Soziale Entmischung in freien Schulen: Land Berlin soll "Schulgeldersatz" zahlen
Von "elitären Clubs" spricht der SPD-Abgeordnete Joschka Langenbrinck, wenn er bestimmte freie Schulen meint. Die wehren sich jetzt.
Berlins Arbeitsgemeinschaft freier Schulen (AGFS) lehnt die Charakterisierung von Privatschulen als „elitäre Clubs“ ab. Die Darstellung, dass arme Schüler nicht willkommen seien, werde „dem Bemühen und den tatsächlichen Gegebenheiten nicht gerecht“, heißt es in einer Stellungnahme der AGFS unter Bezugnahme auf entsprechende Äußerungen des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck.
Wie berichtet, hatte der Bildungspolitiker eine Anfrage zur sozialen Zusammensetzung ausgewählter freier Schulen gestellt. Dafür fragte er nach der Quote der Kinder, die keine Schulbücher kaufen müssen, also lernmittelbefreit (lmb) sind. Dabei interessierte Langenbrinck sich allerdings nur für jene 77 der rund 130 freien Schulen, von denen er wusste, dass sie besonders wenige Schüler aus armen Familien in ihren Reihen haben.
Wie zu erwarten, ist die lmb-Quote hier extrem niedrig: Sie lag zuletzt bei 3,7 Prozent. Wenn man alle freien Schulen zusammen betrachtet, wie es das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) jüngst gemacht hatte, beträgt die Quote rund acht Prozent.
Auch bei staatlichen Schulen große Unterschiede
Zum Vergleich: Bei den staatlichen Schulen sind über 35 Prozent vom Schulbuchkauf befreit – wobei das WZB allerdings auf große Unterschiede zwischen den Schulformen hinweist: Bei den staatlichen Gymnasien ab Klasse 5 liegt die Quote bei 14 Prozent, bei den Gymnasien insgesamt bei 19 Prozent, bei den Sekundarschulen mit Oberstufe bei 35 Prozent und an den ISS ohne Oberstufe bei 54 Prozent. Mit anderen Worten: Zwischen den öffentlichen Gymnasien ab Klasse 5 und den Sekundarschulen ohne gymnasiale Oberstufe ist die soziale Kluft noch größer als zwischen den freien und den staatlichen Schulen.
AGFS erinnert nun daran, dass die freien Schulen durch ihre staatliche Unterfinanzierung praktisch gezwungen werden, Schulgeld zu erheben. Vor diesem Hintergrund sei es „nicht verwunderlich, dass die kostenpflichtigen freien Schulen nicht dieselbe soziale Zusammensetzung haben wie die kostenfreien staatlichen Schulen“. Wenn der Staat wolle, dass freie Schulen für ärmere Kinder infrage kämen, könne er ja für diese Kinder einen „Schulgeldersatz“ beisteuern.
Die freien Schulen sind unterfinanziert
Aktuell erstattet das Land Berlin den freien Schulen nur etwa zwei Drittel ihrer Ausgaben, indem es etwas über 90 Prozent der Personalkosten ersetzt. Für den Rest der Personalausgaben sowie für alle Sachkosten und für die Finanzierung ihrer Immobilien bis hin zur Reinigung der Räume müssen sie selbst aufkommen, weshalb sie entweder die Lehrer schlechter bezahlen, ein hohes Schulgeld nehmen oder/und andere Geldquellen – wie etwa Spenden oder Kirchensteuern – aufbringen müssen. Über 45 Prozent der AGFS-Schulen verlangen weniger als 100 Euro pro Monat, ergab jetzt laut AGFS eine "Blitzumfrage" unter ihren Schulen. Das verwundert nicht, denn ein Großteil der freien Schulen wird von konfessionellen Trägern geführt, die traditionell wenig Schulgeld nehmen, weil sie von den Kirchen gestützt werden.
Ein Schulgeld unter 100 Euro ist keine Seltenheit
Bei einer Diskussion anlässlich des Tags der freien Schulen am Sonntag würdigten SPD, CDU, Grüne und FDP die Bedeutung der freien Schulen. Hildegard Bentele (CDU) forderte eine auskömmlichere Finanzierung, um die freien Schulen unabhängiger vom Schulgeld zu machen. Silke Gebel (Grüne) lobte die pädagogischen „Impulse“, die von freien Schulen immer wieder ausgingen. Ebenso wie Maja Lasic (SPD) erinnerte Gebel daran, dass Rot-Rot-Grün und die Bildungsverwaltung an einem neuen Finanzierungsmodell für die freien Schulen arbeiten: Geplant ist, dass Schulen, die eine sozial vielfältigere Schülerschaft fördern, ein höherer Schulplatzgeld erhalten sollen.
Das Grundgesetz wird bemüht
Viele Jahre blieb die soziale Zusammensetzung der freien Schulen sowie der Schulformen im Dunkeln. Das änderte sich zuletzt durch verschiedene WZB-Untersuchungen: Das WZB kritisierte die Entmischung vor allem mit Hinweis auf das im Grundgesetz verankerte Sonderungsverbot. Zuletzt konterte allerdings die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung mit einem Gutachten aus der Feder von Frauke Brosius-Gersdorf, einer Professorin für öffentliches Recht an der Uni Hannover: Brosius-Gersdorf befand, die WZB-Forscher irrten, wenn sie meinten, dass das Sonderungsverbot eine sozial Mischung verlange. Zwar dürften die freien Schulen ihre Schüler nicht nach dem Einkommen der Eltern auswählen, wohl aber nach Eignung und Leistung. Dies - und nicht nur der Geldbeutel - könne die unterschiedliche soziale Mischung zur Folge haben.
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