Rassismus in Prenzlauer Berg: „Mit drei Jahren sagte sie: Mama, ich will nicht mehr braun sein“
Ulrike Düregger und Kalsoumy Balde erleben seit Jahrzehnten Diskriminierung in Berlin. Akademiker in Prenzlauer Berg seien besonders lernresistent.
Ulrike Düregger und ihre Tochter Kalsoumy Balde leben in Prenzlauer Berg. Beide sind im Vorstand von Total Plural. Der Verbund von internationalen KünstlerInnen, Eltern und PädagogInnen bietet seit 2008 Kultur- und Bildungsprojekte unter dem Motto „Empowerment & Kreativität“.
In Prenzlauer Berg organisiert der Verein das Format „Afro-Deutsche Ateliers“, einen monatlichen Treffpunkt für bikulturelle Familien mit wechselnden kreativen Angeboten. Wir haben mit den beiden Frauen ein Interview über den Alltag von Schwarzen Menschen in Berlin geführt.
Frau Düregger, Sie sind weiße Mutter einer Afro-Deutschen Tochter. Ist Rassismus in Berlin eine Alltagserfahrung, wie Pankows Bezirksbürgermeister Sören Benn sagt?
Ulrike Düregger: Ja, da hat Herr Benn Recht. Das Erleben von Rassismus gehört auch bei vielen bi-kulturellen Familien wie unserer zum Alltag. Wir alle werden in ein rassistisches System hineingeboren. In dem ist es normal, dass alle Menschen, die nicht-weiß sind, sich permanent erklären, rechtfertigen und befragen lassen müssen – ob sie das wollen oder nicht.
Die andere Gruppe bekommt von dieser Lebenswelt oft nichts mit und profitiert sogar noch davon. Deswegen spricht man von weißen Privilegien. Weiße denken, es sei alles in bester Ordnung. Und bei Debatten prallen dann diese zwei Erfahrungswelten, Schwarz und Weiß, sehr hart aufeinander, wie ein Fünftonner auf ein Dreirad.
Wie erleben Sie diese beiden Welten, Frau Balde?
Kalsoumy Balde: Berlin und Pankow haben genau wie Deutschland ein Rassismusproblem, das strukturell verankert ist. Weiße Menschen müssen sich selbst fragen: „Wie viele Schwarze beziehungsweise nicht-weiße Freund*innen, Arbeitskolleg*innen und Familien kenne ich? Wie verhalte ich mich, wenn ich Rassismus im Alltag beobachte? Schaue ich nur zu oder sage ich etwas?“ Denn Schwarze Personen erfahren Rassismus in der Bahn, auf der Straße, im Park, in Kitas, Schulen, im Supermarkt und überall sonst.
Haben Sie dafür konkrete Beispiele?
Balde: Das sind Blicke, Anstarren, Kommentare und Fragen – und das sehr oft von fremden Menschen. Schwarze Menschen grundsätzlich auf Englisch anzusprechen, ist auch Rassismus. Denn es suggeriert, dass sie nicht Deutsche sein können. Das alles sind die so genannten Mikroaggressionen. Sie fühlen sich wie kleine Mückenstiche an, sehr nervig und verletzend, aber gleichzeitig sehr subtil und dadurch für viele Nichtbetroffene unsichtbar. Aber es bleibt nicht nur bei diesen Mikroaggressionen.
Sie meinen Gewalt?
Balde: Ja. Auch (Polizei-)Gewalt findet in Pankow statt, vor allem im Norden. Viele Schwarze Menschen, auch ich, meiden Ortsteile wie Buch und Weißensee aus Angst vor Gewalt. Eine weitere Herausforderung für Schwarze Menschen ist die Unterrepräsentation. Wenige bis keine Afro-Shops, keine Friseur*innen, die sich mit Afro-Locken auskennen und so weiter, geben mir nicht das Gefühl, Teil dieser Gesellschaft zu sein.
Düregger: Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass der Rassismus hier schon im Babyalter meiner Tochter losging.
