Repräsentative Umfrage: Das sind die Essgewohnheiten der Deutschen
Deutschland isst zuhause - aber was, und warum? Eine aktuelle Civey-Erhebung zeigt, dass im Land der Biertrinker und Fleischesser ganz andere Lebensmittel Priorität haben.
- Antje Sirleschtov
- Heike Jahberg
Essen muss jeder. Das eint alle. Doch was die Menschen einkaufen und was sie essen, ist höchst unterschiedlich. Für Ernährungsforscher, Mediziner, Verbraucherschützer und die Ernährungsindustrie ist die Frage nach unserem Essen wichtig. Man ist, was man isst. Und Lebensmittel verschlingen einen beachtlichen Teil des Einkommens. Wer ein Stück von diesem Kuchen abbekommen will, muss wissen, was die Kunden kaufen – und am besten noch, wonach ihnen der Sinn wirklich steht. Das Umfrageinstitut Civey hat pünktlich zur Eröffnung der Lebensmittel- und Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin 5000 Verbraucher in einer umfangreichen Studie repräsentativ zu ihren Gewohnheiten und Vorlieben rund ums Essen befragt. Der Tagesspiegel veröffentlicht die Ergebnisse exklusiv.
Was steht auf dem Speiseplan?
Schauen wir zunächst auf den Speiseplan der Befragten: Dort fällt auf, dass 76,4 Prozent täglich Kaffee trinken, 58,6 Prozent jeden Tag Milch oder Milchprodukte zu sich nehmen und 53,2 Prozent täglich zu mindestens einem Stück Obst greifen. Wobei Frauen (63,2 Prozent) mehr davon essen als Männer (45 Prozent). Wurst und Fleisch gehören dagegen offenbar nicht auf den täglichen Speiseplan. Lediglich 21 Prozent der Befragten gaben an, ein Stück Wurst oder Fleisch pro Tag zu essen. Was sich die Deutschen dagegen jeden Tag schmecken lassen – wenn auch in Maßen – sind offenbar Süßigkeiten (20 Prozent) und Softdrinks (21 Prozent). Wein, Bier oder Spirituosen nehmen nur 16 Prozent mehrmals in der Woche zu sich, Fertiggerichte sogar nur 14 Prozent. Deutschland, das zeigt die Umfrage zudem, isst zuhause. Nur jeder Zehnte geht mehrmals pro Woche, also regelmäßig, auswärts essen. Insbesondere in Familien ist das unüblich. Auch Lieferdienste werden von rund der Hälfte der Befragten „nie“ genutzt.
Worauf wird beim Einkauf Wert gelegt?
Gesund muss es sein. Das ist der Anspruch der Verbraucher, wobei die Meinungen naturgemäß auseinander gehen, was damit gemeint ist. Rund ein Drittel sagen, sie kaufen häufig Bioprodukte, ein weiteres Drittel tut das gelegentlich. Die Hälfte der von Civey befragten Verbraucher ist der festen Auffassung, dass Bio gesünder ist als konventionell erzeugte Lebensmittel. Dass Bio-Produkte besser schmecken, davon ist ebenfalls jeder Dritte überzeugt. Wobei es offenbar nur für jeden Vierten überhaupt eine Rolle spielt, ob er Markenprodukte kauft oder nicht. Und wo kaufen die Deutschen ihre Lebensmittel? Meistens in Supermärkten (45 Prozent), gern auch beim Discounter (29 Prozent) – und zwar egal, ob in Großstädten oder in eher ländlichen Regionen. Offenbar finden die Verbraucher dort mittlerweile frische Waren und Bio-gelabelte Produkte nach ihrem Anspruch und Geschmack. Denn lediglich sechs Prozent sagen, sie kaufen ihre Lebensmittel in speziellen Bio-Geschäften. Online-Einkäufe übrigens spielen kaum eine Rolle.
Viele Menschen möchten sich gesünder ernähren. Soll die Politik helfen?
Ja, sagen Verbraucherschützer. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hat am Mittwoch eine neue, repräsentative Umfrage unter Verbrauchern veröffentlicht. Danach wünschen sich zwei Drittel der Menschen eine Hilfestellung durch den Staat. Über 80 Prozent plädieren für die Einführung eines Pflichtfachs Ernährung in der Schule. Fast die Hälfte wäre auch bereit, höhere Steuern für Lebensmittel zu akzeptieren, die viel Zucker, Salz oder Fett enthalten – wenn der Staat sie dafür an anderer Stelle entlastet. 53 Prozent sind dafür, per Gesetz Höchstmengen für Zucker, Salz oder Fett festzulegen.
Was macht die Politik?
Der geschäftsführende Bundesernährungsminister Christian Schmidt (CSU) hatte in der vergangenen Legislaturperiode eine solche Reformulierungsstrategie eingeschlagen und wollte Zucker, Salz und Fett in Lebensmitteln reduzieren. Daraus ist aber nichts geworden. Zur Erleichterung der Ernährungsindustrie, die das strikt ablehnt. Die Unternehmen bräuchten keine Einmischung, sagt Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, und verweist darauf, dass große Unternehmen wie Nestle oder Rewe schon von sich aus den Zuckergehalt in ihren Produkten senken wollen.
