Schulbeginn in Berlin: Schulleiter sieht unhaltbare Zustände wegen Baulärms
An 280 Berliner Schulen wurde in den Ferien renoviert. Viele Klassenzimmer glänzen wie neu. Andernorts sind die Arbeiten noch in Gang - und Unterricht wegen des Lärms unmöglich.
Ihren Schuljahresbeginn 2018 werden die Kinder der Friedrichshainer Hausburgschule wohl in lebendiger Erinnerung behalten. Anstatt ihre neuen Schulbücher in Augenschein zu nehmen, durften etliche Klassen raus zum Wandertag – um dem Lärm von Presslufthammern und Baustaub zu entgehen. Die Eltern wandten sich gleich am Montag mit einem Beschwerdebrief an die Bildungssenatorin, und baten um Unterstützung: "Uns Eltern wurde berichtet, dass die Bauarbeiten ca. zwei Monate in Verzug sind - demnach stehen uns also noch alle Arbeiten bevor, die in den Sommerferien durchgeführt werden sollten", heißt es in dem Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt.
Das Szenario an der Hausburgschule dürfte dieses Jahr kein Einzelfall bleiben. An rund 280 Schulen wurde während der Ferien gebaut und nicht überall ging es so glatt wie an der Schöneberger Lindenhof-Schule, wo bereits am vergangenen Freitag die Wiedereröffnung des sanierten und mit neuen Spielgeräten verschönerten Schulhofes gefeiert werden konnte. Vielmehr gibt es etliche Berichte aus Schulen, die von Baufirmen im Stich gelassen wurden oder aus anderen Gründen ihre Räume noch nicht nutzen können. Die überhitzte Baukonjunktur wird zunehmend zum Problem.
Die Baufirmen werden knapp
„Es ist immer schwieriger Baufirmen zu finden“, sagte Andy Hehmke (SPD), Bildungsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg. Wenn es überhaupt Angebote gebe, seien sie oft überteuert. Nachdem er sich am Montag im Bauamt über den aktuellen Stand der Bauarbeiten an der Hausburgschule informiert hatte, bestätigte Hehmke gegenüber dem Tagesspiegel die problematische Situation: "In der Tat haben sich einige besonders lärm- und staubintensive Arbeiten, die eigentlich in den Ferien stattfinden sollten, verzögert". Dies beeinträchtige den Schulbetrieb derzeit "in erheblicher Weise". Schulamt, Fachbereich Hochbau und Schule arbeiteten mit Hochdruck an einer Lösung. Ein abschließendes Ergebnis erwarte er aber erst in den kommenden Tagen. Bis dahin müsse "leider improvisiert werden" - etwa mit Tagesausflügen.
Sind die Presslufthammer am Mittwoch fertig?
Von den Zuständen hatten die Eltern am Wochenende nur erfahren, weil das Kollegium bei den Präsenztage darauf aufmerksam geworden war. Eine Lehrkraft berichtete über Atembeschwerden der Kollegen infolge der „riesengroßen Staubwolken“, die trotz eines eingesetzten Wassersprengers den Hof erfüllten und sich in den Räumen ausbreiteten: Die Fassaden werden mit Presslufthammern abgeschlagen. Dem Vernehmen nach waren dafür drei Wochen veranschlagt - inklusive Verkleben der Fenster und Verhängen der Fassaden mit Planen. "Zu wenig", hieß es dazu seitens von Baufachleuten. Ob für diese Fehleinschätzung tatsächlich die Firma zuständig ist oder das Bauamt - dazu gab es am Montag verschiedene Einschätzungen. Ebenso darüber, wann wieder normaler Schulbetrieb möglich ist: Offiziell hieß es am Montag in der Schule, dass Mittwoch der reguläre Unterricht beginne. Inoffiziell waren andere Prognosen zu hören.