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Erzählen Sie.
Düregger: Es ging los mit einer erhöhten Aufmerksamkeit. Egal, ob im Café in der Kastanienallee, in der Tram zum Rathaus Pankow, bei der Kinderärztin in der Lychener Straße oder beim Supermarkt – immer wurde meine Tochter gefühlt zehn Sekunden länger und intensiver angeschaut, manchmal auch angestarrt. Diese Blicke kamen mir vor wie Nadelstiche, sehr unangenehm, ein absoluter Eingriff in unseren Schutzraum. Mein Kind und ich mussten uns irgendwie daran gewöhnen.
Haben Sie sich inzwischen daran gewöhnt?
Düregger: Nicht wirklich. Als meine Tochter größer wurde, wurde ich mutiger und fing an zurückzustarren. Oder eine Grimasse zu ziehen, um das Gaffen zu spiegeln. Oder auf die Schuhe der Betreffenden zu schauen, weil sie das verunsichert – ein Tipp als Gegenstrategie. Aber so resolut sind nicht alle Eltern. Viele überfordert es schlichtweg.
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Balde: Und wenn ich keine Lust darauf habe, in dieser Woche schon zum fünften Mal zu hören, „Sag mal, ist das N-Wort wirklich so verletzend, wie alle tun?“, und ich dann etwa pampig und nicht lächelnd darauf reagiere, dann bin ich „zu sensibel“. Und prompt kommt dann zurück: „Ich war ja nur neugierig, heutzutage darf man auch gar nichts mehr fragen.“ Die Fragen sind ja „nur nett“ gemeint. Aber nett oder gut gemeint ist trotzdem nicht gut gemacht.
Düregger: Wir alle kennen doch den Moment, wenn uns beim Familienbesuch einfach das dritte Stück Kuchen auf den Teller gelegt wird. Ist ja nur gut gemeint, unser „Nein, danke“, wird übergangen, eine persönliche Grenze wird überschritten. Ein harmloses Beispiel, aber es soll das Prinzip verdeutlichen.
„Vielen Weißen ist nicht klar, wie übergriffig sie sich oft verhalten“
Rassismus als vermeintlich harmlose, aber permanente Grenzüberschreitung?
Düregger: Ja. Vielen Weißen ist nicht klar, wie übergriffig sie sich oft verhalten. Wie schnell sie mit ihrer vermeintlichen Neugier die Intimsphäre verletzen. So gut wie jede bi-kulturelle Familie wird im Laufe der Jahre bestätigen können, dass ihrem Schwarzen Baby in die „süßen Locken“ gefasst wurde. „Wie einem Pudel“, sagte mir mal eine Mutter, die das sehr verletzend fand.
Was, wenn ich jede weiße Person fragen würde: „Sag mal, ist das wirklich dein Sohn, ihr seht euch gar nicht ähnlich? Er hat Segelohren und du nicht! Wo kommst du eigentlich her? Nein, ich meine, wo genau, also wo kommen deine Großeltern her, du siehst nämlich so gar nicht typisch westfälisch aus? Tut das nicht weh, wenn deine blauen Adern bei deiner weißen Haut so hervortreten?“ Diese zum Teil biologistischen Fragen zeigen, mit welcher Absurdität viele People of Colour zu kämpfen haben.
Balde: Noch zu viele Weiße glauben, das Recht zu haben, ihr Nicht-Weißes Gegenüber einfach alles zu fragen. Ohne Rücksicht auf Verluste, ohne Respekt vor Privatsphäre. Immer unter dem Deckmantel der Neugier. Und selbst wenn man erklärt, dass die Frage unangebracht war, werden sie die Frage wieder bei einer anderen Person stellen. Das ist das, was mich als Betroffene sehr wütend oder auch traurig macht.
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Deswegen resigniere ich und viele meiner Freund*innen of Colour vor Debatten mit weißen Menschen, weil wir diese Erfahrungen schon zu oft gemacht haben. Wir haben dafür einfach keine Energie mehr.
