Schulen in Berlin: 2000 Lehrer protestieren mit Selbstanzeigen gegen AfD-Portal
An 120 Schulen wenden sich Lehrer gegen das AfD-Spitzelportal. Das Fichtenberg-Gymnasium in Berlin-Steglitz wird Ziel anonymer Angriffe.
Zwei Monate nach dem Start des Berliner AfD-Beschwerdeportals gegen angeblich parteiische Lehrer haben rund 2000 Lehrer von 120 Schulen aus Protest „Selbstanzeigen“ unterschrieben. Dies teilte die Initiative „Bildet Berlin!“ dem Tagesspiegel am Montag mit. Zudem gab es von Eltern- und Schülerseite sowie von Lehrern aus dem In- und Ausland Solidaritätsbekundungen. Allerdings ist eine der Schulen, die sich besonders gegen das „Spitzelportal“ positionierte, inzwischen zum Ziel anonymer Angriffe geworden.
Dabei handelt es sich um das Steglitzer Fichtenberg-Gymnasium. Dessen Schüler hatten sich bereits zum Start der AfD-Aktion offen dazu bekannt, nicht als „Spitzel“ zur Verfügung stehen zu wollen. Als Retourkutsche wurden ihnen von anonymer Seite zweimal Plakate an die Fassade geheftet. Zunächst fanden sie sich dort als „linke Heuchler“ beschimpft, beim zweiten Mal lautete der Vorwurf, an der Schule werde „politisch indoktriniert“. Zusätzlich durchschnitten die anonymen Täter am ersten Adventssonntag eine von der Schülervertretung finanzierte Lichterkette über dem Schuleingang. Später ging ein anonymes „Bekennerschreiben“ ein, das an die „sehr geehrten SoR-Heuchler“ gerichtet war. „SoR“ steht für „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ – eine große bundesweite Initiative, der sich auch das Fichtenberg-Gymnasium angeschlossen hat.
Der Staatsschutz ermittelt
„Das Engagement, für das wir mit unserer Schule stehen, ist weder links noch heuchlerisch, sondern steht einfach nur für eine offene Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt und denunziert!“, heißt es in einer Stellungnahme, mit der die Schülervertretung auf die anonymen Angriffe reagiert. Die Schüler verwahren sich „gegen so feige rechte Hetze, die offenbar immer alltäglicher und gesellschaftsfähiger wird“. Die Schulleitung stellte Strafanzeige, der polizeiliche Staatsschutz ermittelt. Auch die Schulaufsicht und die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus wurden informiert. Als das zweite Plakat gefunden wurde, entschieden Schüler, Lehrer und Schulleitung, die Öffentlichkeit zu informieren. Schulleiter Andreas Steiner gehörte auch zu den Pädagogen, die sich im Rahmen der Initiative „Bildet Berlin!“ selber anzeigten.
„Wir haben eine neue Eskalationsstufe erreicht“, fasst der Schulleiter die Ereignisse zusammen. Die Plakate und die zerschnittene Lichterkette seien nur ein Teil der Drohgebärden gewesen. Hinzu kämen in den letzten Monaten immer wieder Sticker rechtsextremen Inhalts, die an der Schule auftauchten, berichtet Lehrerin Juliana Spitta. Das habe es in dieser Form an der Schule noch nicht gegeben. Schüler Noah*, 16, möchte sich zwar von den Aktionen nicht einschüchtern lassen, er findet sie dennoch „schockierend“. Es sei erschreckend, wie wenig Engagement nötig sei, um in den Fokus von Rechten zu geraten, betont auch Ida*, 18 (*Namen geändert).
Ängstliche Reaktionen
Trotz der Befürchtung, in diesen Fokus zu geraten, haben sich viele Lehrer mit Pädagogen des Heinz-Berggruen-Gymnasiums solidarisiert, die mit „Elf Bekenntnissen an die AfD“ eine Art Selbstanzeige vorgenommen hatten. Unter den über 120 Schulen, die sich beteiligten, waren solche wie die Neuköllner Hans-Fallada-, die Steglitzer Anna-Essinger- oder die Schöneberger Sophie-Scholl-Schule, die jeweils sogar über 50 Unterschriften beisteuerten. Andere machten aus Angst nicht mit: „Es gab sogar Fälle, dass Lehrkräfte nachträglich wieder von den Listen entfernt werden wollten, da die Bedenken so groß sind“, berichtet Florian Bublys von der Initiative „Bildet Berlin!“, die die Unterschriften sammelte. Aufgrund der Vielzahl von Bedenken habe man sich entschieden, die Unterschriftenlisten nicht an die AfD zu übergeben.
Unabhängig vom Berggruen-Gymnasium hatten sich auch über 30 Lehrer der Kreuzberger Lina-Morgenstern-Sekundarschule mit Selbstanzeigen gegen das AfD-Vorgehen positioniert. Schulleiter Ingo Langner berichtete am Montag, dass es für diese Aktion seiner Schule auch Solidaritätsbekundungen von außerhalb gegeben habe: Zwei Gruppen pensionierte Lehrer sowie Einzelpersonen hätten ihnen sogar aus Großbritannien geschrieben. Zudem seien die Selbstanzeigen in Online-Medien in Belgien und Italien erwähnt worden. Unterstützung kam zudem vom Institut für Lehrerbildung der Universität Leipzig.
Protest auch in Friedrichshain
Nicht nur an der Fichtenberg-Schule haben sich Schüler im Rahmen des Projekts "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" gegen die AfD-Initiative gewandt. Eine vergleichbare Aktion gab es auch am Friedrichshainer Andreas-Gymnasium. Wie berichtet wurde dort Ende November ein Banner aus dem Fenster gehängt, auf dem statt „Schule ohne Rassismus“ „Schule ohne Denunziation“ zu lesen war.
Die AfD geht angeblich zwölf Einzelfällen nach
Laut AfD-Fraktionssprecher Thorsten Elßholtz haben inzwischen 6700 Nutzer über das Portal Kontakt aufgenommen. Es gebe etwa zwölf Einzelfälle, „die sehr verzwickt sind und bei denen wir mit allen Beteiligten um eine Lösung im Sinne der neutralen Schule ringen", sagte Elßholtz auf Anfrage. Im Oktober war von zehn Fällen die Rede gewesen, aber auch damals wollte die AfD sich nicht zu konkreten Fällen äußern.
Nach Hamburg, Berlin, Brandenburg und Sachsen startete auch die AfD-Fraktion in Niedersachsen am Montag ein vergleichbares Portal.
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