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Wechsel von einem rassistischen Namen auf einen antisemitischen? Der Senat will Anrainer und Verbände bei Umbenennung mitreden lassen.
© Gerald Matzka/dpa
Update

„Wirklich nicht angebracht“: Senat warnt vor „Schnellschüssen“ bei Umbenennung der Station Mohrenstraße

Anrainer und Verbände sollen beteiligt werden, bevor der Name von der BVG geändert wird. Das fordert Ramona Pop – sie ist Vorsitzende des BVG-Aufsichtsrates.

In der Debatte um eine Umbenennung der Berliner U-Bahn-Station Mohrenstraße hat der Senat die Verkehrsbetriebe BVG zurückgepfiffen. „Schnellschüsse sind in solchen Angelegenheiten wirklich nicht angebracht“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop am Dienstag bei bei einer Pressekonferenz nach einer Senatssitzung.

Sie forderte ein „offenes Verfahren“ unter Beteiligung von Verbänden, Initiativen und Anrainern.

Die BVG hatte in der Vorwoche mitgeteilt, den Stationsnamen, den viele als rassistisch empfinden, in Glinkastraße umzubenennen. Nach dem russischen Komponisten Michail Iwanowitsch Glinka (1804-1857) ist eine Straße benannt, die nahe der U-Bahn-Station auf die Mohrenstraße trifft.

Inzwischen gibt es aber eine Debatte darüber, ob Glinka ein Antisemit war – auch der Checkpoint berichtete. Kommentatoren der Zeitung „Jüdische Allgemeine“ wie der „Bild“-Zeitung weisen mit Blick auf einige seiner Werke darauf hin.

Die BVG reagierte auf die Kritik am Dienstag und teilte auf Twitter mit, dass der Name Glinkastraße nicht fixiert sei, man müsse sich aber bei der Umbenennung an Straßen in der Umgebung halten und könne sich nicht einfach „einen Namen ausdenken“.

Regine Günther versteht Namen Glinkastraße „eher als Vorschlag“

„Es ist richtig und wir begrüßen, dass die BVG die Umbenennung der Mohrenstraße in den Blick genommen hat. Das ist wichtig, um hier ein klares Zeichen gegen Diskriminierung zu setzen“, sagte Pop. Allerdings habe der Senat die klare Erwartungen an die BVG, dass der Prozess der Umbenennung „in einem offenen Verfahren unter Einbeziehung der entwicklungspolitischen, der dekolonialen Verbände und Vereine und der Anrainer und Anrainerinnen“ erfolge. Offen bedeute auch ergebnisoffen, fügte die Politikerin hinzu, die auch Vorsitzende des BVG-Aufsichtsrates ist.

Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) pflichtete dem bei. „Ich habe das eher als Vorschlag verstanden, zu sagen Glinkastraße“, so Günther. Insofern sei ein Verfahren, wie von Pop beschrieben, das Richtige.

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Über die Umbenennung von Straßen, die an Kolonialisten erinnern oder heute manchen als diskriminierend oder rassistisch aufstoßen, wird in Berlin schon seit vielen Jahren in mehreren Stadtvierteln debattiert. Das trifft auch auf die Mohrenstraße im Bezirk Mitte sowie die gleichnamige U-Bahn-Station zu.

Der Vorstoß der BVG in der Vorwoche kam überraschend: Hintergrund ist die nach Fällen von Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA aktuell wieder lautere Debatte über Rassismus.

Der Bezirk Mitte prüft Umbenennung der Straße

„Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab“, hieß es in der Unternehmensmitteilung vom vergangenen Freitag.

„Aus Verständnis und Respekt für die teils kontroverse Debatte um den Straßennamen hat die BVG sich nun entschieden, ihn nicht weiter für die Benennung des U-Bahnhofs zu verwenden.“ Die Umbenennung werde einige Wochen in Anspruch nehmen, solle aber noch in diesem Jahr erfolgen, hatte eine BVG-Sprecherin gesagt. Das dürfte nun erst einmal obsolet sein.

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Eine Umbenennung der Straße selbst, deren Name vermutlich auf dunkelhäutige Bewohner einstmals in der Gegend zurückgeht, wird derzeit vom Bezirk Mitte geprüft. Wegen der auch hier erwünschten Beteiligung der Anrainer wird allerdings von einem längeren Prozess gesprochen. Das zeigt auch das Beispiel der Straßenumbenennungen im Afrikanischen Viertel in Wedding. Seit Jahren wird um Die Lüderitzstraße, den Nachtigalplatz und die Petersallee gestritten. Den Beschluss für die Umbenennung hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) schon 2017 gefasst.

Bis die Namen, die auf Kolonialisten zurückgehen, tatsächlich aus dem Straßenbild verschwunden sind, kann es aber noch Jahre dauern – sagte Bürgermeister Stephan von Dassel im April 2019.

Der 1908 eröffnete U-Bahnhof Mohrenstraße hat bereits eine bewegte Namensgeschichte hinter sich. Bis 1950 hieß er Kaiserhof, anschließend bis 1986 Thälmannplatz und dann bis 1991 Otto-Grotewohl-Straße. (dpa)

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