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Landleben. Orte in Brandenburg, die bisher mit Bevölkerungsschwund zu kämpfen hatten, verzeichnen kräftige Einwohnerzuwächse.
© imago/Chromorange

Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg: Hauptstadtregion auf dem Weg ins Ungefähre

Der jüngste Entwurf für den Landesentwicklungsplan Berlin-Brandenburg macht ratlos. Die Annahmen für die Zukunft sind bereits heute von gestern.

Der seit Montag öffentlich ausliegende zweite Entwurf für den Landesentwicklungsplan der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg (LEP) offenbart bei einer ersten Durchsicht Erstaunliches. Mit dem Plan soll auf das Wachstum in Berlin, Brandenburg sowie angrenzenden Metropolregionen reagiert werden. Dem zweiten Entwurf droht jedoch ähnliches wie seinem Vorgänger. Hätte der erste im Juli 2016 vorgelegte Entwurf des gemeinsamen Landesentwicklungsplans von Berlin und Brandenburg Gesetzeskraft erlangt, wäre er heute bereits Makulatur.

Nach der Lektüre verstärkt sich zudem der Eindruck, dass dem neuen Entwurf des LEP ein ähnliches Schicksal bevorsteht wie der Brandenburger Kreisgebietsreform: Er droht durch den Rost zu fallen, bevor er überhaupt abschließend von den Landesparlamenten diskutiert und beschlossen werden kann. Der gesamten Planung liegen unverändert Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung zugrunde, die auf Statistiken und Prognosen von 2015 basieren. Die dramatisch gestiegenen Zuwanderungszahlen nach Berlin sowie in die Metropolregion – und damit sind keineswegs primär die Flüchtlingsströme gemeint – finden nirgendwo ihren Niederschlag. Orte im Land Brandenburg, die bisher mit Bevölkerungsschwund zu kämpfen hatten, verzeichnen kräftige Einwohnerzuwächse und verfügen kaum noch über freien Wohnraum. In den vergangenen drei Jahren kamen weitere 180 000 Menschen in die Hauptstadtregion. Nach aktuellen Bevölkerungsprognosen wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Da den Ländern Berlin und Brandenburg jedoch keine Neuberechnung ihrer eigenen Statistiker vorliegt, muss die geplante Zukunft der tatsächlichen Wirklichkeit hinterherhinken.

Der Berliner Wohnungsmarkt ist leer gefegt

Weil sich die Metropole unentwegt in ihr Umland ergießt, bildet sich zunehmend ein gemeinsamer Immobilienmarkt aus. Nicht zufällig brennen beiden Ländern ähnliche Themen unter den Nägeln. Vor allem tut Wohnungsbau Not, insbesondere der soziale Wohnungsbau, sowie die Entwicklung und Bereitstellung von Bauland für Normal- und Geringverdiener. Hier unterscheiden sich die Sorgen in Potsdam prinzipiell wenig von denen Berlins. Die Erwartung, dass der LEP darauf mit Ideen, Plänen oder abgestimmten Maßnahmen reagiert, erfüllt sich jedoch nicht. Gemeinsame Lösungsansätze, Programme oder gar konkrete Projekte sind Fehlanzeige. Die bei Gewerbe- und Unternehmensansiedlungen seit Langem bestehende Harmonisierung von Fördermaßnahmen zwischen beiden Ländern scheint für Wohnsiedlungen undurchführbar. Die maximale Fördersumme für Darlehen im sozialen Wohnungsbau liegt in Brandenburg mit 1800 Euro je Quadratmeter erheblich über den soeben von Berlin angehobenen 1300 Euro. Dabei sind Lebenshaltungskosten und erst recht Bodenpreise im Brandenburger Schnitt deutlich niedriger.

Der Berliner Wohnungsmarkt ist leer gefegt, als Ausweichmöglichkeit bleibt nur das nahe wie fernere Umland in Brandenburg. Der größte Ansiedlungsdruck besteht besonders im Süden und Westen der Hauptstadt. Welchen Sinn macht es, die Verkehrsanbindungen im Norden von Berlin kräftig auszubauen, während gleichzeitig in den Siedlungsschwerpunkten der Verkehr kollabiert? Es könnte helfen, einmal zu Stoßzeiten von Nauen oder Potsdam nach Berlin oder umgekehrt das Auto oder den öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. Ähnliche Zustände aus Henningsdorf oder Oranienburg sind nicht bekannt. Wenn beide Länder unbedingt die Suburbanisierung Berlins und die Siedlungszunahme nach Norden und Nordosten lenken wollen, dann sollten sie es klar sagen und dafür auch einen stimmigen Plan entwickeln. Einfach vorhandene Verkehrstrassen zu erweitern oder neue zu legen, in der Erwartung, es werden sich an ihnen gewissermaßen von selbst Wohnungen und Gewerbe ansiedeln, ist unseriös.

