge gewährt. Die Innenentwicklung von Städten und Dörfern, etwa die Bebauung von Lücken, wird durch den Masterplan nicht eingeschränkt.

Aus für Outlet-Center, Aus für Tegel - und für die Parlamente?

Aus Sicht der Verantwortlichen nimmt der neue Landesentwicklungsplan die Dynamik des wachsenden Berlins auf. „Es ist im ganzen Land Brandenburg ausreichend Platz für neue Wohnsiedlungen vorhanden“, heißt es. „Der Siedlungsstern bietet insgesamt Potenzial für 515.000 neue Wohneinheiten, davon allein im Berliner Umland 290.000.“

Zur Einordnung: 2017 zogen nach Auskunft des Amtes für Statistik 30.930 Berliner nach Brandenburg, etwa so viel wie eine Kleinstadt, umgekehrt 18.030 Brandenburger in die Metropole, womit Brandenburg ein Plus von 13.900 Menschen machte. In den Jahren zuvor waren die Größenordnungen ähnlich. Die Experten erwarten, angesichts der steigenden Wohnungsnot in Berlin, dass dieser Trend anhält.

Der Plan regelt eine breite Themenpalette, schließt etwa neue Outlet-Center im Umland aus. Beim Luftverkehr sollen der noch unvollendete neue Airport in Schönefeld als „Singlestandort“ und damit das Aus für Tegel endgültig verankert werden: „Linienflugverkehr und Pauschalflugreiseverkehr mit Flugzeugen sind in Berlin und Brandenburg nur auf dem Verkehrsflughafen Berlin-Brandenburg (BER) zulässig.“

Und die Parlamente? Die werden nach dem Doppelbeschluss beider Regierungen zwar noch angehört, ehe der Landesentwicklungsplan im Sommer 2019 in Kraft treten soll. Beschließen können Landtag und Abgeordnetenhaus diesen Plan, den Brandenburgs CDU-Chef nach der Landtagswahl kündigen will, jedoch nicht.

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