Düregger: Es ist struktureller Rassismus, wenn mein Schwarzer Freund gar nicht erst zum Bewerbungsgespräch oder zur Wohnungsbesichtigung eingeladen wird. Es ist subtiler Rassismus, wenn eine Frau an der Station Eberswalder Straße ihre Tasche nah an sich heranzieht, wenn mein Schwarzer Künstlerkollege sich auf den Platz neben sie setzt, um auf die Bahn zu warten. Es ist Racial Profiling, eine weitere Variante von Rassismus, wenn meine Schwarze Vereins-Kollegin als Einzige am Flughafen noch ein zweites Mal kontrolliert wird oder ein Schwarzer Projektteilnehmer mitten beim Workshop im Mauerpark von der Polizei nach seinem Ausweis gefragt wird. Als Einziger.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst in Institutionen wie Kita und Schule gemacht?
Düregger: Mit drei Jahren sagte meine Tochter: „Mama, ich will nicht mehr braun sein.“ Weil alle Mädchen in der Kinderballett-Probestunde langes, blondes, wallendes Haar hatten. Noch immer wird zudem angenommen, dass Kinder keinen Rassismus kennen würden. Das ist ein weit verbreiteter Mythos – oder eine naive Annahme.
Schon kleine Kinder sind rassistisch?
Düregger: Wenn ein Erstklässler erzählt, „Wir kaufen unser Obst immer beim Türken!“, dann weiß ich, wie zu Hause gesprochen wird. Dann ist der „Türke“ entmenschlicht, es ist kein Mensch, sondern eine Funktion. Dann gehen sie vermutlich zum „Italiener“ essen und lassen ihre Klamotten beim „Asiaten“ ändern. Das hören und lernen Kinder von ihren Eltern. Sie müssen schon früh lernen, welche Wörter weh tun und was man stattdessen besser sagt.
Balde: Das zieht sich durch viele Bereiche. Die coolen Schwarzen, die Hiphop tanzen, die Schwarzen Mädels, mit dem „geilen Arsch“. Eben nicht der schlaue Finanzberater bei der Sparkasse. Damit werden Bilder, oder besser Stereotypen vorgegeben, die sehr lange nachwirken.
Interessant ist hierbei, dass wir uns als Gesellschaft relativ einig sind, dass wir zum Beispiel das Wort „Krüppel“ für Menschen mit einer Beeinträchtigung unseren Kindern schon lange nicht mehr beibringen. Aber beim N-Wort scheint es immer noch okay zu sein. Weil es ja „nicht so gemeint ist“.
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Und wie sind Ihre Erfahrungen mit Lehr- und Erziehungspersonal?
Düregger: Dass das achtjährige Afro-Deutsche Kind heulend oder zumindest sehr traurig nach Hause kommt, weil das N-Wort von anderen Kindern in der Umkleidekabine gerufen wurde und die Sportlehrerin nicht eingeschritten ist – diesen oder einen ähnlichen Moment kennen viele Eltern.
Die Grundschule hat ein rassistisch motiviertes pädagogisches Problem, wenn meine Afro-Deutsche Tochter bei einem Konflikt auf dem Schulhof, bei dem sie nur daneben steht, als Aggressorin ausgemacht wird und vom Klassenlehrer vor der ganzen Klasse angebrüllt wird. Als Einzige.
Wie sieht es da im vermeintlich aufgeklärt-bürgerlichen Milieu in Prenzlauer Berg aus?
Düregger: Tja, leider müssen wir genau bei dieser Gruppe die dicksten Bretter in puncto Anti-Rassismus bohren. Wir stoßen da auf besonders Lern-Resistente. Die Prenzlberger Akademiker*innen glauben nämlich, dass sie so gebildet sind, dass sie zum Beispiel das N-Wort nach ihrer Facon benutzen können und es ausreichend ist, wenn sie es „ja in ihrer ursprünglichen Form“ meinen. Was auch immer das sein soll, denn das Wort war immer schon entmenschlichend gemeint.
