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Großstadt-Hektik. In Richtung Hotel Indigo (rechts im Bild) gilt es, die sechsspurige Alexanderstraße lebend zu überqueren.
© imago/Chromorange

In fremden Federn: Am Alex herrscht das echte Leben

Grandioser Ausblick und Berlinisch für Anfänger: Da fragt sich der Gast kurz, wie viele hier im Hotelbett wohl schon "’n Knopp jemacht" haben.

Von Ronja Ringelstein

Manche sagen, er ist der furchtbarste Ort Berlins. Allein im Mai wurde hier homophob beleidigt, geprügelt, stürzte ein Mann in den Tod. Hier geht es krimineller zu als anderswo, und hässlich ist er auch noch: der Alexanderplatz.

Diese Touristen aber ahnen davon nichts, in ihren kurzen Hosen, jeder mit einer braunen „Birkenstock“-Tüte in der Hand, vor dem „I love Berlin“-Shop. „Es ist wundervoll!“, ruft der hagere junge Mann mit Basecap auf dem Kopf. Wundervoll? Ja, so entspannt – „relaxing“ –, pflichtet ihm seine Begleiterin bei. Entspannt? Wo kommen diese nervlich überstrapazierten Menschen her, dass sie den Alex als „relaxing“ bezeichnen? Boston, USA. Alles eine Frage der Perspektive. Für andere ist der Platz lebendig, unterhaltsam, mit seinen Einkaufshallen, Straßenmusikern und Bratwurstverkäufern, die zwischen Park Inn und Weltzeituhr ihre Kreise ziehen.

Vielleicht darf etwas auch einfach mal hässlich sein. So ist er eben, der Alex.

In Richtung Hotel Indigo gilt es, die sechsspurige Alexanderstraße lebend zu überqueren. Sobald man rüber ist, scheint der Korridor zwischen den Hochhäusern auf der Bernhard-Weiß-Straße das Dröhnen der Autos zu verschlucken. An der nächsten Ecke steht der kantige Häuserblock, er passt in die stählerne Umgebung, der Bau ist nur ein paar Jahre alt.

Spaziergang im Lustgarten: Fast nicht auszuhalten, dieser Kitsch

Ab in den Fahrstuhl, hoch in den zehnten Stock. Es ist immer die beste Idee in einer Welt voller Baustellen, den Blick von oben zu suchen, wie Bruno Ganz, als er mal ein Engel in Schwarz-Weiß war. In Farbe thront das Rote Rathaus am Horizont. Daneben, gigantisch, der Fernsehturm, auf dessen Kugel die Sonne ein Kreuz zeichnet. Die Geräusche der Stadt verschwimmen zu einem monotonen Hintergrundrauschen.

Im Indigo findet man im modernen Schick (mintgrüne und fliederfarbene Wände, dunkle Böden) Alt-Berliner Façon: Trabi-Figuren in der Lobby, eine Spreewälder Saure Gurke in der Dose liegt in der Minibar, auf dem Flur hängen Übersetzungshilfen Berlinisch – Hochdeutsch. Und ich frage mich kurz, wie viele Leute in meinem Bett hier wohl schon „’n Knopp jemacht“ haben.

Beim Abendspaziergang führt der Weg über die Friedrichsbrücke in den Lustgarten. Das Sonnenlicht blitzt in den Fontänen des Springbrunnens in hunderten gelb-orange-roten Farbnuancen, einer spielt Geige, einer E-Piano. Pärchen kuscheln auf der Wiese. Fast nicht auszuhalten, dieser Kitsch. Ich will zurück zum echten Leben, dem Alexanderplatz mit seinen Baustellen und seinem Lärm.

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