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Schulabschluss ohne Abschlussprüfungen. Das streben die Berliner Schüler wegen der Coronakrise an.
© dpa/Armin Weigel
Update

Mathe-Abi 2019 zu schwer?: Schüler sammeln 80.000 Unterschriften

Das Mathematik-Abitur soll zu schwierig gewesen sein, sagen Schüler und protestieren mit Onlinepetitionen. Überraschende Unterstützung aus Brandenburg.

Das Mathematik-Abitur ist immer wieder für eine Aufregung gut. Und in diesem Jahr ganz besonders, denn ausnahmsweise kommt der Protest über angeblich zu schwere Aufgaben nicht aus Berlin, sondern aus Bayern – und hat auf weitere Bundesländer übergegriffen. Bislang sind rund 80.000 Unterschriften in diversen Onlinepetitionen zusammengekommen sein. Die Bildungsministerien prüfen die Vorwürfe: Bundesweit wurden die Klausuren am Freitag geschrieben. Kritik von Lehrerseite gab es am Dienstag aus dem Brandenburger Pädagogenverband.

In den Ländern werde jetzt „genau in die Aufgaben hineingeschaut, ob die Kritik der Schüler berechtigt ist“, kündigte der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz (KMK), Udo Michallik, gegenüber dem Tagesspiegel am Montag an. Allerdings hätten Landeskommissionen, in denen Lehrkräfte, Landesinstitute für die Schulqualität und Bildungsverwaltungen über die Abituraufgaben entscheiden, ihm „unisono“ erklärt, dass es gegenüber den Aufgaben aus den Vorjahren „keine Abweichungen im Schweregrad“ gebe.

Mit Abstand die meisten Unterschriften in Bayern

Etliche Schüler sehen das anders: Das Abitur 2019 habe „plötzlich“ Aufgabenstellungen enthalten, „die vorher kaum einer gesehen hatte“, heißt es in der bayerischen Onlinepetition, die mit weit über 60.000 Unterstützern bis Montagabend die mit Abstand größte Resonanz aufwies. „Vor allem der Geometrie B Teil und der Stochastik B Teil waren so schwer, wie in keiner der vergangenen Abitur-Prüfungen“, schreibt die Schülerin, die die Petition gleich nach der Prüfung am Freitag erstellt hatte. Daher bittet sie das Bildungsministerium, „den Notenschlüssel des Mathematik-Abiturs in Bayern 2019 zu senken und dem Schwierigkeitsgrad anzupassen“.

Bayerns Ministeriumssprecher Günther Schuster sagte dem Tagesspiegel, dass sein Haus jetzt „belastbare Hinweise“ suche. Die Petition sei „ein Indiz“, man wolle alles genau prüfen und Stichproben nehmen sowie Lehrer und Fachberater einbeziehen. Unterstützung bekamen die Schüler vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband. Verbandspräsidentin Simone Fleischmann sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur, in einem Teil der Prüfung habe es sehr viel – auch unnötigen – Text gegeben. „Eklatant viele“ Schüler seien deswegen nicht rechtzeitig fertig geworden.

Je zwei Petitionen in Berlin und Thüringen

Nachdem sich die große Resonanz auf diese Petition herumgesprochen hatte, sprangen Abiturienten immer weiterer Bundesländern auf das Thema: In Badem-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen etwa wurden Online-Unterschriftensammlungen gestartet, in Thüringen und Berlin sogar zwei, wobei eine der beiden Berliner Petitionen auch Brandenburg einschloss. Die Petitionsplattform Change.org nannte am Abend noch Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, erwähnte aber Hamburg nicht. Aus der Hamburger Bildungsbehörde hieß es allerdings am Abend auf Anfrage, dass auch Abiturienten der Hansestadt eine Petition gestartet hätten. Auf eine hohe fünfstellige Zahl an Unterstützern wie in Bayern kam bis Montagabend allerdings kein anderes Bundesland, vielmehr waren es überwiegend zwischen wenigen hundert und 4000 pro Land.

Landesschülerausschuss startete Abfrage

Während in Bayern alle 37000 Abiturienten in Mathematik die gleiche Prüfung ablegen müssen, ist die Lage in Ländern wie Berlin völlig anders: Hier ist Mathematik kein Pflichtfach im Abitur. Stattdessen wählten in diesem Jahr rund 2700 Schüler den Mathematik-Leistungskurs und knapp 4300 Schüler den Mathematik- Grundkurs.

Zu denen, die die Mathematikprüfung am Freitag im Leistungskurs schrieben, gehörte auch Berlins Landesschülersprecherin Eileen Hager. Sie selbst fand die Klausur nicht auffällig schwer, allerdings hat sie zusammen mit dem Landesschülerausschuss eine Umfrage gestartet, um herauszufinden, wie die anderen Berliner Abiturienten den Schwierigkeitsgrad einschätzen. Bisher reicht der Rücklauf aber nicht für eine Einschätzung.

