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Glaubenssache. Die einen schwören auf rote Zwiebelringe, die anderen auf frischen Schnittlauch.
© imago/Westend61

Streit um Obazde: Rezeptkontrollen machen Wirte wütend

Der Obazde gehört zum Biergartenbesuch wie die Maß. Jetzt ist er in Gefahr. Wie eine bajuwarische Käsespezialität die Gemüter zum Kochen bringt.

Es ist einer dieser Momente, die zu jedem stilechten Biergartenbesuch gehören, so wie das Ausbreiten der rot-weiß-karierten Tischdecke und das Abholen der ersten Maß Bier an der Schänke. Einer aus der Runde zieht eine Tupperdose aus dem Korb, fummelt den Verschluss auf, und präsentiert – einen frischen Obazdn, gerade liebevoll selbst hergestellt, selbstverständlich nach eigenem Rezept. „Zum Schluss ein bissl Weißbier reinrühren“, so in dieser Art.

Der Obazde, das muss man Menschen außerhalb des weiß-blauen Imperiums vielleicht erklären, ist eine bayerische Spezialität, ohne die ein Biergartenbesuch eigentlich undenkbar ist – ein Gemisch aus Käse, Butter, Gewürzen und allerlei anderen Zutaten. Jede Präsentation wird begleitet vom fachkundigen Austausch weiterer Tricks zur Verfeinerung des Obazdn: Bitte nur rote Zwiebeln verwenden! Und auf keinen Fall Käse, der nicht richtig reif ist! Die wirklich wichtigen Dinge sind also besprochen, bevor die Runde in die Diskussion über das Kanzlerduell einbiegt. Man muss dieses Ritual erwähnen, um verständlich zu machen, welche Bedeutung der Obazde für die bayerische Seele hat. Denn nur so ist auch zu verstehen, warum eine bürokratische Verordnung, die Gastronomen auf eine spezielle Rezeptur dieser Käsespezialität verpflichten will, für enorme Aufregung sorgt.

Obazd, das heißt „angebatzt“, also vermischt

Vor den Ausführungen über die Untiefen der europäischen Wettbewerbsregeln deshalb noch eine Bemerkung zum Ursprung des Obazdn, dessen Name allein schon für Verwirrung sorgt. Obazd, das heißt so viel wie „angebatzt“, also vermischt, vermanscht, angemacht. So unterschiedlich wie seine Zubereitungsvarianten sind seine Schreibweisen. Verbreitet sind vor allem Obazda, Obatzta und Obatzter; im Zuge des grassierenden Deppenapostrophen liest man gelegentlich auch vom O’batzt’n. Für Nichtbayern besonders anspruchsvoll gestaltet sich der Plural. Bestellt ein Gast „zwei Obazda“, wendet sich der bayerische Wirt mit Grausen, muss es doch heißen: „zwei Obazde“. „Obazdn“ lautet der Akkusativ. Nebenbei bemerkt, die Sprachproblematik verweist auf das weite Feld der bayerntümelnden Speisekarte, einem besonderen Ärgernis der freistaatlichen Gastronomie. Die Abteilung über Suppen wird in superbayerischen Lokalen gerne mit der Überschrift „Erst amoi a Supperl“ eingeleitet, und vegetarische Gerichte firmieren – so lustig – unter „Greazeig“, also Grünzeug.

Neuerdings wird das Rezept von den Behörden überprüft

Der Obazde fehlt auf keiner Speisekarte, und hier beginnt das Problem für die Gastronomen. Denn einem Verband namens „Landesvereinigung der bayerischen Milchwirtschaft“ gefiel es, die Spezialität als geografisch geschütztes Produkt bei der Europäischen Kommission eintragen zu lassen. Seitdem darf ein Obazda nur dann unter diesem Namen verkauft werden, wenn er erstens in Bayern produziert und zweitens nach einer bestimmten Rezeptur hergestellt wurde. Das alles gilt schon seit 2015, aber erst jetzt ist den Behörden eingefallen, die Verordnung auch zu vollziehen.

Für die Wirte ist das aus mehreren Gründen schwierig. Traditionsgemäß handelt es sich beim Obazdn um ein Gericht zur Verwertung von Resten, dazu kommen allerhand spezielle Tricks zur Veredelung – einer verwendet Kümmel, ein anderer lehnt ihn aufs Allerschärfste ab. Es gibt mehr Rezepte zwischen Garmisch und Hof, als die Schulweisheit der Milchwirtschafts-Landesvereinigung sich träumen lässt. Die toleriert aber nur eine bestimmte „Rahmenrezeptur“; zum Beispiel müssen mindestens 40 Prozent Camembert oder Brie enthalten sein. Und das wird von den Behörden neuerdings überprüft. Kostenpflichtig. 200 bis 300 Euro sollen die Wirte jedes Jahr dafür bezahlen, dass sie den Obazdn überhaupt anbieten dürfen. Und dann womöglich noch ihr Rezept ändern müssen. Dafür bekommen sie ein EU-Zertifikat.

