zum Hauptinhalt
Fressbuden, Bier und Humptata – und kein Durchkommen: Das Oktoberfest bedeutet auf dem Alex nur mehr vom Gleichen.
© imago/Florian Schuh

Rummel auf Berliner Alexanderplatz: Reißt die Hütten ab!

Jetzt auch noch das Oktoberfest: Warum wurde der Alex teuer saniert, wenn er doch ständig im Frittenfett ertrinkt? Die Dauerbespaßung mit Fressbuden ist einer europäischen Metropole unwürdig.

Da steht sie wieder, diese optische Beleidigung auf dem Alexanderplatz: untenrum Schwarzwald- oder Bayernstube, obenrum Gartenwindmühle. Dazu Buden, Buden, Buden für Sauf und Braus. Sie haben sich zu einem Labyrinth formiert, in dem der schlechte Geschmack wie der Minotaurus in der griechischen Sage haust. Nur, dass auf dem Alex keine liebliche Ariadne ihren Faden spinnt. Entkommen unmöglich. Es ist Oktoberfest in Spreeathen.

Ging nicht gerade erst das Frühling-Sommer-Herbst-und-Winter-Fest zu Ende? Ach nee, es war ja Oster- und Pfingstmarkt. Oder doch veganes Spiel- und Sporttreffen? Auf dem Alex wird ständig gefeiert. Je nach Jahreszeit ähnelt der Platz mal einer Leistungsschau für PVC-Zelte, mal einer Messe für Holzimitat. Wer wie ich doch nur arbeiten, einkaufen oder umsteigen will, wird zum Opfer einer Dauerbespaßung mit Bier, Grill und Humtata – ohne Durchkommen.

Ich frage mich, warum der Platz 2006 und 2007 für fast neun Millionen Euro umgestaltet wurde, wenn der feine Granit doch nur als Ölwanne für Frittenbuden dient. Die Pläne für den Umbau kamen damals unter anderem von den Stararchitekten Gerkan, Marg und Partner. Der Alex dürfte damit wohl der feinste Rummelplatz Deutschlands sein.

Lächerliche 4700 Euro Miete kassiert die Stadt am Tag

Und die Kirmes mit den meisten denkmalgeschützten Bauten. Denn nicht nur der Brunnen in der Mitte, der zwischen den Feierhütten untergeht wie ein verlorenes Quarkbällchen, steht unter Denkmalschutz, sondern auch die Weltzeituhr. Neben diesem Sixties-Traum darf die bizarre Windmühle stehen. Berolinahaus und Alexanderhaus werden als Vertreter der Klassischen Moderne geschützt, und auch das nahegelegene Haus des Lehrers, die Kongresshalle, das Haus des Reisens sowie der frühere Sitz des Berliner Verlags etwas weiter weg dürfen sich Denkmäler nennen. Diese Gebäude stammen aus der Zeit von 1969 bis 1973, als in Ost- und West-Berlin der Begriff Großstadt neu – und überraschend ähnlich – interpretiert wurde.

„Wir wollen mit der Unterschutzstellung auch den Blick für die zahlreichen Qualitäten der jüngeren Geschichte öffnen und gerade die baulichen Zeugen des doppelten Berlins im ehemaligen Osten und Westen der Stadt einander gegenüberstellen“, verkündet Senatsbaudirektorin Regula Lüscher im Internet. Ich wünschte mir, es gäbe auch eine Unterschutzstellung für guten Geschmack.

Es sieht mir sehr nach „Is mir ejal“- Mentalität aus, dass die Behörden die Budenpest erlauben. Das große Geld dürfte kaum der Grund sein. Nur 80 000 Euro Platzmiete kassiert der Bezirk Mitte nach eigenen Angaben für 17 Tage Oktoberfest – 4700 Euro am Tag. Allerdings wundert mich dieses Desinteresse am Stadtbild sehr: Mitte schickt seinen Bürgern gern mal Beamte vorbei, weil liebevoll gepflegte Beete unterm Straßenbaum nicht den Vorschriften entsprechen.

Feste sollen Glanzlichter sein

Vielleicht könnte mal der Regierende Bürgermeister vom Turm seines Roten Rathauses herüberschauen, ob das, was sich auf dem Alex abspielt, wirklich einer europäischen Metropole würdig ist. Es muss ja nicht gleich enden wie in Neukölln, wo der damalige SPD-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky sechs Bezirksfeste absagte, die ihm zu laut, zu billig und feuchtfröhlich erschienen.

Zugegeben gibt es viele, die den Dauerrummel anziehend finden. Wenn es keine Besucher gäbe, würden sich selbst die lächerlichen 4700 Euro Miete am Tag nicht rechnen. Aber „Masse statt Klasse“ war noch nie ein gutes Argument – außerdem gibt es davon genug in Berlin. Feste jedoch, die fast nahtlos ineinander übergehen, verlieren ihren ursprünglichen Sinn: Etwas Besonderes zu sein, indem sie dem Jahr Glanzlichter aufsetzen. Wenn sie obendrein austauschbar sind wie das Oberteil der Oktoberfest-Mühle – im Advent ersetzt eine Weihnachtspyramide die Flügel –, dann sollten sich selbst die härtesten Festbesucher nicht für dumm verkaufen lassen.

Ach ja. Die Polizei macht demnächst mit beim Budenzauber auf dem Alex. Ihre neue Wache wird, so viel steht schon mal fest, eines nicht sein: ein Hingucker. Warum auch? Es darf hier eh jeder machen, was er will.

Dieser Text erschien zuerst am 23. September 2017 im Tagesspiegel-Samstagsmagazin Mehr Berlin.

Björn Seeling

Zur Startseite