„Gegenwärtig gibt es für Berlin keine Anhaltspunkte dafür, dass unmittelbare Konsequenzen notwendig sind. Auch aus Brandenburg, die ja den gleichen Aufgabenpool nutzen, haben wir bisher nicht gehört, dass Konsequenzen notwendig seien“, sagte auf Anfrage Thorsten Metter, der Sprecher der Berliner Bildungsbehörde. Wie berichtet, gab es in der Vergangenheit immer eher Kritik an zu leichten Mathematik-Prüfungen in Berlin - nicht nur im Abitur, sondern auch beim Mittleren Schulabschluss.

Kritik an Poolregelung für Abituraufgaben

Infolge der Petitionen tauchte auch die Frage auf, ob es sich bei den von den Schülern kritisierten Aufgaben um solche aus dem gemeinsamen Pool der Länder für Abituraufgaben handeln könnte. Von diesen Aufgaben, mit denen der Weg in Richtung eines Zentralabiturs auch in Mathematik geht, wurde bei der aktuellen Abiturprüfung „mindestens eine Aufgabe“ verwendet, sagte KMK-Generalsekretär Michallik auf Anfrage. Ob aber gerade diese Aufgabe(n) die Schüler überfordert hätten, lasse sich noch nicht sagen.

Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, sieht einen Zusammenhang mit dem gemeinsamen Aufgabenpool. Man müsse überprüfen, ob die Aufgaben inhaltlich vorbereitet wurden und ob sie in der Prüfung in der gegebenen Zeit zu lösen seien. Ansonsten müssten die Aufgaben künftig „inhaltlich und in der Zeitanforderung angepasst werden“. In der gegenwärtigen Situation sei denkbar, den Bewertungsschlüssel anzupassen, oder gar „die Schüler die Mathematik-Klausur noch einmal schreiben zu lassen, wenn das zeitlich möglich ist“.

Forderung nach bundesweit einheitlichem Abitur

Unterstützung kommt auch vom Präsidenten der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Friedrich Götze, Professor in Bielefeld: In Prüfungssituationen sei es schwierig, „wenn Schüler mit einem bestimmten Typ von Textaufgaben konfrontiert werden, den sie nicht kennen“. Ralf Treptow von der Vereinigung der Oberstudiendirektoren Berlin forderte am Montag einen „radikalen Schnitt“ – hin zu einem komplett einheitlichen Abitur in ganz Deutschland. Der Aufgabenpool produziere nur neue Probleme.

"Zu umfangreich": kritische Töne aus Brandenburg

Für Verwunderung sorgte am Dienstag Hartmut Stäker, der Präsident des Brandenburger Pädagogenverbandes, der zum bundesweiten Verband Bildung und Erziehung (VBE) gehört. Der Mathematiklehrer kritisierte die Aufgaben als "unterrichtsfremd" und "zu umfangreich" und wurde von der Deutschen Presseagentur dahingehend zitiert, dass er "15 Stunden" für das Lösen der Aufgaben gebraucht habe.

Diese Aussage eines voll ausgebildeten Studienrats mit dem Fach Mathematik halte er für "nicht nachvollziehbar", teilte am Dienstagabend Ferdinand Horbat vom Philologenverband Berlin-Brandenburg auf Anfrage mit. Nach "ersten Informationen" könne er die Aussage treffen, dass es an seiner Berliner Schule "keine Beschwerden" gegeben habe. Ferner sei nach Aussage der Fachbereichsleiterin Mathematik nach der Hälfte der Korrekturen der ABI-Arbeiten "kein signifikant schlechteres Ergebnis festzustellen".

Ein Mathematikkollege aus dem Vorstand des Philologenverband, der selbst Fachleiter Mathematik sei, sagte laut Horbat am Dienstagabend, "dass sich an seiner Schule auch keine Schüler beschwert haben, die Aufgaben nicht schwerer erscheinen und sich nach den ersten Ergebnisse auch keine Hinweise für durchschnittlich schlechtere Noten abzeichnen". Berlin und Brandenburg schreiben gemeinsame Abiturklausuren.

Auch in den Vorjahren gab es Proteste

Dass Schüler mit Onlinepetitionen gegen angeblich zu schwere Abiturprüfungen protestieren, ist allerdings kein Novum: Schon 2018 gab es dieses Phänomen in mehreren Bundesländern – auch in Berlin, wo damals Tausende unterschrieben. Folgen sind nicht bekannt – auch nicht in Bezug auf den Berliner Abiturschnitt und die Bewertungsmaßstäbe. Bekannt ist nur, dass Berliner Mathematiklehrer - insbesondere an Gymnasien - einen Verfall des Anspruchsniveaus im Abitur beklagen.

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