Er heißt jetzt „Bräubazi“

Wiesn-Bier ohne Obazda? Undenkbar!
Wiesn-Bier ohne Obazda? Undenkbar!
© picture alliance / Matthias Balk

Respekt, würde Gerhard Polt sagen, zu dessen Lieblingsthemen der Behördenwahnsinn zählte. Doch was wie eine Kabarettnummer klingt, ist für die Gastronomen nicht nur aus finanziellen Gründen bitterer Ernst. Es geht um ihr Selbstbewusstsein. Schon formiert sich Widerstand. „Eine Frechheit!“, erbost sich Thierry Willems, der Wirt vom „Bräustüberl Weihenstephan“ in Freising, dem Lokal, wo die Spezialität vor knapp 100 Jahren erfunden wurde. Katharina Eisenreich, Wirtin zwischen 1920 und 1958, hatte damals ihren Frühschoppen-Gästen eine erste Portion serviert und sie damit begeistert. Und jetzt soll der aktuelle Wirt dafür zahlen, dass er den Obazdn auf die Speisekarte setzen darf? So weit kommt’s noch! Der Freisinger Wirt denkt über radikale Maßnahmen nach. Die hat sein Kollege vom Bräustüberl am Tegernsee schon ergriffen. Kontrolliert wird bei ihm gar nix, denn sein Obazda bekommt einfach einen neuen Namen. Er heißt jetzt „Bräubazi“.

Ähnliche Fantasienamen kursieren mittlerweile überall in der bayerischen Gastronomie. Als „Brezenkäs“ oder „Durchdrahda“ kommt der Obazde neuerdings auf den Tisch, der bajuwarischen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Das mag oft albern klingen, es ist aber immer noch besser als die erlaubte Alternative, nämlich den Obazdn nicht mehr selbst zu produzieren, sondern ein fertiges Industrieprodukt zu verwenden. Bei den Gästen sorgen die neuen Bezeichnungen oft für Heiterkeit oder führen zu Wutausbrüchen über die Behördendeppen. Dabei hat es die Landesvereinigung der Milchwirtschaft ja nur gut gemeint. Man wollte das Produkt schützen, nach dem Vorbild des Schrobenhausener Spargels oder der Nürnberger Bratwürste. Das Dilemma mit den unterschiedlichen Zutaten haben die Lobbyisten der Milchwirtschaft offenbar nicht bedacht.

Auf chefkoch.de sind „90 tolle Obazda-Rezepte“ aufgeführt

Nicht alle in der Branche finden die Neuregelungen schlecht. Da ist zum Beispiel Gabriela Gerum, Inhaberin der traditionsreichen Münchner Käsehandlung „Lindner“. Seit 30 Jahren steht „Lindner“, auf dem Münchner Viktualienmarkt. Der Laden ist nur ein paar Quadratmeter groß, 150 Käsesorten stehen zur Auswahl. Besonders gefragt ist, logisch, der Obazde. Frau Gerum hält es für völlig richtig, dass die Behörden das Originalrezept überwachen. „Sonst macht doch jeder, was er will. Die Gastronomen können’s halt nicht.“ Sie und ihre Mitarbeiter sind absolut puristisch bei der Produktion; in ihren Obazdn kommen Camembert, Butter und ein paar Zwiebeln rein. Zum Schluss streut sie noch etwas Paprika drauf, sonst nichts.

Das unterscheidet ihr Rezept doch deutlich von den ungezählten Anweisungen in den Kochportalen im Internet. Auf chefkoch.de sind „90 tolle Obazda-Rezepte“ aufgeführt, die in den Kommentaren ausnahmslos als „suuuper“ und „voll lecker“ gerühmt werden. Unter anderem gibt es dort Varianten mit Chili, Knoblauch und Olivenöl. Zutaten, die bayerischen Traditionalisten als Teufelszeug gelten.

Was die Rezeptkontrollen betrifft, hat die Landesanstalt für Landwirtschaft inzwischen ein Einlenken signalisiert. Man wolle sich mit dem Hotel- und Gaststättenverband an einen Tisch setzen und überlegen, wie sich eine Eskalation vermeiden lasse. Wie man von Ludwig Thoma weiß, ist die bayerische Regierung auf göttliche Eingebungen angewiesen. Kann sein, dass dies auch als letzte Strategie zur Beilegung des bayerischen Käsekampfs funktioniert.

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Leibhaftig

Metzer Straße 30, Prenzlauer Berg, Tel. 548 150 39, Mo–Sa 18–24 Uhr, leibhaftig.com

Alois Oberbacher

Sonnenallee 127, Neukölln, Tel. 632 266 06, tägl. 17–24 Uhr, aloisoberbacher.de

Brauhaus Südstern

Hasenheide 69, Kreuzberg, Tel. 690 016 24, Mo–Sa ab 14 Uhr, So ab 12 Uhr, brauhaus-suedstern.de

Gasthaus Valentin

Hasenheide 49, Kreuzberg, Tel. 548 131 67, Mo–Fr ab 16.30, Sa/So ab 15 Uhr, valentin-kreuzberg.de

Zollpackhof

Elisabeth-Abegg-Str. 1, Moabit, Tel. 330 99 720, tägl. 10–24 Uhr, Biergarten ab 11 Uhr, zollpackhof.de

Maria & Josef

Hans-Sachs-Str. 5, Lichterfelde, Tel. 756 33 102, tägl. ab 12 Uhr, mariaundjosef.com

Obermaier

Erkelenzdamm 17, Kreuzberg, Tel. 616 568 62 (Obazda gibt’s nicht immer, vorher anrufen!), Di–So 17–1 Uhr, obermaier-kreuzberg.de

Weihenstephaner

Neue Promenade 5/Hackescher Markt, Mitte, Tel. 84710760, tägl. 1–-1 Uhr, weihenstephaner-berlin.de

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