Grüne Woche in Berlin: Reichlich zu essen - und eine Halle für die Moral
Die Grüne Woche bietet dem privaten Publikum viel Folklore, ein wenig Innovation – und wenn man Glück hat, auch Überraschungen.
Zur Eröffnung des ersten der zehn Messetage gibt’s erst mal mächtiges Gedränge am Eingang Masurenallee: Privatbesucher jenseits der 50 schieben sich zwischen Schulklassen und verspäteten Ausstellern voran und demonstrieren, dass schlechtes Benehmen keine Altersfrage ist. Als gäbe es drinnen alles umsonst auf der Grünen Woche, 92 Jahre nach ihrer Premiere. Jetzt kostet sogar der Hallenplan zwei Euro, was manche empört, aber viel Müll vermeidet.
Es ist der Morgen der Eröffnungsrundgänge mit den traditionellen Fotos krümelnder Minister. Auf dem Handy ploppt die stolze Presseinfo des Tierschutzbüros auf: „Tierrechtler stören Eröffnungsrundgang“. Die Messeleitung schlägt online Thementouren vor, die je nach Vorliebe an sächsischen Tornado-Kartoffeln, lebensverlängerndem bulgarischen Joghurt, nervösen Kühen und an Mineralwasser aus der Wüste vorbeiführen, über das noch zu reden sein wird.
Uckerkaas und Kräuterheidi
Man kann aber auch einfach rechts abbiegen, Thüringen mit seinen Geleebananen und den Papiertüten mit dem an Körperverletzung grenzenden Slogan „Was goeth’n“ durchqueren und via Niedersachsen die Heimat erreichen.
Brandenburg präsentiert sich zwar konservenlastig bei wenig Platz und wenig Licht, aber auch bodenständig – mit Uckerkaas, Broten aus Schwante, Hemme-Milch, Kräuterheidi. Und mit dem „Labieratorium“ hat die Craft-Beer-Bewegung auch Cottbus erreicht. Gefühlt könnte Brandenburg mühelos mehr Platz auf der Messe füllen.
In einer kuchenkrümelnden Plauderrunde bei den Schmerwitzer Bioeiern steckt Agrarminister Vogelsänger, während ringsum mit Spargelflyern gewedelt wird. Mittendrin tafelt ein Rudel Ritter vom Bernauer Hussitenfest; die Grüne Woche ist eben auch Tourismusbörse. Von großen Schweineställen und noch größeren Maisfeldern ist hier natürlich keine Rede.
Wer Brandenburg durchquert, verpasst leicht Berlin im nebenan gelegenen Hallenteil 22b. Wobei man da so viel auch wieder nicht verpasst. Curry 36 und Spreequell halt, wobei Letzteres aus der Lausitz kommt. Immerhin vorwiegend in Mehrwegflaschen. Für Mampe und Schilkin ist es noch zu früh, für Jungpionier-Softeis aber offenbar nie zu spät.
Wer’s zeitgemäßer mag, kann sich ein klimaneutral in Spandau produziertes Florida-Eis gönnen oder ein „Fruchtpapier“ der Firma Dörrwerk, die optisch fragwürdiges Obst und Gemüse püriert und zu Plättchen trocknet. So wohlschmeckend kommt die Moral nicht oft daher, die in diesem Fall bereits von Landwirtschaftsminister Christian Glyphosat-Schmidt mit dem Preis „Zu gut für die Tonne“ ausgezeichnet wurde.
Doch all das ist nichts gegen das Riesenhallo bei den Bayern, die blau-weiß kariert und gamsbärtig ums Kuheuter-Quiz stehen, umrahmt von einem Alpenpanorama, umhüllt von einer Käseglocke.
Die Sachsen-Anhalter Frühaufsteher haben gleich ihre komplette Halle mit dem Hashtag „#moderndenken“ versehen – und präsentieren drinnen „Kelles NVA-Feldsuppe“ in Dosen. Was klingt wie ein dummer Witz der Geschichte, erweist sich auf den zweiten Blick fast als rührend: In einem Kaff bei Stendal entstand die Suppenmanufaktur aus einem der vielen Landgasthöfe, die in der hipsterfreien und mindestlohnbedürftigen Altmark gescheitert waren.
