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Der geschäftsführende Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU).
© AFP/dpa/Gregor Fischer

Start der Grünen Woche: Schluss mit dem Billigessen!

Die Grüne Woche steht mit ihrem Etikettenschwindel für eine konventionelle Landwirtschaft, die längst an ihre Grenzen stößt. Die Politik muss dringend reagieren. Ein Essay.

Ein Essay von Til Knipper

Zum vierten Mal treffen sie sich dieses Jahr zum Paarlauf: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der geschäftsführende Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. In den Berliner Messehallen wurde heute die Grüne Woche eröffnet, die Leistungsshow der Agrar- und Lebensmittelindustrie. Die beiden Spitzenpolitiker verkosteten allerlei Produkte der Aussteller, betrachteten prächtig herausgeputzte Tiere bestaunen - aber eins taten sie nicht: Auf der größten Agrarmesse der Welt, wo sich die konventionelle Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie jedes Jahr selbst feiert, endlich die seit Jahren überfällige Agrarwende ankündigen.

Dabei ist die Grüne Woche schon aufgrund ihres Namens ein einziger Etikettenschwindel. Sie steht für eine Art von Landwirtschaft, die längst an ihre Grenzen stößt. Sie basiert nicht auf Nachhaltigkeit, sondern auf Ausbeutung: Mehr nehmen, mehr verkaufen, mehr verschwenden.

Dass es so nicht weitergehen kann, lässt sich am besten an der konventionellen Erzeugung von Fleisch- und Milchprodukten zeigen. Für kein anderes Konsumgut auf der Welt wird so viel Land benötigt wie für die Herstellung von Fleisch und Milch. 77 Prozent der weltweit landwirtschaftlich genutzten Flächen wird zur Aufzucht von Tieren genutzt, obwohl sie nur 17 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschen liefern. Ein Drittel davon ist Ackerland, das für den Anbau von Futtermitteln genutzt wird, obwohl der Anbau von Feldfrüchten auf diesen Flächen viel effizienter zur globalen Ernährung beitragen könnte.

Es droht eine Steigerung der Fleischnachfrage um weitere 85 Prozent

Die Weltbevölkerung hat sich in den vergangenen 50 Jahren verdoppelt, währenddessen hat sich die Fleischproduktion sogar verdreifacht. Wenn es nicht zu einer Agrarwende kommt und die Weltbevölkerung bis 2050 wie prognostiziert auf zehn Milliarden Menschen wächst, erwartet die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eine Steigerung der globalen Fleischnachfrage um weitere 85 Prozent.

Entsprechend mehr Flächen müssen für den Anbau von Futtermitteln genutzt werden, sollte es keinen wundersamen Ertragszuwachs pro Hektar geben. Danach sieht es aber nicht aus, weil die intensive Nutzung der Böden mithilfe von Dünger und Pestiziden inzwischen vor allem zu Wasserknappheit und Krankheiten der Landbevölkerung geführt hat. 40 Prozent der weltweit landwirtschaftlich genutzten Flächen sind heute bereits als ausgelaugt qualifiziert, das heißt arm an Humus und Nährstoffen. Hinzu kommt, dass nach Prognosen des UN-Umweltprogramms UNEP der Klimawandel zu mehr Ernteausfällen und niedrigerer Produktivität nicht nur in Asien und Afrika, sondern auch in den USA und großen Teilen Europas führen wird.

Wenn man dann noch berücksichtigt, dass beim Anbau des Futtermittels Soja die Unkräuter gerade in Südamerika nach Jahrzehnten des Glyphosateinsatzes Resistenzen gegen das Pestizid entwickeln, bleibt nur die Ausweitung der Fläche, was in Südamerika häufig mit der Abholzung des Regenwalds einhergeht. Aber auch in Europa schaden diese Monokulturen der Biodiversität, entweicht das in Gras- und Mooslandschaften gespeicherte Kohlendioxid in die Atmosphäre und beschleunigt den Klimawandel, wenn diese in Ackerflächen umgewandelt oder zur Humusgewinnung ausgebeutet werden.

Der hohe Fleischkonsum gefährdet die Klimaziele

Der steigende Fleischkonsum weltweit ist ethisch fragwürdig sowie ökologisch und ökonomisch nicht nachhaltig.
Der steigende Fleischkonsum weltweit ist ethisch fragwürdig sowie ökologisch und ökonomisch nicht nachhaltig.
© Tobias Schwarz/AFP

Dabei gehört die landwirtschaftliche Fleischproduktion ohnehin zu den Großemittenten klimaschädlicher Gase, was von breiten Teilen der Öffentlichkeit bisher weitgehend ignoriert wird. Aufgrund des Methanausstoßes verdauender Kühe und der Intensivbewirtschaftung riesiger Flächen für den Futtermittelanbau verursachen die 20 größten Konzerne des Fleisch- und Milchsektors mehr Emissionen als ganz Deutschland insgesamt, immerhin der viertgrößte Industriestandort der Welt.