[Polizist und Aktivist im Streitgespräch: Lesen Sie hier mit TPlus ein Streitgespräch über institutionellen Rassismus bei der Polizei.]
Balde: Dadurch, dass die Mehrheit hier weiß ist und einen akademischen Hintergrund hat, wird das Thema Rassismus gerne weggeschoben – als sei es hier kein Problem. Es ist vor allem schwer, studierten und belesenen Menschen zu erklären, wie vielschichtig Rassismus ist und wie Betroffene sich tagtäglich fühlen.
Die meisten denken von sich, dass sie schon sehr aufgeklärt, weltoffen und solidarisch sind. Doch oft bleibt es leider nur bei diesen Worten und es folgen wenig bis keine Aktionen. Ich nenne diese Haltung passiv-offen. Denn die Behauptung, offen zu sein, allein reicht nicht aus.
Gerade in Prenzlauer Berg sind viele sind gar nicht so tolerant, wie sie glauben machen wollen?
Düregger: Es ist zwar schön, dass ein relativ offenes und liberales Klima im Ortsteil herrscht, wo wir auch unsere Treffen organisieren. Aber ich stelle leider auch fest, dass zu viele gegen etwas sind, aber nicht für etwas. Viele sind selbstverständlich gegen die AfD, gegen rechts, gegen Intoleranz. Aber beim Für wird es schon schwieriger.
Wofür sollten sie denn konkret sein?
Düregger: Sind sie bereit, eine alleinstehende Frau aus Guinea-Conakry, die mit ihren vier Kindern jetzt in einer Pankower Gemeinschaftsunterkunft lebt, beim ersten Gespräch mit der Lehrerin zu unterstützen, weil der zehnjährige Sohn seit drei Monaten mit Gorilla-Lauten vom Schulbus bis zu seinem Klassenraum begleitet wird?
Sind sie bereit, einer jungen nigerianischen Mutter in Erziehungsfragen zu helfen, die in Libyen aufgrund von Zwangsprostitution ein Trauma erlitten hat?
Balde: Oder machen wir es eine Spur sanfter: Verstehen sie, dass die Frage „Wo kommst du her?“ bei POCs, egal ob bei Kindern oder Erwachsenen, zu einer zugeschriebenen Herkunftslosigkeit führt? Weil diese ach so gut gemeinte Frage impliziert: „Warum sprichst du deutsch, bist aber nicht weiß?“
Eine Zwischenfrage zur Begriffsklärung: Schwarz, dunkelhäutig, farbig, People of Colour – was ist okay, was nicht?
Balde: People of Colour, Schwarz oder Afro-Deutsch sind Begriffe, die Betroffene für sich selbst gewählt haben und deswegen in ihrer Verwendung sehr zu begrüßen sind. Der Prozess mit diesen Begriffen ist dynamisch, es ändert sich immer wieder mal. Und am Ende ist wichtig zu verstehen, dass es auch nur Behelfsbegriffe, also Wortkrücken sind. Das Ziel ist, dass diese Begriffe irgendwann nicht mehr nötig sind und wir einfach von Menschen sprechen.
Das N-Wort oder „farbig“ sind Begriffe, die in der Sklaven- und Kolonialzeit und in der Apartheid von weißen Menschen entstanden sind. Auch „Stamm“ ist darunter zu fassen, weil das Wort sofort den Bezug zu „primitiv“ herstellt. Da sollte man einfach von „Ethnie“ sprechen.
Wie groß ist die Schwarze Community in Pankow?
Düregger: Das ist zahlenmäßig sehr schwer zu sagen. Weil es keine offizielle Statistik dazu gibt – was eigentlich wichtig wäre. Was ich aber aufgrund meiner Arbeit mit dem Verein Total Plural sagen kann ist, dass die Community in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren sichtlich gewachsen ist. Mittlerweile gibt es in fast jeder Klasse einer Grund- oder Oberschule und in jeder Kita ein bis zwei Schwarze Kinder. Aber die Schwarze Community in Pankow gibt es so auch nicht.