Auf dem Land soll alles bleiben, wie es ist

Mit Blick auf Raum- und Verkehrserschließung ist der Zeitrahmen des LEP bis 2030 viel zu kurz bemessen. Wenn es eine wichtige Lehre aus dem BER-Flughafen-Projekt zu beherzigen gilt, dann ist es die Notwendigkeit eines wesentlich weiteren Planungshorizonts. Die mitunter Jahrzehnte dauernde Umsetzung von bedeutenden Bau- und Infrastrukturvorhaben lässt keine andere Wahl. Die Verlängerung einer S-Bahnlinie um zwei Stationen dauert mindestens fünf Jahre. Für Entwurf und Errichtung einer Großsiedlung reicht das nicht einmal. Will man Planung und Bau von neuen Siedlungen sinnvoll gestalten und die Lösung des Berliner Stadtwachstums nicht ausschließlich den damit überforderten Brandenburger Umlandgemeinden aufbürden, müssen große Siedlungen und praktisch neue Städte entstehen. Dafür muss das Planungsrecht für Vorhaben ab einer bestimmten Größenordnung zur Landesregierung nach Potsdam gehen. Hier ließe sich durchaus von Hamburg, München oder Frankfurt lernen, die seit vielen Jahrzehnten starken Zuzugsdruck erfahren. Nur wer für ausreichend bezahlbaren Wohnraum, funktionierende Verkehrsanbindungen, neue Jobs und Gewerbeansiedlungen sorgt, zieht auch künftig die besten Arbeitskräfte an.

Dass der jüngste LEP-Entwurf die Revolution im Handel ignoriert, macht ratlos. Während der Onlinehandel die tiefgreifendste Strukturveränderung der vergangenen 30 Jahre auslöst, soll auf dem Land alles bleiben, wie es ist. Das funktioniert aber nicht, nur weil Planer es so wollen. Für Neubau oder Erweiterung von großflächigen Einzelhandelseinrichtungen außerhalb zentraler Orte wird eine Größe von maximal 1500 Quadratmetern vorgegeben. Heute indes entstehen keine neuen Selbstbedienungsmärkte mehr mit weniger als 2000 Quadratmetern Fläche. Zur Präsentation des Sortiments und für diverse Shops, Cafés, Kinderbetreuung, Toiletten und anderes braucht es größere Flächen. 600 Quadratmeter kleine Märkte verschwinden und werden wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen. Das Einkaufsverhalten der Menschen, Warenvorhaltung und -Transport, der Umfang an Lagerflächen und Logistik – alles hat sich verändert und befindet sich überdies in einem ständigen Fluss. Ihn zu steuern macht Sinn, nicht aber gegen ihn zu steuern.

Der LEP-Entwurf enthält nichts Konkretes

Über die gesamte Lektüre des LEP-Entwurfs hinweg festigt sich der Eindruck des Unbestimmten. Was als gemeinsamer Plan betitelt ist, hat faktisch nur wenig Gemeinsames und enthält tatsächlich nichts Konkretes. Im Abstrakten, Wolkigen, Unverbindlichen zeichnen sich keine erkennbaren Linien ab. Das hat durchaus Methode. Umso leichter kann er von beiden Ländern nach eigenem Gutdünken wahlweise befolgt, ignoriert oder ausgelegt werden. Jeder mag, gut versteckt unter Worthülsen, seinen Grundsätzen folgen. Für Berlin kann Brandenburg weiterhin spätestens in Potsdam enden, die Bundeshauptstadt kann als Metropole selbstzentriert und damit sich selbst genug sein. Die Landesregierung von Brandenburg darf hingegen in ein altes Planungskosten zurückfallen, nämlich das der eigentlich längst überwunden geglaubten „dezentralen Konzentration“. Das gesamte Land wird flächendeckend mit der Gießkanne bedacht. Alle haben vorgeblich wieder die gleichen Chancen und Entwicklungspotenziale. Für solche Spielereien ist wegen der Bevölkerungsexplosion in der Hauptstadtregion keine Zeit mehr. Der Landesentwicklungsplan hat von realistischen Annahmen ausgehend klare Ziele zu formulieren und Konkretes, vor allem bei Wohnen und Verkehr, auf den Weg zu bringen. Sonst kann man ihn sich sparen.

Der Landesentwicklungsplan kann hier eingesehen werden. Die Autorin schreibt derzeit an ihrer Dissertation im Bereich Stadtentwicklung. Der Autor ist Architekt in Berlin und von der Architektenkammer Berlin öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger.

Ulrich Springer, Franziska Springer

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