zum Hauptinhalt
Bei der der Plenarsitzung im Berliner Abgeordnetenhaus am Donnerstag war eine neue Sitzordnung vorbereitet worden.
© Britta Pedersen/dpa

AfD, CDU und FDP scheuen direkte Angriffe: Schwierige Zeit für Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus

In der Krise fällt es dem Parlament zunehmend schwerer, seine Kontrollfunktionen wahrzunehmen und trägt den Corona-Kurs von Rot-Rot-Grün weitgehend mit.

Dass es keine normale Plenarsitzung werden würde, war absehbar. Nachdem das in der Vorwoche abgesagte Treffen aller Abgeordneten auf vergangenen Donnerstag verlegt worden war, versammelte sich etwas mehr als die Hälfte der sonst 160 Parlamentarier unter strengster Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln. Zuvor war die Sitzordnung des Plenarsaals umgebaut worden, auch auf den Tribünen saßen Abgeordnete statt Besucher.

Und noch etwas war anders an diesem nur drei statt wie üblich mehr als zehn Stunden dauernden Plenartag: der Ton. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) wandte sich in seiner Regierungserklärung zum in der Stadt grassierenden Coronavirus der Opposition zu, dankte „ausdrücklich“ für deren Unterstützung. CDU-Fraktionschef und Oppositionsführer Burkard Dregger revanchierte sich und sicherte Müller „die Unterstützung der CDU-Fraktion“ zu.

Ein nobler Zug, schließlich ist die momentane Situation gerade für die Opposition alles andere als einfach. In Zeiten der Krise leiden die parlamentarische Debatte und Kontrolle. Statt oft als langwierig wahrgenommene Gesetzgebungsverfahren regeln Rechtsverordnungen den Alltag, schränken Freiheitsrechte vehement ein.

Selbst die folgenschwere, vom Senat verhängte Kontaktsperre wurde formal ohne Beteiligung der Opposition beschlossen – wenngleich CDU, FDP und auch AfD sie inhaltlich unterstützen. Den Finger in die Wunde legen, die Regierung vor sich hertreiben, kritisieren und letzten Endes zu besseren Ergebnissen zwingen, all das fällt schwer in einer Zeit, in der Verlangsamung nur allzu leicht als Blockade oder gar Quertreiberei diskreditiert werden kann.

Für die Opposition schmerzhaft, die Lage aber treffend beschreibend, dankte Müller in seiner Rede dafür, „dass sie es sogar akzeptieren, dass wir ihre Kontrollrechte einschränken müssen.“ Er fügte hinzu: „Diese konstruktive Zusammenarbeit gibt vielen Menschen in dieser Stadt Hoffnung und Vertrauen. Danke!“

Keine Zeit für „parteitaktische Spielchen“

In der erklärtermaßen auf die Übernahme des Bürgermeisterpostens gepolten CDU sind sie unter den gegebenen Umständen offenbar bereit, diese Rolle anzunehmen. Sowohl Dregger als auch Heiko Melzer, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, erklärten, die aktuelle Lage lasse keine Zeit für „Fundamentalopposition“ (Dregger) oder „parteitaktische Spielchen“ (Melzer). „Wir werden das leider nicht immer glückliche Krisenmanagement des Senats weiter konstruktiv-kritisch begleiten. Dabei bremsen und bekämpfen wir nicht den Senat, sondern wir unterstützen ihn, damit er schnell und entschlossen handelt“, sagte der Fraktionschef.

Melzer ergänzte: „Wir bieten dem Senat unsere Unterstützung immer dann an, wenn er konstruktive, der Situation angemessene Schritte plant und werden im Zweifel auch für die nötigen Mehrheiten sorgen.“ Ein Hinweis auf eine Debatte, die später eine Rolle spielen wird.

Tatsächlich hatten sich CDU und FDP zuletzt um Konstruktivität bemüht. In einer Phase, als das Coronavirus Berlin längst erreicht hatte, der Senat vor dem Ergreifen einschneidender Maßnahmen aber noch zurückschreckte, mahnten sie zur Entschlossenheit, machten eigene Vorschläge. Die Christdemokraten legten gar einen 22-Punkte-Plan zur Eindämmung der Pandemie in Berlin vor und erfuhren dafür von Müller Anerkennung.

