Milliardenauftrag der BVG: Berlin droht langwieriger Prozess um neue U-Bahnen
Die BVG braucht 1500 neue U-Bahn-Wagen. Der Drei-Milliarden-Auftrag geht an Stadler. Doch Siemens plant juristische Schritte dagegen.
HINWEIS vom 17. Mai 15:35 Uhr: Siemens wird keine Klage gegen die Vergabe einreichen. Unzufrieden ist das Unternehmen dennoch mit dem Verfahren. Ein Update zum Streit um die neuen Berliner U-Bahnen lesen Sie unter diesem Link.
Ein Großauftrag, bei dem es um den Kauf von 1500 neuen U-Bahn-Wagen für Berlin geht, könnte zu einem langwierigen Rechtsstreit zwischen dem Siemens-Konzern und den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) führen. Der Aufsichtsrat des landeseigenen Unternehmens hatte Anfang Mai entschieden, wer den drei Milliarden Euro schweren Auftrag erhalten soll. Dem Tagesspiegel wurde jetzt inoffiziell bestätigt, dass die Wahl auf das in Pankow ansässige Unternehmen Stadler fiel.
Einspruch in Vergabe möglich
Dagegen will der unterlegene Mitbewerber Siemens juristisch vorgehen. Bislang - Stand Freitag früh - ist bei der Vergabekammer kein Einspruch von Siemens eingegangen. Dem Vernehmen nach ging bislang dort nur eine Rüge eines weiteren Bieters, nämlich Alstom, ein. Über den Inhalt dieser Rüge wurde nichts bekannt. Eine Rüge ist bei Vergabeverfahren ein milderes Mittel als der Einspruch, sie fordert den Auftraggeber auf, das Verfahren noch einmal zu prüfen.
Für den Konzern Siemens wäre es bitter, bei der Vergabe des Großauftrags leer auszugehen. Immerhin sind in der Mobilitätssparte des Unternehmens in Berlin 1100 Mitarbeiter beschäftigt. Was den Konzern möglicherweise besonders sensibel macht, ist die Tatsache, dass sich Siemens nach schwierigen Verhandlungen mit dem Senat bereit erklärt hatte, 600 Millionen Euro in einen Innovations-Campus am historischen Firmensitz in Berlin-Spandau zu investieren. Dem Vernehmen nach soll Vorstandschef Joe Kaeser persönlich gegenüber Senatsvertretern die aktuelle Vergabeentscheidung hart kritisiert und den Klageweg angekündigt haben.
Am Sonntag um 24 Uhr läuft die Einspruchsfrist in dem Vergabeverfahren ab, mit dem der veraltete U-Bahn-Wagenpark ab 2021 komplett erneuert werden soll. An der europaweiten Ausschreibung hatte sich auch Siemens beteiligt und will nun gegen die Entscheidung des BVG-Aufsichtsrats vorgehen. Zuständig für den Einspruch ist die Vergabekammer des Landes Berlin, zivilrechtliche Ansprüche müssen vor ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Das kann erfahrungsgemäß Jahre dauern. Intern hatte die BVG damit gerechnet, dass Siemens sofort Einspruch erhebt, in der Zentrale ist man eher verwundert, dass Siemens sich noch nicht gerührt hat.
Vorsitzende des BVG-Aufsichtsrats, der für die Ausschreibung und Vergabe zuständig war, ist die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Deren Sprecherin verwies auf die 15-tägige Einspruchsfrist. Solange diese nicht abgelaufen sei, „äußern wir uns zu dem Verfahren grundsätzlich nicht“. Bei europaweiten Ausschreibungen müssen die unterlegenen Bieter vor der endgültigen Auftragsvergabe informiert werden. Sie haben dann 15 Tage Zeit, die Entscheidung des Auftraggebers zu akzeptieren oder dagegen vorzugehen.
Die Zeit drängt beim Großprojekt
Es geht dabei um einen äußerst lukrativen Auftrag. Im Rahmen der „Zukunftssicheren Schienenfahrzeugbeschaffung" wollen die Verkehrsbetriebe die Fahrzeugflotte der U-Bahn bis 2033 komplett erneuern. Die ersten Prototypen sollen im Jahr 2021 geliefert werden, jeweils zwölf Wagen des Kleinprofils (Linien 1 bis 4) und des Großprofils (Linien 5 bis 9). 2022 sollen 76 Wagen geliefert werden, anschließend von 2023 bis 2032 jährlich 136 Wagen. Im Durchschnitt sind die U-Bahn-Wagen derzeit 30 Jahre alt und zunehmend störanfällig. Sollte sich der Rechtsstreit um die Vergabe hinziehen, bekämen die BVG und deren Kunden wohl schnell zu spüren, dass der Wagenpark nicht wie geplant erneuert werden kann.
Es ist nicht der erste Rechtsstreit, mit dem sich Siemens gegen einen Auftrag zugunsten von Stadler wehrt. Aus der Not heraus hatte die BVG im Oktober 2017 für 120 Millionen Euro ohne Ausschreibung 80 Kleinprofil-Fahrzeuge für die Bahnlinien U1 und U4 bestellt: Die alten Waggons konnten nicht mehr repariert werden. Im Juli 2018 einigten sich beide Unternehmen auf einen außergerichtlichen Vergleich, Siemens verzichtete auf die Durchsetzung eigener Ansprüche. Stadler durfte die vereinbarte Tranche von zunächst 56 Fahrzeuge liefern. Pikant ist, dass Siemens und Stadler zusammen als Konsortium die neuen S-Bahn-Züge für Berlin bauen.
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