zum Hauptinhalt
"Schulstreife"-Mitarbeiter vor dem Neuköllner Albert-Schweitzer-Gymnasium.
©  Doris Spiekermann-Klaas

Arbeitslose als Wachschützer: Neuköllner Gymnasium: Die Rückkehr der Sicherheit

Jetzt sind Langzeitarbeitslose am Neuköllner Albert-Schweitzer-Gymnasium als Wachschützer im Einsatz. Die Lehrer sind froh, Kritiker entsetzt. Der Bezirk fühlt sich vom neuen Senat im Stich gelassen.

Montagmorgen am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Neukölln. Es ist kurz nach acht, ein paar Schüler biegen von der Karl-Marx-Straße in den Hof zur Schule ab und laufen auf die Eingangstür zu. Die Schule liegt etwas zurückgesetzt an der viel befahrenen Straße, der Hermannplatz ist nur ein paar hundert Meter entfernt. In den letzten vier Jahren standen Wachschützer im Eingangsbereich der Schule, doch nach den Weihnachtsferien war plötzlich niemand mehr da. Wie berichtet konnte sich Neukölln das einstige Vorzeigemodell von Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) nicht mehr leisten. 700 000 Euro hatte die Bewachung von insgesamt 16 Schulen in Neukölln zuletzt gekostet.

Prompt fanden Schüler am Donnerstag nach den Weihnachtsferien am nun unbewachten Albert-Schweitzer-Gymnasium zwei schulfremde Drogenabhängige auf der Jungentoilette – einer anscheinend bewusstlos mit einer Spritze im Arm. Die Schüler waren geschockt, die Eltern besorgt, die Lehrer sahen ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

Der Bezirk reagierte schnell. Bildungsstadträtin Franziska Giffey (SPD) widmete die vom Jobcenter Neukölln zur Sicherung des Schulwegs bewilligten „Schulstreifen“ in De-Facto-Wachschützer um. Und deshalb steht an diesem Montag wieder ein Sicherheitsmann vorm Albert-Schweitzer-Gymnasium. Mehmet H. trägt eine gelbe Warnweste. „Schulstreife“ steht darauf, darüber sind fröhliche Kindergesichter gezeichnet.

„Ist jetzt wieder ein Wachschutz hier? Schön, Sie zu sehen“, sagt ein Lehrer, der gerade ins Gebäude eilt. H. lächelt und nickt – obwohl er eigentlich kein Wachschützer ist. Aber er beobachtet jeden, der auf das Schulgebäude zugeht. Schülerausweise lässt er sich nicht zeigen, später, sagt er, wolle er auch einmal die Toiletten und den Eingangsbereich der Schule kontrollieren.

H. ist über die Maßnahme des Jobcenters zum Albert-Schweitzer-Gymnasium gekommen, genau wie die zwei Kollegen, die später am Tag dort ihren Dienst antreten. Insgesamt stehen der Schule drei „Schulstreifen“-Mitarbeiter zur Verfügung, sagt Bildungsstadträtin Giffey. Es handele sich um Langzeitarbeitslose, die als sogenannte MAE-Kräfte – früher sagte man „Ein-Euro-Jobber“ – arbeiten.

Weil die „richtigen“ entlassenen Wachschützer ja reguläre Arbeitsverhältnisse hatten, gibt es viel Kritik. „Das geht doch nicht“, sagt Eva Willig, die lange Jahre als Sozialarbeiterin in Neukölln arbeitete. „MAE-Maßnahmen sind nicht zulässig, wenn dadurch feste Jobs ersetzt werden.“

Bildungsstadträtin Giffey wird nicht müde, zu betonen, dass es sich um eine „Notlösung“ handele. Die „Schulstreife“ sei bewilligt worden, um – wie es auf der Homepage des Trägers steht – „Kinder vor Benachteiligungen, Beschädigungen und Übergriffen im Straßenumfeld zu schützen. Durch ihre Präsenz sichert sie die von Kindern frequentierten Laufwege zu Schulen und Kitas, Spielplätzen . . . Sportstätten, Bibliotheken und so weiter.“ Der Träger der Maßnahme legt Wert darauf, dass es sich bei der „Schulstreife“ nicht um einen herkömmlichen Wachdienst handelt. Allerdings sei sie „eine praktische Vorbereitung beziehungsweise Erprobung“ für Tätigkeiten in der Sicherheitsbranche etwa als Security-Kraft, Personenschutz, Objektschutz, Veranstaltungsschutz, Pförtner- und Empfangsdienst.

Wer ist zuständig - der Senat oder der Bezirk? Scheeres schweigt

Beim zuständigen Jobcenter Neukölln wollte sich gestern niemand zu der Problematik äußern – erst am heutigen Dienstag soll es eine Pressekonferenz dazu geben – gemeinsam mit Bildungsstadträtin Giffey. Der Bezirk fühlt sich beim Thema Wachschutz an Schulen allein gelassen. „Es kann nicht sein, dass sich das Land da völlig aus der Verantwortung zieht“, sagt Neuköllns Vizebürgermeister und Jugendstadtrat Falko Liecke (CDU).

Für die Sicherheit der Schulen, der Schüler und Lehrer sei in erster Linie der Staat zuständig, sagt er und bedauert, dass auch der neue Senat offenbar nicht an einer Problemlösung interessiert sei: „Es braucht eine Lösung für ganz Berlin, dazu müssten sich alle zusammensetzen. Die neue Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat bisher nur ihren Staatssekretär Stellung nehmen lassen, aber eigentlich müsste sie selbst da mal eine Duftmarke setzen,“ findet Liecke.

Tatsächlich war Sandra Scheeres bisher nicht für eine persönliche Stellungnahme erreichbar, die Bildungsverwaltung verwies auf das Statement ihres Staatssekretärs Mark Rackles (SPD). Dieser ist der Meinung, dass die Sicherheit der Schulen alleinige Aufgabe der Bezirke ist. Auch Bernd Krömer, Staatssekretär bei Innensenator Frank Henkel (CDU), sieht aktuell keine Möglichkeit für eine Weiterfinanzierung. Hingegen will die CDU-Fraktion im Rahmen der Haushaltsverhandlungen prüfen, „ob den Bezirken für Schulen in Brennpunkt-Kiezen zusätzliche Mittel für bauliche Maßnahmen zur besseren Sicherung des Schulgeländes gewährt werden können“.

Er war Wachschützer am Albert-Schweitzer-Gymnasium und bei Lehrern, Schülern und Eltern hoch geschätzt.
Er war Wachschützer am Albert-Schweitzer-Gymnasium und bei Lehrern, Schülern und Eltern hoch geschätzt.
© Susanne Vieth-Entus

Der Schulleiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, Georg Krapp, ist erst mal erleichtert, dass vor seiner Schule wieder jemand steht. Am liebsten hätte er aber einen der bisherigen Wachschützer, der bei Schülern und Lehrern äußerst beliebt war und sechs Sprachen spricht, als Pförtner fest angestellt. „Dann bräuchten wir keinen Wachschutz“, ist sich Krapp sicher.

Zur Startseite