Die Schule ist seit langem Baustelle
Die Probleme wiegen umso schwerer, als die Schule schon seit langem Baustelle ist: Um Pfingsten gab es zuletzt größeren Ärger, weil neue Ausweichcontainer mangels Abnahme durch Brandschutzfachleute nicht bezogen werden konnten, berichtet Gesamtelternsprecher Stefan Wessel. Der Altbau der Schule an der Hausburgstraße ist in einem jämmerlichen Zustand - ganz anders als der benachbarte Neubau an der Eberty-Straße, der für die ersten und zweiten Klassen genutzt wird. Auch die hochmoderne Turnhalle ist auf der Habenseite der Schule; allerdings war sie rund zwei Jahre lang wegen der Belegung durch Geflüchtete nicht nutzbar. Auch die sehr intensive Kooperation mit Alba Berlin und der deutsch-spanische Zug der Staatlichen Europaschule Berlin gehören zu den Besonderheiten der Schule, die direkt gegenüber dem alten Schlachthof gelegen ist und im Jahr 1902 von Stadtbaurat Ludwig Hoffmann entworfen worden war.
Container in Köpenick
Ernüchternd war auch der Schulbeginn in der Köpenicker Merian-Schule: Eine Vertreterin des bezirklichen Bauamtes berichtete in der rbb-„Abendschau“, dass die Trockenbaufirma nicht erschienen sei. Mehrere Klassen müssten daher in behelfsmäßigen Containern unterrichtet werden. Auch die überfällige Außensicherung der Spreewald-Schule konnte nicht beginnen, weil zunächst nur ein einziges, überteuertes Angebot einging und später der zugesagte Kran nicht kam. Andere Kollegien stellten entsetzt fest, dass über die Ferien die Grundreinigung ausgeblieben war. Das galt auch für die Lietzensee-Grundschule in Charlottenburg. Auch hier wurde der Unterricht am Montag nach draußen verlagert, denn wegen vorangegangener Schleifarbeiten war ein Schulbeginn ohne gründliche Reinigung der Räume nicht denkbar.
Ein Kleinod wird wieder sichtbar
Sogar rund zwei Jahre länger als geplant soll die Sanierung der von Bruno Taut gestalteten Lindenhof-Schule gedauert haben, deren neuer Schulhof am Freitag gefeiert wurde. Allerdings hat sich das Warten gelohnt: Schulleiterin Monika Stein berichtet vom alten Eingangsbereich, der jahrzehntelang gesperrt und als Geräteabstellfläche zweckentfremdet worden war. Jetzt kann man den ursprünglichen Steinfußboden und das historische Deckengewölbe bewundern und – wenn man hinaustritt – sogar die Sichtachse mitsamt Weiher.
Terrazzo unter dem Linoleum
Andernorts – wie etwa am Hermann-Hesse-Gymnasium in Kreuzberg – kam Dank der aktuellen Sanierung der aufwendige Terrazzoboden unter dem abgetragenen Linoleum wieder zum Vorschein. Die 558 Millionen Euro, die im Jahr 2018 in die Schulen fließen, dienen eben nicht nur der Sanierung verwitterter Fenster und undichter Dächer sondern verhelfen auch etlichen denkmalgeschützten Schulen des legendären Berliner Stadtbaurates Ludwig Hoffmann zum ursprünglichen Glanz – wie eben auch der Hausburg-Schule, die er 1902 errichtet hatte.
Gleichzeitig aber gehen die aktuellen Planungen längst über die reine Sanierung hinaus, denn im Hausburgkiez und dem angrenzenden Samariterkiez steigen die Schülerzahlen so stark, dass Stadtrat Hehmke bis 2024 mehr als 1000 Grundschüler zusätzlich unterbringen muss, während die drei dortigen Grundschulen schon jetzt voll sind und es im Innenstadtbereich kaum noch Freiflächen gibt.
360.000 Schüler kehren zurück
Schon ist geplant, dass in das Inspektorenhaus des Heinrich-Hertz-Gymnasiums Grundschulkinder einziehen, später sollen sie das ganze Gymnasium übernehmen. Im Gegenzug soll dann das Gymnasium in einigen Jahren einen Neubau am Ostbahnhof erhalten. Hehmke diagnostiziert eine „Notsituation“. Ein Schuljahresanfang wie 2018 mit Presslufthammern und Wandertagen wird allerdings keine Ausnahmen bleiben, wenn aus den jetzt 360.000 Schülern, die - allein an den allgemeinbildenden Schulen - am heutigen Montag aus den Ferien zurückkehren, bald mehr als 400.000 geworden sind.