Eine sauteure Veranstaltung
„Mein Mann war halt bei der NVA“, sagt die Chefin Antje Mandelkow, die um den Aha-Effekt weiß, den DDR-Kinder bei der Suppe aus gelben Erbsen mit Schweinebauch, Kartoffeln und Bockwurst verspüren. 28 Mitarbeiter habe die Firma, allein sechs dank der NVA-Suppe. Und zwar Behinderte, die in der Region erst recht wenig Chancen haben.
Morgen komme ein Rollifahrer nach Berlin, um die Grüne Woche zu erleben, erzählt die Chefin, die zugleich Mutter der Suppenköniginnen auf den Flyern ist. Einerseits hat sie sich das Hotelfrühstück für 18 Euro gespart, andererseits lässt sie die Messegäste gratis probieren – 5400 im vergangenen Jahr – , damit die auf den Geschmack kommen und dann bei Netto die Dosen kaufen oder eine Kelle-Suppe als Tagesangebot inkognito beim Bäcker Steinecke bestellen.
Die Grüne Woche sei eine sauteure Veranstaltung. Aber unverzichtbar, weil nirgends sonst so viele Großhändler und Endkunden auf einmal kämen. So steht Antje Mandelkow wohl exemplarisch für viele, die die Stadtleute satt machen, ohne dass die groß darüber nachdenken würden.
Essen und Moral sind auf der Grünen Woche räumlich überwiegend getrennt. Letztere konzentriert sich in Gestalt von Misereor, Fairtrade & Co. in Halle 5.2a. Beides zusammen gibt es eigentlich nur in der Bio-Halle 1.2b, wo auch gegessen werden kann. Der Bund liefert mit den einschlägigen Ministerien theoretischen Überbau, der außerdem hinter den Kulissen in Gestalt von Symposien stattfindet.
Davon bekommt das teils mit rollenden Einkaufstaschen ausgestattete Publikum wenig mit. Auch die Innovationen muss man suchen; die Grüne Woche ist eher ein sehr gut bestückter Spezialitätenmarkt. Das gilt erst recht für die Auslandshallen. Russland, einst fast in Originalgröße vertreten, teilt sich jetzt eine Halle mit Asien, verschenkt aber noch Gewürzsalz als „Lieblingsprodukte langlebiger kaukasischer Völker“.
Usbekistan und Möbel Kraft teilen sich die Nachbarhalle, Tunesien betört, ja betäubt fast mit ätherischen Ölen. Der Wüstenstaat Katar offeriert als praktisch einzige Spezialität auf der Messe Mineralwasser. Ob eher das der Gipfel des Irrsinns ist oder doch eher die marokkanischen Tomaten, die sich neuerdings fast rund ums Jahr in deutschen Supermärkten breitmachen, kann jeder selbst entscheiden.
Der aufwändige, aber praktisch leere Riesenstand von Katar signalisiert jedenfalls, dass das Land Geld, aber kein agrartaugliches Klima hat. Direkt nebenan ist das Verpflegungsamt der Bundeswehr stationiert.
Bulgarien als Partnerland der diesjährigen Messe veranstaltet mittels einer Folklore-Kombo einen Lärm, bei dem sich Petersilie kräuselt und der lebensverlängernde Effekt des lokalen Joghurts neutralisiert wird. Die Trend-Food-Halle bietet mit Berliner Dosenbier keine wirkliche Erholung.
Überhaupt ist es nirgends idyllisch oder kontemplativ auf der Messe. Halbwegs in Ruhe essen kann man aber im norwegischen Restaurant und bei den Österreichern. Man muss nur aufpassen, dass man sich dazu nicht beim mikrofonbewehrten Hornhautentferner niederlässt, sondern lieber beim Steirerfranz mit seinem Akkordeon.
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