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Manche Eltern greifen tief in die Tasche, um ihre Kinder optimal fördern zu lassen.
© ZB/dpa

Berliner Privatschulstudie: Kaum Schüler aus armen Familien

Von sozialer Mischung keine Spur: Eine neue Studie übt scharfe Kritik an ungenügender Kontrolle der freien Schulen durch den Senat.

Einen ziemlichen Wildwuchs bei den Elternbeiträgen von Berlins freien Schulen haben die Autoren des Wissenschaftszentrums Berlin, Michael Wrase und Marcel Helbig, ausgemacht. Sie untersuchten die Schulgeldhöhen und kommen in einer am Donnerstag vorgestellten Studie zu dem Ergebnis, dass sich von 160 freien Schulen nur 50 an die Senatsvorgaben halten, indem sie als Mindestbeitrag unter 100 Euro pro Monat kassieren. Rund 110 Schulen sind zu teuer: Knapp 20 von ihnen verstoßen sogar „eklatant“ gegen die Vorgaben, indem sie über 200 Euro verlangen.

Wrase und Helbig beschäftigen sich schon länger mit der Frage der freien Zugänglichkeit von „Privatschulen“. Ihr Maßstab ist Artikel 7 Absatz 4 des Grundgesetzes, laut dem eine „Sonderung der Schüler nach Besitzverhältnissen der Eltern darf nicht gefördert werden“ darf. Ganze Generationen von Richtern und Wissenschaftlern haben sich an diesem Absatz bereits abgearbeitet.

Nun also ein neuer Versuch.

Wrase und Helbig interessieren sich generell für das soziale Auseinanderdriften der Schulen. Berlin ist für dieses Thema ein dankbares Pflaster, denn hier sind die sozialen Unterschiede zwischen den Bezirken so stark, dass selbst innerhalb der staatlichen Schulen die Einkommensunterschiede extrem auseinanderklaffen. Im aktuellen „Diskussionspapier“ haben sie sich mit der Frage beschäftigt, wie groß die Unterschiede zwischen den staatlichen und öffentlichen Schulen und innerhalb der freien Schulen sind. Das Ergebnis: In den staatlichen Grundschulen stammt mehr als jedes dritte Berliner Kind (36,5 Prozent) aus Sozialtransferfamilen.

Nur 1,66 Prozent aus armen Familien

Ganz anders bei den freien Grundschulen: Bei ihnen beträgt der Anteil knapp acht Prozent, wobei die Autoren auch hier noch weiter differenzieren: Bei den Schulen die „eklatant“ gegen die Senatsvorgaben verstoßen kommt nur rund jedes 50. Kind aus Transferfamilien (1,66 Prozent). Bei den Schulen, die moderat verstoßen, indem sie zwischen 100 und 200 Euro Schulgeld nehmen oder indem sie zwar unter 100 Euro als Mindestbeitrag bleiben, aber keine Schulgeldbefreiung für arme Familien anbieten, liegt der Anteil an Transferfamilien sechs Prozent. Bei zehn Prozent liegt er bei den Familien, die sich an die Senatsvorgaben halten.

Anders gesagt: Selbst wenn nur moderate Beiträge verlangt werden, sind sozial schlecht gestellte Familien kaum anzutreffen. Für Helbig und Wrase folgt daraus, dass auch Beiträge von unter 100 Euro noch zu hoch sind, um das Sonderungsverbot einzuhalten.

Die Tatsache, dass anspruchsvolle international-bilinguale Angebote für freie Schulen überhaupt nicht finanzierbar sind bei einem Elternbeitrag von unter 100 Euro stört sie nicht: Die WZB-Forscher finden nämlich, dass diese kostspieligen Angebote für die meisten Familien nicht nötig seien, weil sie gar nicht hochmobil lebten. Die teuren Schulen seien für die betreffende Bevölkerungsschicht nur ein Mittel zum Zweck, unter sich zu bleiben.

Das aber stört Wrase/Helbig: Im Sinne einer guten sozialen Mischung an den staatlichen Schulen würden sie sich wünschen, dass auch vermögende Familien ihre Kinder den staatlichen Schulen anvertrauen.

Der Senat will nachbessern

Den Hauptvorwurf für die mangelnde Mischung machen sie den Landesregierungen, die überwiegend keine Vorgaben machen, um das Sonderungsverbot einzuhalten. Dies gelte auch für Berlin: Der Bildungsverwaltung attestieren sie ein „erhebliches Regulierungs- und Kontrolldefizit“. Es gebe zwar Vorgaben, die aber „überwiegend nicht ernst genommen werden“. Wobei die Lage in Hessen noch schlechter sei: Dort existierten „überhaupt keine konkreten Vorgaben zur Einhaltung des Sonderungsverbots“.

