Fünf Jahre kein Geld vom Land: Schwere Zeiten für freie Schulen in Berlin
Lehrermangel, Raummangel, jahrelanges Warten auf Zuschüsse: Neugründungen sind zur Seltenheit geworden. Ein Beispiel zum heutigen Tag der freien Schulen.
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Sie ist abgeebbt – die große Gründungswelle der freien Schulen, die sich am heutigen Sonntag der Öffentlichkeit vorstellen. Keine einzige neue Einrichtung startete in diesem Jahr, und das liegt nicht nur daran, dass der große Nachholbedarf in den östlichen Bezirken inzwischen gestillt ist.
„Die Bedingungen für Neugründungen waren immer hart, aber jetzt kommen noch weitere Probleme dazu: Lehrermangel und Raummangel“, beschreibt Andreas Wegener für die Arbeitsgemeinschaft der freien Schulen die Ausgangslage für potentielle Initiativen.
Was Wegener unter „hart“ versteht, ist insbesondere, dass Berlin bundesweit die längste Wartefrist hat, bis öffentliche Gelder fließen. Grundschulen müssen sogar fünf Jahre lang jeden Cent selbst aufbringen. Anders ausgedrückt: Fünf Jahre lang muss von der Glühbirne bis zum Schulleiter, vom Smartboard bis zur Sekretärin alles von den Eltern oder einem freien Träger finanziert werden. Wer es nicht schafft, unter das Dach eines großen finanzstarken Trägers zu schlüpfen, hat kaum eine Chance.
Jetzt fehlt das Geld für die Renovierung
Wer es dennoch versucht, muss mit großen Schwierigkeiten kämpfen. Jüngstes Beispiel: die Freie Interkulturelle Waldorfschule in Treptow. Anlässlich des bevorstehenden Tages der freien Schulen berichtete am Freitag Detlef Hardorp vom Waldorfverband über die aktuellen Schwierigkeiten der Schule, die 150 Schüler hat: Das Gebäude ist zu klein geworden, aber für die Renovierung des bereits gefundenen neuen Quartiers fehlen die Mittel.
„Fünf Jahre kein Geld vom Land – das ist völlig absurd“, entfährt es Hardorp. Zu der langen Wartefrist kommt verschärfend hinzu, dass – anders als etwa in Hamburg – auch rückwirkend keine Gelder für den Schulbetrieb der ersten fünf Jahre erstattet werden. Zudem zahle Hamburg schon nach drei Jahren die regulären Zuschüsse. Zwar sieht auch das Berliner Schulgesetz die Möglichkeit vor, Schulen bereits nach drei Jahren zu finanzieren. Allerdings ist dies nur eine Kann-Bestimmung, die nach Maßgabe der Haushaltslage anzuwenden ist.
Absage trotz Haushaltsüberschuss
Obwohl Berlin inzwischen einen Haushaltsüberschuss hat, wurde der Antrag der Freien interkulturellen Schule auf Anwendung der Kann-Bestimmung abgelehnt, berichtet Hardorp. Die Behörde von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) habe sich auf das „Gebot der Sparsamkeit“ und die „knappe Haushaltslage“ berufen", heißt es aus der Schule.
"Die lange Berliner Wartefrist trifft ausgerechnet die Schulen hart, die der Senat eigentlich fördern will: Schulen, die keine soziale Selektion wollen, sondern eine sozial gemischte Schülerschaft“, resümiert Hardorp. Anders ausgedrückt: Wer unter den Berliner Bedingungen eine freie Schulen gründen will, braucht reiche Eltern – und fördert damit genau die Entmischung, die der rot-rot-grüne Senat eigentlich bekämpfen will, beschreibt Hardorp den Widerspruch. Darunter aber leide die Vielfalt der Schullandschaft.
"Leben ist Vielfalt", lautet das Motto
Wobei er beim diesjährigen Motto des Tages der freien Schulen ist. Es lautet: Leben ist Vielfalt. Dieses Motto ist zum einen auf die Biologie gemünzt: Jedes Jahr steht ein bestimmtes Unterrichtsfach im Mittelpunkt. Zum anderen soll es aber auch ganz breit verstanden werden: „Vielfalt ist wichtig. Sie ist Grundbestandteil aller Zukunft und der Überlebensfähigkeit“, erläuterte am Freitag Thomas Borsch, der Direktor des Botanischen Gartens und Museums. Dort wurde – passend zum Motto – das diesjährige Programm zum Tag der freien Schulen vorgestellt, denn der Botanische Garten stehe mit seinen rund 20.000 Pflanzenarten in besonderem Maße für Vielfalt, betonte Borsch.