Sondern?
Düregger: Diese Gruppe von Menschen ist absolut divers und nicht vergleichbar etwa mit der polnischen Community in Pankow. Die eint in Herkunftsland, eine Sprache, eine Religion und eine Geschichte. Es gibt People of Colour im Bezirk, die aus einem afrikanischen, den USA oder einem südamerikanischen Land oder der karibischen Region kommen. Sie können auch aus einem europäischen Nachbarland wie Frankreich, Großbritannien, Polen oder Schweden nach Pankow hinzugezogen sein. Dann gibt es Schwarze Deutsche, die also irgendwo in Deutschland geboren wurden und jetzt in Pankow leben. Hinzu kommen gebürtige Schwarze Berliner*innen und zunehmend gibt es seit 2015 auch Schwarze Neu-Berliner*innen mit Fluchthintergrund, die in einer der insgesamt elf Gemeinschaftsunterkünften im Bezirk leben.
Verbindet diese Menschen also nichts?
Düregger: Doch, nämlich als Schwarze Person in der weißen Pankower Mehrheitsgesellschaft wahrgenommen zu werden. Die meisten haben eine permanente Rassismus-Erfahrung. Aber Schwarze Menschen nur deswegen zu einer Community ja schon fast zwangszuvereinen, geht eigentlich nicht.
Was muss sich aus Ihrer Sicht in dieser weißen Mehrheitsgesellschaft ändern?
Düregger: Dass Menschen wirklich dazulernen, sie ihre Sprache ändern, weil sie einsehen, dass früher gewisse Begriffe eben auch schon sehr entmenschlichend waren. Dass sie sich selber bilden, indem sie ein Buch einer oder eines Schwarzen Autor*in lesen. Dass sie einen Begriffe wie „farbig“, der diskriminierend ist, weil er nicht selbstbestimmt ist, selbst googeln, sich im Internet Videos über den Privilegien-Test anschauen, dass sie mit auf die Black-Lives-Matter-Demo kommen und sich als weiße Person solidarisch zeigen.
Dass sie einfach zuhören, wenn ein*e Freund*in of Colour sagt, was sie verletzt. Das alles ist leider wirklich eine ganz große Ausnahme. Aber es kommt ganz langsam Bewegung in die Sache. Dank unermüdlicher und aktiver Menschen.
Frau Balde, wie sollen Weiße ganz konkret auf Rassismus-Berichte und -Beobachtungen reagieren?
Balde: Betroffenen muss zugehört und geglaubt werden, wenn sie Benachteiligungen ansprechen und kritisieren. Den Mund aufzumachen, wenn du im Alltag eine rassistische Situation mitbekommst. Denn damit lässt du die betroffene Person nicht allein und zeigst demjenigen/derjenigen, die sich gerade rassistisch verhalten hat und allen, die drumherum stehen, dass Rassismus keine Meinung ist. Und du machst auch klar, dass du als Teil der Gesellschaft das nicht akzeptierst.
„Kolonialgeschichte muss im Geschichtsunterricht behandelt werden und vor allem mit selbstkritischem Blick“
Und was muss sich in den Institutionen in Berlin und Pankow, auch im Bezirksamt verbessern?
Balde: Vieles. Mehr Diversität und aktive Offenheit in Schulen, Freizeitangeboten, Politik und allen anderen Bereichen. Kolonialgeschichte muss im Geschichtsunterricht behandelt werden und vor allem mit selbstkritischem Blick. Weiterbildungen und Workshops zum Thema Rassismus und Diskriminierung, die von Schwarzen durchgeführt werden für Schüler*innen, Lehrkräfte und Sozialpädagog*innen. Es heiß zwar oft, dass die Institutionen offen seien und sich gegen rechts positionieren, aber in der Praxis sieht das Ganze anders aus.
Wie denn?