Die Berliner Bildungsverwaltung räumt ein, dass sie es in der Vergangenheit nicht so genau genommen habe mit der Kontrolle. „In der letzten Legislatur wurde überhaupt erst eine eigene Privatschulaufsicht etabliert, die Kontrollen durchführt. Das gab es vorher so nicht!“,  teilte die Sprecherin von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) mit, die damit unverhohlene Kritik an ihren SPD-Vorgängern Klaus Böger und Jürgen Zöllner  übt.

Allerdings wehrt sich die Verwaltung gegen den Vorwurf, nicht genügend Vorgaben gemacht zu haben: Dazu verweist sie auf eine „Durchführungsverordnung“ von 1959 , wonach ein Zehntel des aufgebrachten Schulgeldes „zum vollen oder teilweisen Schulgelderlass für Minderbemittelte zur Verfügung gestellt wird“. Zudem steht dort, dass das Schulgeld für ein zweites Kind drei Viertel, für ein drittes Kind die Hälfte und für weitere Kinder ein Viertel des regelmäßigen Schulgeldsatzes nicht übersteigen dürfe, „sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse des Erziehungsberechtigten dies rechtfertigen und er einen entsprechenden Antrag stellt“.

Allerdings bestreiten Helbig und Wrase, dass diese alte Verordnung überhaupt noch gelten könne, weil das entsprechende übergeordnete Gesetz längst nicht mehr existiere.

Privatschulverband: "Eltern sollen entmündigt werden"

Der Verband Deutscher Privatschulverbände beklagte am Donnerstag, dass die freien Schulen von den Autoren der Studie nicht einbezogen worden seien. Daher seien sie zu "realitätsfernen Ergebnissen" gekommen. Im Übrigen spare der Staat durch die freien Schulen jedes Jahr "viele Milliarden Euro", weil er die Schulplätze nur zu 60 bis 70 Prozent finanziere. Für diese "Deckungslücke" müssten die Eltern und Schulträger aufkommen. Insofern resultiere die Höhe des Schulgeldes aus der Unterfinanzierung sowie aus den besonderen Angeboten der freien Schulen. Der Verband vermutet hinter der Studie das Ziel die Eltern zu entmündigen "bis hin zur Einheitsschule".

 Die Waldorfschulen ziehen die Studie massiv in Zweifel

Von den Waldorfschulen Berlin-Brandenburg kam eine scharfe Kritik an der Studie. Ihr Sprecher Detlef Hardorp führt die „angeblich schlechte Einhaltungsquote der Berliner Regelungen“ darauf zurück, „dass die Autoren die Berliner Regelung nicht richtig verstanden haben“.

Erst auf Grundlage einer falsch ausgelegten Verordnung könnten sie zum Fazit kommen, dass etwa die Hälfte der Schulen "die Senatsregeln" nicht einhalten: „Faktisch halten diese Schulen aber nur eine imaginäre Regel der WZB-Autoren nicht ein", heißt es in Hardorps Entgegnung.

"Rechtsdogmatisch unbeholfen"

Des Weiteren sei das WZB-Papier „rechtsdogmatisch unbeholfen“. Michael Wrase blende „weiterhin konsequent dasjenige aus, was ihm nicht ins fertige Bild passt“. Es gehe bei dem sogenannten "Sonderungsverbot" weder um die Höhe durchschnittlicher noch maximaler Schulbeiträge von Eltern, sondern um den Einstiegsbetrag und deren Bedingungen.

Keinem dürfe aus finanziellen Gründen der Zugang zu einer Ersatzschule verweigert werden. Dieser Kern der Argumentation von Wrase und Helbig sei aber richtig, meint Hardorp insofern als  es im Grundgesetz um Zugänglichkeit, die gewährleistet sein müssen, gehe. Es ist eine berechtigte Frage, ob eine Zugänglichkeit in Anbetracht der Höhe der Schulgelder „derzeit genügend gewährleistet ist“.

Schulen in freier Trägerschaft finanzieren sich fast ausschließlich über Zuschüsse des Landes und Beiträge der Eltern. Die Elternbeiträge könne man wieder senken, indem man die Kürzung, die unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit  erfolgte, strukturell rückgängig macht. Diese Diskussion solle geführt werden, meint Hardorp.

Im Wortlaut: Art. 7, 4 im Grundgesetz

Das Recht zur Errichtung von privaten Schulen wird gewährleistet. Private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der Lehrkräfte nicht genügend gesichert ist.

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