Die Möglichkeiten der Einflussnahme sind ausgeschöpft

In der jüngsten Sitzung des Hauptausschusses wiederum unterstützten CDU, FDP und AfD dann die von Rot-Rot-Grün im Rekordtempo aufgelegten Millionenhilfen für die Bekämpfung der Corona-Folgen. In der gleichen Sitzung stritten sich die Koalitionäre über die Finanzierung des Krisenkrankenhauses auf dem Messegelände.

Auf der anderen Seite, und das beschreibt das Dilemma der Opposition in Zeiten der Coronakrise, sind die Möglichkeiten der Einflussnahme damit aktuell mehr oder minder ausgeschöpft. Zwar loben Vertreter von CDU, FDP und selbst AfD-Fraktionschef Georg Pazderski die nach anfänglichen Schwierigkeiten etablierte Einbindung in Regierungshandeln „auf dem kurzen Dienstweg“, beispielsweise über die Beteiligung an Telefonkonferenzen des Senats.

Über Anregungen und das Stellen von Verständnisfragen hinausgehende Einflussnahme ist allerdings kaum möglich. Ein Großteil der die parlamentarische Kontrolle gewährleistenden Ausschüsse entfällt aktuell, auch weil das Abgeordnetenhaus in puncto digitale Beteiligungsformate, beispielsweise Ausschusssitzungen via Video- oder Telefonkonferenzen, hinter den Parlamenten anderer Bundesländer hinterherhinkt. Nicht nur Brandenburg ist da weiter.

„Oppositionsrechte müssen gewahrt bleiben“

Deshalb und vor dem Hintergrund einer von SPD und CDU unterstützten Initiative zur Einrichtung eines Notparlaments, üben die Freidemokraten auch Kritik. „Die Rechtfertigungsnotwendigkeit ist umso größer, wenn Minderheitenrechte eingeschränkt werden“, erklärt Christoph Meyer, Chef des Berliner FDP-Landesverbands. „Alles, was getan werden kann, um das Parlament mitzunehmen, muss getan werden“, fügt er hinzu.

Lars Lindemann, kommissarischer Generalsekretär der Partei, ergänzt: „Oppositionsrechte müssen gewahrt bleiben, gerade in Krisenzeiten.“ Bernd Schlömer, in der Fraktion Sprecher für Bürgerrechte, übt gar grundsätzliche Kritik am rot-rot-grünen Krisen-Kurs des Regierens über Rechtsverordnungen und erklärt: „Prinzipiell hätte das Parlament derartig weitgehende Bürgerrechtseingriffe beschließen müssen. Wir müssen Wege finden, wie man das Parlament auch in Krisenzeiten beteiligt.“

AfD, FDP und Grüne lehnen Verfassungsänderung ab

Für die AfD erklärte Pazderski kürzlich: „Jetzt getroffene Maßnahmen dürfen nicht unsere freiheitliche Demokratie dauerhaft beschädigen.“ Seine Fraktion lehnt Pläne für eine Verfassungsänderung, um das Parlament künftig notfalls mit 27 statt 81 Abgeordneten beschlussfähig zu halten, genau wie FDP und Grüne entschieden ab.

Mit Silke Gebel war es die Fraktionschefin der Grünen, die am Donnerstag ein deutliches Plädoyer für die Wahrung parlamentarischer Mitbestimmung und Kontrolle auch in Ausnahmesituationen hielt. „Gerade in der Krise braucht es starke Parlamente. Wir dürfen als Parlament der Exekutive nicht allein das Regieren überlassen“, sagte sie und erinnerte die Abgeordneten aller Fraktionen an ihre „Aufgabe, die Exekutive zu kontrollieren“. Der Beifall für diese Sätze folgte prompt, vor allem von den Mitgliedern der Opposition.

Zur Startseite