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Die finanziellen Hürden vor den freien Schulen senken - das wollen fast alle Parteien, aber auf verschiedene Weise.
© Doris Spiekermann-Klaas
Exklusiv

Elterngebühren und Wartefristen: Rot-Rot-Grün plant neues Finanzierungsmodell für Berlins freie Schulen

Die Koalition wollte freie Schulen mit sozialer Mischung mehr fördern. Eine Schule in Treptow wartet darauf seit vier Jahren vergeblich. Jetzt gibt es Bewegung.

„Die Koalition will ein Bildungssystem, das zur Entkoppelung des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft beiträgt“ - diesem Hauptziel aus der Koalitionsvereinbarung von 2016 wollen die Bildungspolitikerinnen von SPD, Linken und Grünen im letzten Schuljahr der Legislatur näherrücken. Nach Tagesspiegel-Informationen planen die drei Abgeordneten eine entsprechende Schulgesetzänderung. Die höchste Hürde könnte die Reform der Privatschulfinanzierung sein.

Denn an diesem Vorhaben versucht sich die Bildungsbehörde unter Senatorin Sandra Scheeres (SPD) schon seit knapp zehn Jahren ohne durchschlagenden Erfolg: Sie sollte bereits in der vorangegangenen Wahlperiode daran mitwirken, ein „Finanzierungsmodell auf Vollkostenbasis“ zu entwickeln.

Aber schon dies wurde zur Extremhürde, weil niemand wusste, wie hoch die „Vollkosten“ sind. Inzwischen ist diese Aufgabe gelöst, aber es kam eine neue Forderung aus der Koalitionsvereinbarung hinzu: Dass nämlich das neue Finanzierungsmodell „im Rahmen der bisher zur Verfügung stehenden Zuschüsse“ eine höhere Zuweisung an Schulen ermöglichen soll, die „verstärkt inklusiv arbeiten“ und Schüler aus sozial benachteiligten Familien aufnehmen.

Dieses Ziel allerdings wirft neue Probleme auf, da die Formulierung „im Rahmen der bisher zur Verfügung stehenden Zuschüsse“ von manchen Koalitionären als eine Art Kostendeckel verstanden wird.

Mit anderen Worten: Wer den freien Schulen mit sozial benachteiligten Kindern mehr Geld geben will, muss den anderen freien Schulen etwas wegnehmen - was wiederum dazu führen würde, dass sie entweder ihre Qualität senken oder die Elternbeiträge erhöhen müssten.

Auch Schulgeldtabellen werden ein Thema sein

An diesem Punkt wird es knifflig, denn es ging ja gerade um die hohen Elternbeiträge - insbesondere das Eingangsschulgeld für Familien mit Transfereinkommen - die Rot-Rot-Grün in Übereinstimmung mit dem Wissenschaftszentrum Berlin wegen der Gefahr der sozialen Segregation alarmierend fand.

Eine Herabsetzung der Qualität gilt aber als ebenso wenig erstrebenswert, zumal es vor allem die internationalen Schulen sind, die besonders teuer sind: Das Land Berlin bietet nicht genügend Schulplätze in diesem Segment, sodass eine staatlich gesteuerte Verknappung dieser Plätze Proteste zur Folge haben dürfte.

SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic, hier mit Fraktionschef Raed Saleh, hat die Reformvorschläge unterbreitet.
SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic, hier mit Fraktionschef Raed Saleh, hat die Reformvorschläge unterbreitet.
© Kai-Uwe Heinrich

Dem Vernehmen nach hat sich die SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic vorgenommen, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen. Nachdem sie sich noch Anfang August dazu nicht äußern wollte, teilte die Abgeordnete am Donnerstag auf Anfrage mit, dass es "Gespräche" in der Koalition gebe und zwar "zum Thema freie Schulen, Schulgeldtabellen und Wartefrist".

Die bundesweit längste Wartefrist ohne staatliche Förderung

Bis es zu einer rot-rot-grünen Einigung kommt und dann irgendwann die Schulgesetzänderung greift, könnte es allerdings Opfer geben. Denn ausgerechnet eine der Schulen, die sozial benachteiligte Familien aufnimmt und zudem noch die von der Koalition gewünschte Mehrsprachigkeit und interkulturelle Öffnung umsetzt, ist infolge der bisherigen Finanzierungssystematik bedroht: Mangels hoher Elternbeiträge kann die in Treptow gelegene Interkulturelle Waldorfschule Berlin den laufenden Betrieb nicht finanzieren, ohne sich immer weiter zu verschulden.