Sind andere Länder weiter?
Verbraucherschützer sind für die Einführung einer Nährwertampel, die mit den Farben rot, gelb und grün Verbrauchern auf einen Blick zeigt, ob ein Fertigprodukt gesund ist oder nicht. In Großbritannien gibt es das schon länger, Frankreich hat jetzt ein ähnliches Kennzeichnungssystem eingeführt. In Deutschland existiert eine solche Ampel nicht. Die Lebensmittelkonzerne Coca-Cola, Mars, Mondelez, Nestlé, Pepsi Co und Unilever haben aber kürzlich Pläne für ein eigenes Ampel-Modell vorgestellt, mit dem Nährwerte wie Zucker, Fett und Salz auf der Packung farblich gekennzeichnet werden sollen – allerdings nicht pro 100 Gramm, sondern pro Portionsgröße, was ihnen viel Raum für die Gestaltung der Angaben lässt.
Die Ökobranche schaut bewundernd auf Kopenhagen. 90 Prozent der Kantinen in Schulen oder der Verwaltung servieren dort Bioessen, acht Jahre hat die Umstellung gedauert, die Preise sind nicht gestiegen. Das wäre auch ein gutes Beispiel für Deutschland, meint Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
Welchen Anteil hat Bio an der deutschen Landwirtschaft?
Agrarminister Schmidt strebt einen Anteil von 20 Prozent an, doch bis dahin dürfte noch einige Zeit verstreichen. Im vergangenen Jahr lag der Anteil der Biobetriebe bei zehn Prozent, allerdings steigt die Bio-Quote. Weil man mit Bio höhere Preise erzielen kann, wollen viele konventionelle Landwirte ihre Produktion umstellen. Löwenstein spricht von zweistelligen Wachstumsraten, dennoch dürfte es bei dem jetzigen Tempo bis zum Jahr 2027 dauern, bis die 20-Prozent-ÖkoQuote erreicht ist.
Wie steht es um das Tierwohl in Deutschland?
Fast 79 Prozent der Verbraucher möchten Lebensmittel aus tierfreundlicher Haltung kaufen, scheitern aber an der fehlenden Kennzeichnung. Vier Fünftel der Bürger wissen nämlich nicht, wie sie Fleisch von Tieren erkennen, die größere Ställe oder Spielzeug im Stall hatten oder Streu statt Spaltboden. Bauern und der Lebensmittelhandel haben zwar schon seit Jahren eine Tierwohlinitiative, bei der der Handel für die bessere Haltung von Tieren zahlt. 4150 Schweinehalter und 1000 Geflügelbetriebe machen inzwischen mit, der Handel unterstützt diese Unternehmen mit 130 Millionen Euro im Jahr. Allerdings kann man auf der Verpackung nicht erkennen, ob das Fleisch aus der Tierwohlinitiative kommt oder nicht.
Agrarminister Schmidt plant daher ein staatliches Label – mit entsprechender Kennzeichnung auf der Verpackung. Zu einem Gesetz ist es in der vergangenen Legislaturperiode aber nicht mehr gekommen. Nun soll die neue Regierung das Thema wieder aufnehmen. Das Siegel soll jedoch freiwillig sein.
Wie geht es der Wirtschaft?
Die Ernährungsindustrie kann nicht klagen. „Wir hatten im vergangenen Jahr das beste Umsatzergebnis seit dem Krieg“, sagt Christoph Minhoff. 181 Milliarden Euro haben die Lebensmittelproduzenten im vergangenen Jahr umgesetzt, ein Plus von 5,7 Prozent. Auch die Bauern trauen sich jetzt wieder zu investieren. Vier Milliarden Euro wollen sie bis zum Sommer in neue Ställe und in die Digitalisierung stecken. Doch es gibt ein großes Problem: Die moderne Technik braucht schnelles Internet, und das ist auf dem Land noch immer nicht überall erhältlich.
Am Freitag geht es los: Dann öffnet die Grüne Woche – wie jedes Jahr im Januar – ihre Türen. 1660 Aussteller aus 66 Ländern zeigen bis zum 28. Januar ihre Produkte. Schweden, die Slowakische Republik, Japan und Russland, die sich vorübergehend zurückgezogen hatten, sind in diesem Jahr wieder dabei. Katar nimmt erstmals an der weltgrößten Ernährungsmesse teil. Messechef Christian Göke rechnet mit 400000 Besuchern, die täglich von zehn bis 18 Uhr, am Freitag nächster Woche bis 20 Uhr die Messehallen am Funkturm aufsuchen können. Die Tageskarte kostet 15 Euro, sonntags sind es nur zehn Euro, Kinder unter sechs Jahren zahlen nichts. Partnerland ist in diesem Jahr Bulgarien, das zum 30. Mal auf der Grünen Woche vertreten ist. Das Land wirbt mit Rosenöl und einem besonders gesunden Joghurt, dem lebensverlängernde Eigenschaften nachgesagt werden.
Eingebettet in die Grüne Woche ist erstmals die Pferdesportmesse Hippologica (25. bis 28. Januar) und der Welternährungsgipfel. Über 60 Agrarminister werden auf dem Global Forum for Food and Agriculture über Tierwohl und Tierhaltung diskutieren.
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