Balde: Vor allem die Kunstszene ist in Pankow noch sehr weiß. Von Sexismus und Klassismus abgesehen, werden Ideen von Schwarzen Personen seltener gefördert und unterstützt. Das raubt mir die Lust und Motivation, als Schwarze Person überhaupt in diesem Bereich zu arbeiten. Ich möchte mehr Theater- und Tanzstücke von und mit Schwarzen Menschen sehen.
Generell ist es wichtig, dass Schwarze Personen im Alltag, egal in welchen Berufen, mehr vertreten sind, damit vor allem Kinder schon früh Vorbilder haben, mit denen sie sich identifizieren können.
Düregger: Belange Schwarzer Menschen werden in Pankow nicht differenziert betrachtet. Das ist ein Problem und das soll sich ändern. Wir sind in der Pankower Integrationsarbeit seit 2008 aktiv, das heißt, unser Verein erhält seit zwölf Jahren Projektgelder aus diesem Bereich und hat sozusagen den Auftrag, für die Afro-Deutschen Themen da zu sein. Allerdings sind die Gelder mit jedem Jahr weniger geworden, während sie bei anderen Trägern sogar verachtfacht wurden.
Das Bezirksamt darf sich angesprochen fühlen?
Düregger: Unser Monatsformat „Afro-Deutsche Ateliers“ und auch schon der Vorgänger, die „Afro-Deutsche Spielgruppe“ wurden in fünfzehn Jahren weder vom Bürgermeister, noch von Katarina Niewiedzial, der ehemaligen Integrationsbeauftragten des Bezirks und der jetzigen Berliner Integrationsbeauftragten, jemals persönlich besucht.
Ich habe das immer wieder angesprochen, kritisiert, eingefordert, höflich daran erinnert, immer wieder eingeladen. Denn eigentlich ist die Zusammenarbeit an manchen Stellen ganz gut. Aber hier hat sie versagt.
Das ist schon ein harter Schlag in Richtung Motivation, wenn man bedenkt, dass alle anderen Träger schon mindestens ein Mal besucht wurden. Das ist einfach sehr, sehr schade und nicht das richtige Signal aus dem Bezirksamt.
Gibt es sonst Signale aus der Verwaltung?
Düregger: Ich rege seit drei Jahren einen Fachtag oder eine Konferenz zum Thema Rassismus an, ohne Erfolg. Ich habe 2017, nachdem eine Gruppe kamerunischer Menschen im Mauerpark von BFC-Anhängern tätlich angegriffen wurde, den Vorschlag gemacht, dass dazu eine Aktion im Bezirk gemacht werden soll. Auch ohne Erfolg.
Also, es ist zu kritisieren, dass unsere Stimme da nicht wirklich gehört wird. Ich wünsche mir, dass jetzt Taten folgen, keine Entschuldigungen oder Ausreden mehr.
Im Januar fand immerhin der erste Pankower „Ball der Vielfalt“ statt.
Düregger: Die Idee für das Format kam in zwei öffentlichen Veranstaltungen, also gut hörbar, von mir. Als Österreicherin weiß ich um die Wirkung von Bällen und Galas. Bis heute bekommen ich beziehungsweise der Verein aber keine Anerkennung dafür. Trotz des Wunsches nach Erwähnung, nicht mehr und nicht weniger, weil Ausdruck von Wertschätzung, wird bis heute der Verein diesbezüglich nicht genannt. Ich weiß nicht, sind das alles Zufälle?
Bisher wollte Pankow sich eher mit der kulturellen Vielfalt schmücken, als mit der Kehrseite der globalen Mobilität, dem Rassismus. Ich verstehe schon, dass ein Plakat „Pankow ist bunt“ sich besser macht als „Pankow – wir haben ein Rassismusproblem“. Aber es hilft nichts.
Wir müssen da ran und wir sind als Verein gerne dabei, wenn unsere Stimme endlich gehört wird. Ansonsten können wir auch gut und gerne woanders unsere Partner*innen suchen. Berlin ist groß.