Hauptgrund dafür ist die in Berlin geltende fünfjährige Wartefrist: In dieser Zeitspanne hat eine freie Grundschule keinen Anspruch auf staatliche Zuschüsse - die bundesweit längste Wartefrist für Grundschulen, wie der Privatschulverband Berlin-Brandenburg berichtet. Zwar könnte die Frist laut Gesetz - „nach Maßgabe des Haushalts“ - auf drei Jahre verkürzt werden. Scheeres fragte das Parlament aber nicht nach finanziellen Mitteln für die Schule, obwohl zum Zeitpunkt der Antragstellung 2019 die Haushaltslage noch exzellent war.

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Dabei ist das Konzept der Schule, die auch Arabisch und Türkisch unterrichtet, in der Koalition hochgelobt: Zunächst war die Grünen-Fraktionschefin Silke Gebel da, um sich die Arbeit anzusehen, dann kam SPD- Fraktionschef Raed Saleh. Er habe nach seinem Besuch den Willen bekundet, der Schule zu helfen, berichtet Johannes Mosmann, der Geschäftsführer der gefragten Einrichtung. Dann kam Corona. Seitdem habe man nichts mehr gehört.

„Die Interkulturelle Waldorfschule Berlin hat seit Wochen keine Antwort erhalten, ob das Land die Schule im letzten Jahr der Wartefrist finanzieren will. Auf weitere Nachfrage dazu gab es bisher keine Reaktion“, teilte die Schule am Montag mit. Geschäftsführer Mosmann erneuerte seine Mahnung, dass die Einrichtung auf Unterstützung angewiesen sei, „wenn sie nicht in die Gefahr kommen soll, das Schulgeld von den Eltern drastisch zu erhöhen“ - was aber vollkommen dem Konzept der Schule widersprechen würde.

Die Schule muss immer neue Schulden machen - solange es geht

Mosmann wies darauf hin, dass derzeit rund die Hälfte der Schüler aus Familien mit einem niedrigen Haushaltseinkommen stammten. Davon bezögen knapp 20 Prozent staatliche Transferleistungen. Damit die Schule dennoch finanziell über die Runden komme, würden alle Beschäftigten der Schule bereits auf einen Teil ihrer Gehälter verzichten. Falls weitere Schulden gemacht werden müssten, müsse das Ziel, eine sozialintegrative Schule aufzubauen, „über längere Sicht aufgegeben werden“. Das aber will die Schule unbedingt verhindern.

Dass der Schule auch ein Jahr nach Bekanntwerden der Probleme nicht geholfen wurde, überrascht umso mehr, als die Koalition mit dem Ziel angetreten war, den Berlins Berlins freien Schulen „Planungssicherheit“ zu geben. Der Sprecher der Waldorfschulen Berlin-Brandenburg, Detlef Hardorp, sieht das Konzept einer sozial verträglichen Schule angesichts dieser Lage „zum Scheitern verurteilt“.

Beim Zugriff auf Digitalpaktgelder wurden die freien Schulen durch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) benachteiligt.
Beim Zugriff auf Digitalpaktgelder wurden die freien Schulen durch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) benachteiligt.
© Mike Wolff

So werden freie Schulen benachteiligt

Aber nicht nur Wartefristen und Unsicherheit bereiten freien Schulen Sorge. Vielmehr werden sie auch immer wieder von der Bildungsverwaltung benachteiligt - etwa durch einen verspäteten Zugriff auf 30 Millionen Euro aus dem Digitalpakt.

Ein weiteres Beispiel liefert die Kommunikation rund um den kostenlosen Corona-Test für Beschäftigte: Im Rahmen einer Besprechung der AG der freien Schulen (AGFS) mit Leitungskräften der Bildungsverwaltung sei ihnen mitgeteilt worden, dass das Testkonzept „nur für Lehrkräfte gedacht ist, die Bedienstete des Landes Berlin sind“, berichtet AGFS-Sprecher Andreas Wegener. Erst nach seiner Intervention beim Regierenden Bürgermeister habe die Bildungsverwaltung von einem „Missverständnis“ gesprochen.

Aber das ist noch nicht alles. Sie dürfen auch nicht am "Berlintag" teilnehmen, an dem die Berliner Bildungsverwaltung Jahr für Jahr versucht, Lehrer und Quereinsteiger nach Berlin zu locken. Die freien Schulen müssen also aus eigener Kraft alle Lehrer finden, obwohl nicht sie es nicht zu verantworten haben, dass Berlin zu wenig Lehrer hat: Das Ausbildungsmonopol für Lehrer hat das Land, weshalb es auch die Verknappung durch jahrelang zu wenig bereitgestellte Studienplätze zu verantworten hat - und nicht die freien Schulen. (Die Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Freien Schulen zum Thema soziale Gerechtigkeit HIER zum Herunterladen.)

Susanne Vieth-Entus

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