"Alle Abgeordneten, mit denen wir sprechen konnten, verstehen das Grundproblem – nur die Bildungssenatorin hat für unsere Sorgen bislang kein Ohr. Deswegen spitzt sich unsere Lage immer mehr zu", teilte der Schulleiter der Interkulturellen Schule, Johannes Mosmann, dem Tagesspiegel am Wochenende mit. Er beschreibt die aktuelle Lage so: "Aufgrund der Berliner Wartefrist-Regelung erhält unsere sozialintegrative Schule fünf Jahre lang keinerlei öffentliche Mittel. Sie hat jedoch keine eigenen wirtschaftlichen Mittel außer den Elternbeiträgen".
Elternbeiträge müssten auf 580 Euro steigen
Sollen die Eltern selbst die Mittel bereitstellen, die das Land einer staatlichen Grundschule für Personalausgaben zur Verfügung stellt, müsste das durchschnittliche Schulgeld auf rund 580 Euro monatlich festgesetzt werden. Kosten für Gebäude, Verwaltung etc. wären dabei noch gar nicht berücksichtigt", rechnet Mosmann vor. Wie kürzlich berichtet, hatte das Parlament jüngst auch "vergessen", die freien Schulen beim kostenlosen Mittagessen zu berücksichtigen. Ähnlich war es zuvor beim Bonusprogramm für Brennpunktschulen.
Andererseits will der Senat verhindern, dass freie Schulen ein Privileg der Besserverdiener ist. Diesen offenkundigen Widerspruch will Rot-Rot-Grün auflösen, weiß aber nicht wie: Zumindest deutet es auf eine gewisse Ratlosigkeit hin, dass die Regierung noch immer kein neues Finanzierungsmodell vorgelegt hat.
Jedes zehnte Kind besucht eine freie Schule
In Berlin besucht rund jedes zehnte Kind eine freie Schule. Zu den größten Trägern gehört die Evangelische Schulstiftung. Deren Leiter Frank Olie berichtete, dass es selbst für große Träger schwierig sei, mit den Landeszuschüssen auszukommen, die nur rund zwei Drittel der Kosten abdecken. Aktuell muss die Stiftung 30 Millionen Euro für die Sanierung der fünf evangelischen Nachkriegsgründungen aufbringen. Und das wäre dann auch die Antwort auf die Frage, warum auch die Stiftung nicht einfach neue Schulen gründen kann.
Die freien Schulen laden ein
Seit mehr als zehn Jahren lädt die Arbeitsgemeinschaft freier Schulen jeweils im September zu einer Veranstaltungsreihe, die offiziell "Tag der Freien Schulen“ heißt, aber viel mehr ist, weil sie sich über mehrere Wochen hinzieht.
Das diesjährige Motto lautet „Leben ist Vielfalt“.
-- 8. September, 14 bis 17 Uhr: Auf dem Bildungsmarkt stellen sich die freien Schulen vor. Schulleiter, Lehrkräfte, Eltern und Schüler informieren über die unterschiedlichen Schulen, Schwerpunkte und Bildungsprogramme. Französische Friedrichstadtkirche, Gendarmenmarkt, Mitte.
-- 22. September, 11 Uhr: Bei einer Gala in den Kammerspielen im Deutschen Theater führen Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen freien Schulen ein Bühnenprogramm auf. Jeder teilnehmenden Schule stehen fünf bis zehn Minuten zur Verfügung, die Beiträge sollen das Motto „Leben ist Vielfalt“ widerspiegeln. Anmeldung und Kartenbestellung per Mail an info@freie-schulen-berlin.de.
-- September/Oktober: Freie Schulen öffnen ihre Häuser und bieten bei Ortsterminen Besuchern Einblicke in ihre Arbeit.
Weitere Informationen zum Tag der freien Schulen gibt es HIER.
Zum Positionspapier der Freien Interkulturellen Waldorfschule geht es HIER.
Susanne Vieth-Entus