Refik-Veseli-Sekundarschule in Berlin-Kreuzberg: Neuanfang mit neuem Namen
Die Sekundarschule an der Skalitzer Straße galt jahrelang als Problemfall. Jetzt hat sie einen neuen Namen, ein ganz neues Konzept, und die Anmeldezahlen steigen wieder. Nun fordert eine große Elterninitiative im Kiez eine gymnasiale Oberstufe.
Der Nachname wird auf der zweiten Silbe betont, es klingt wie Weselli: Refik Veseli, das ist der Name eines muslimischen Albaners, der als 17-Jähriger während der Nazizeit eine jüdische Familie bei seinen Eltern versteckte und so zu ihrer Rettung beitrug. In der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem wird er im „Garten der Gerechten unter den Völkern“ geehrt. Von seinen Taten haben Schüler aus Kreuzberg bei einer Austauschreise nach Israel erfahren. Danach war den Jungen und Mädchen, von denen die meisten eine türkische Familiengeschichte haben, klar: So soll unsere Schule heißen, und von diesem Entschluss ließen sie sich nicht mehr abbringen. Ihre Mitschüler und ihre Lehrer waren auch begeistert von der Idee, und jetzt ist es bald so weit, am 8. Oktober wird der Sekundarschule an der Skalitzer Straße, die bisher „8. ISS Skalitzer Straße“ hieß, der Name verliehen und die Schule feiert ein Fest.
Nicht nur die Geschichte von Refik Veseli selbst oder die Geschichte, wie die Schüler auf den Namen kamen, ist besonders, auch die Schule selbst hat eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Mit dem neuen Namen soll ein ganz neuer Anfang verbunden sein. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die neue Schulleiterin Ulrike Becker sprudelt nur so vor Ideen. Einen Montessori-Zweig will sie einrichten, die Kooperation mit den umliegenden Schulen verstärken, individuelle Profilbildung anbieten, den Ganztagsbetrieb ausbauen.
Noch vor kurzem war die Stimmung an der Skalitzer Straße ganz anders. Die Schule war 2010 aus einer Zwangsfusion der Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule und der Eberhard-Klein-Haupt-und Realschule entstanden. Dabei kam es zu Konflikten um die Besetzung des Schulleiterpostens und Schwierigkeiten beim Zusammenwachsen des Lehrerkollegiums. War die Zelter-Schule noch kurz zuvor zu einer der besten Hauptschulen Deutschlands gekürt worden, galt die Eberhard-Klein-Schule, an deren Standort die Fusion erfolgte, schon lange als Problemfall, was sie auch nach der Fusion blieb. Vor eineinhalb Jahren nahm sich dann die Robert-Bosch-Stiftung der Sache an, indem sie die Schule in das von New York inspirierte Brennpunktschul-Programm „Turn-Around“ aufnahm.
Ein neues Schulkonzept wird entwickelt
Bei der Kreuzberger Schule sah das so aus: Der Leiter einer der angesehensten Berliner Schulen, der inzwischen pensionierte Klaus Brunswicker von der Schöneberger Sophie-Scholl-Schule, kam als Berater und Experte für Schulentwicklung, und mit Ulrike Becker wurde eine erfahrene und von der Fusionsvergangenheit unbelastete Leiterin gefunden, die sich sofort daran machte, ein neues Schulprogramm zu entwickeln und die Eltern der Kreuzberger Grundschulen zur Zusammenarbeit einzuladen.
„Noch vor ihrem Amtsantritt im November kam sie zu unseren Elternversammlungen, stellte sich vor und warb um unsere Mitarbeit“, erzählt eine Elternvertreterin der Nürtingen-Grundschule. Der Aufbau eines Netzwerks mit den Grundschulen im Kreuzberger Kiez war eines der Hauptanliegen der 52-jährigen Ulrike Becker, die auch als Privatdozentin an der Universität Potsdam tätig ist und als ausgewiesene Inklusionsexpertin gilt. Ein Jahr lang trafen sich Eltern, Lehrer, Erzieher und Schulleiter der Sekundarschule und der umliegenden Grundschulen einmal im Monat und erarbeiteten gemeinsam ein neues Schulprogramm. Jetzt ist es fertig und soll möglichst schon im Schuljahr 2015/16 umgesetzt werden. Die Genehmigung der Schulaufsicht steht noch aus. Signale, dass sich etwas zum Besseren wendet, gibt es schon: Die Anmeldezahlen steigen wieder, 47 Siebtklässler gibt es in diesem Schuljahr, letztes Jahr waren es nur 30.
Die Eltern fordern eine gymnasiale Oberstufe
Ein großes Ziel der neuen Rektorin: Den Teufelskreis der schulischen Segregation zu durchbrechen, den es wie in vielen anderen Innenstadtkiezen auch in Kreuzberg gibt. „Es gibt den Wunsch, dass die Kinder hier im Kiez gemeinsam groß werden. Aber momentan ist das nicht so. Die U-Bahnen sind morgens voll mit Kindern, die zu Schulen in anderen Bezirke fahren“, beschreibt Becker die Ausgangslage. Tatsächlich wählt ein großer Teil der Schüler im Kiez weiterführende Schulen außerhalb Kreuzbergs, besucht Gymnasien in Friedrichshain oder Treptow, oder versucht einen Platz auf den beliebten Sekundarschulen in Schöneberg oder Tempelhof zu bekommen.
Um die Schule für die bildungsinteressierten Eltern attraktiver zu machen, ist zum Beispiel geplant, dass ein Lehrer einer Montessori-Klasse der Nürtingen-Grundschule mit seinen ehemaligen Sechstklässlern gemeinsam an die Refik-Veseli-Schule wechselt und die Klasse weiter begleitet. An die Fichtelgebirge-Grundschule soll ein Lehrer der Sekundarschule wechseln und dort ebenfalls die Gestaltung des Schulübergangs erleichtern. Auch die Einrichtung von Lernbüros, in denen die Schüler eigenständig lernen können und die Möglichkeit, zwischen sieben Schwerpunktprofilen zu wählen, könnte bildungsnahe Familien ansprechen.
Es gibt keine Oberschule im Kiez, die direkt zum Abitur führt
Bei den Eltern trifft das auf breite Unterstützung. „Viele wollen gar nicht unbedingt, dass ihre Kinder aufs Gymnasium gehen, weil sie gute Erfahrungen mit reformpädagogischem Unterricht gemacht haben“, sagt eine Mutter. „ Und viele würden ihre Kinder auch gern weiter in der Nähe zur Schule schicken. Aber bisher gab es hier keine wirkliche Alternative.“
Und auch an der Refik-Veseli-Schule gibt es noch einen großen Haken: Sie hat, wie auch alle anderen Oberschulen im ehemaligen SO 36, keine gymnasiale Oberstufe. Schon seit Jahren gibt es Bemühungen darum, doch bisher hat die Bildungsverwaltung das mit Hinweis auf die geringe Nachfrage nach Oberstufenplätzen in der Gegend abgelehnt. Zudem verweist sie auf die Möglichkeit, am Oberstufenzentrum Handel Abitur zu machen.
Die Eltern überzeugt das nicht. Sie haben eine Initiative gegründet und sammeln Unterschriften. Am 12. September wird Staatssekretär Mark Rackles (SPD) mit den Eltern sprechen. Für diese ist klar: So überzeugend das neue Schulkonzept auch ist, es geht nur dann auf, wenn die Schüler auch die Möglichkeit haben, an Ort und Stelle Abitur zu machen.