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So sah das 1996 aus: Der Berliner Bär und der Brandenburger Adler vor dem Start einer Motorrad-Sternfahrt auf der Avus-Tribune in Berlin.
© Peer Grimm/Zentralbild/dpa 

Landesentwicklungsplan: Jeder Berliner ist eigentlich auch Brandenburger

Berlin platzt aus allen Nähten. Im neuen, großen Landesentwicklungsplan geht es um die Zukunft mit Brandenburg. Dazu gibt es keine Alternative. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wer die Hauptstadt verlässt, mit der Bahn oder dem Auto, kann auch 30 Jahre nach dem Mauerfall noch an vielen Orten erkennen, wo einst die innerdeutsche Grenze verlief. Hier das zugebaute Berlin, dort die Wälder und Seen Brandenburgs. Aber das ändert sich, mit hohem Tempo. Deutschlands Metropole steht mächtig unter Druck, drängt in die umliegenden Regionen. Und zieht andererseits jeden Tag Zehntausende Menschen aus dem Umland an, die in Berlin arbeiten, studieren oder einkaufen.

Lässt sich dieser Prozess planen? Schaut man auf die Megacitys der Welt, kann einen der Mut verlassen. Demografische Entwicklungen und wirtschaftliche Interessen sind Urgewalten, von Amts wegen schwer zu bändigen. Da scheint zu gelten, was Bettlerkönig Peachum in der „Dreigroschenoper“ besingt: „Ja, mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht und mach dann noch ’nen zweiten Plan, gehn tun sie beide nicht.“ Aber vielleicht geht es auch anders. Am Dienstag werden die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg gemeinsam den „Landesentwicklungsplan Hauptstadtregion“ auf den Weg bringen. Das ist besser als nichts.

Es geht im neuen, großen Plan um fast alles, was für die Entwicklung und Lebensbedingungen in beiden Bundesländern wichtig ist: Wohnen und Verkehr, Gewerbe, Einzelhandel und Grundversorgung, Schutz der Freiräume und des Klimas. Nach dem Scheitern der Länderfusion in einer Volksabstimmung, das war im Mai 1996, haben sich beide Nachbarn glücklicherweise nicht völlig auseinandertreiben lassen. Damals wurde eine gemeinsame Planungsbehörde gegründet und ein Regelwerk aufgebaut, um die Räume zwischen Uckermark und Lausitz, Havelland und Oder-Spree zu ordnen. Und mittenmang – Berlin.

Nichts für Konfliktscheue

Diese Landesplanung ist einzigartig in Deutschland, aber nichts für konfliktscheue Zeitgenossen. Während die Industrie- und Handelskammern in Berlin und Potsdam schon von einem „Greater Berlin“ träumen, stellt der brandenburgische CDU-Chef Ingo Senftleben jetzt das neue Planwerk komplett infrage. Das ist nicht nur dem bevorstehenden Wahlkampf im Land Brandenburg geschuldet, sondern gibt die Stimmung in jenen Kommunen treffend wieder, die sich abgehängt und ausgebremst fühlen – von einem Planwerk, das unter dem Verdacht steht, allzu sehr auf die Bedürfnisse und Probleme der Hauptstadt abgestellt zu sein.

Der sogenannte Siedlungsstern in Berlin und Brandenburg.
Der sogenannte Siedlungsstern in Berlin und Brandenburg.
© Tsp/Pieper-Meyer

Nicht nur im ländlichen Raum, in dem die Hälfte der Brandenburger wohnt, überwiegt die Kritik. Auch kleine Städte, die außerhalb der planerisch erweiterten Siedlungsachsen rund um Berlin liegen, fühlen sich aussortiert. Wer nicht unmittelbar vom grenzüberschreitenden Wachstum der Metropole profitieren kann, will doch wenigstens Versorgungssicherheit, brauchbare Nahverkehrsverbindungen und Arbeitsplätze. An der zweieinhalb Jahre dauernden Diskussion über den neuen Landesentwicklungsplan haben sich in Brandenburg Tausende Bürger und Verbände, Landkreise und Gemeinden intensiv beteiligt, während in Berlin das öffentliche Interesse gegen null ging. Das zeigt, wer sich die meisten Sorgen macht.

Klar – auch die Berliner haben große Probleme. Sie brauchen Wohnungen, die ihnen die eigene Regierung nicht schnell genug baut. Immer mehr Hauptstädter fliehen deshalb ins grüne Umland, inzwischen über den Autobahnring hinaus. Und auch sie ärgern sich über fehlende oder verstopfte Regionalverbindungen auf Schiene und Straße. Dies alles führt zur berechtigten Frage, ob der neue Landesentwicklungsplan nicht viel zu spät kommt und von der rauen Wirklichkeit längst eingeholt wurde.

Doch was wäre die Alternative? Kein Plan? Angesichts dessen, was man über wild wuchernde Städte weiß, sollte man daran gar nicht erst denken. Und den Hauptstädtern sei empfohlen, ihren Fontane zu lesen und mehr auf den lieben Nachbarn zu schauen. Denn jeder Berliner ist im Grunde auch Brandenburger.

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