Weiter geht es mit den Unmengen von Antibiotika, die schon jetzt in der Fleischproduktion eingesetzt werden. 131000 Tonnen sind es jährlich – etwa doppelt so viel wie bei den Menschen selbst. Nach Schätzungen von Experten wird sich diese Menge bis 2030 um 53 Prozent erhöhen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass auch deswegen 2050 mehr als zehn Millionen Menschen jährlich aufgrund von Antibiotika-resistenten Keimen sterben werden.

Bedenkt man darüber hinaus noch, dass 900 Millionen Menschen vor allem in den armen Regionen der Welt hungern und eine weitere Milliarde an Unterversorgung von Mineralien und Vitaminen leidet, gleichzeitig aber im wohlhabenden Westen eine Milliarde Menschen an Diabetes und Herzkreislaufproblemen aufgrund von zu viel, zu fetter, zu süßer und zu salziger Nahrung erkrankt ist, dann verbietet es sich eigentlich politisch, nichts dagegen zu unternehmen.

Es gibt nicht die eine, einfache Lösung für die oben skizzierten Probleme, aber ist das eine Rechtfertigung für die ambitionslose Agrarpolitik in Deutschland? Warum wehrt sich Landwirtschaftsminister Christian Schmidt gegen die Einführung eines verpflichtenden, staatlichen Tierwohllabels?

Nur ein verpflichtendes staatliches Tierwohllabel schafft die notwendige Transparenz

Das von ihm bereits Anfang 2017 vorgeschlagene freiwillige zweistufige Tierwohllabel ist erstens noch immer nicht umgesetzt und verdient zweitens den Namen Tierwohl nicht, weil es kaum über die geltenden gesetzlichen Vorschriften hinausgeht und so keinen nennenswerten Beitrag zu einer artgerechten und umweltfreundlicheren Tierhaltung liefert. Ein Label, das für die Erzeuger nicht verpflichtend ist, wird auch nicht für die notwendige Transparenz sorgen. Dabei wünschen sich nach einer Umfrage des Bundeslandwirtschaftsministeriums selbst 82 Prozent der Verbraucher mehr Transparenz über die Bedingungen, unter denen die Nutztiere gehalten werden.

Deutschland subventioniert weiterhin lieber Massentierhaltung

Und es gäbe doch ein glänzendes Vorbild, das Erfolgsmodell der Eierkennzeichnung, das 2004 eingeführt wurde. Mit seinen vier Stufen von 0 für Ökoerzeugung bis 3 für Käfighaltung hat es das Konsumverhalten stark beeinflusst. Eier aus der tierquälerischen Käfighaltung sind aus den Regalen des Handels fast komplett verschwunden.

Warum wird in Deutschland stattdessen noch immer die ethisch verwerfliche und ökologisch wie ökonomisch schädliche Massentierhaltung mit Steuergeldern subventioniert? Warum verfolgt die Politik ein Leitbild der exportorientierten Fleischindustrie? Dabei ist doch längst bekannt, dass die dabei anfallenden großen Mengen an Gülle, für die es keine ausreichenden Flächen zum Ausbringen gibt, das Grundwasser stark mit Nitrat belasten. 28 Prozent der Messstellen überschreiten den zulässigen Grenzwert von 50 mg pro Liter. Das Umweltbundesamt hat errechnet, dass durch die aufwendigere Wasseraufbereitung des Trinkwassers bis zu 760 Millionen Euro an Zusatzkosten im Jahr entstehen. Und mit den Exporten unseres subventionierten Billigfleisches nach Afrika wird dort die einheimische Landwirtschaft zerstört.

Wer die genannten Probleme wirklich angehen will, wird nicht drum herumkommen, eine Reduzierung der Tierbestände durchzusetzen. Dazu müsste man auf EU-Ebene gezielt kleinere und mittlere Betriebe fördern und die Subventionen davon abhängig machen, ob sie in der Lage sind, die Tiere mit Futter zu ernähren, das sie auf eigenen Flächen anbauen. Damit würde man den industriell arbeitenden Masttierbetrieben de facto die Subventionen entziehen.

Kleinbauern subventionieren statt Massentierhaltung

Diese Kreislaufwirtschaft kleinerer Betriebe könnte auch zu einer Verbesserung der Bodenqualität führen, weil sie langfristiger denken und kein Interesse daran haben, den eigenen Grund wegen kurzfristigem Renditedenken auszulaugen.

Dass Kreislaufsysteme auch mitten in der Stadt funktionieren können und keine ländliche Agrarromantik voraussetzen, lässt sich an dem Berliner Start-Up ECF-Farmsystems demonstrieren. In Schöneberg in der ehemaligen Schultheiss-Brauerei züchtet das Unternehmen Barsche und Basilikum in einer urbanen Kreislaufwirtschaft. Die Nährstoffe aus dem Abwasser der Fischzucht fließen durch Filter und als Nitratdünger in ein Gewächshaus, mit dem das Basilikum ernährt wird. Die Barsche, die in einem halben Jahr auf 600 Gramm heranwachsen, brauchen dafür nur gut 700 Gramm Futter.

Aber die Politik schreckt vor einer Reduzierung der Tierbestände und einer Ausweitung ökologischer Tierhaltung zurück, weil der Preis von Fleisch- und Milchprodukten infolgedessen stark ansteigen würde. Aber wäre das wirklich so schlimm? Im Schnitt essen die Deutschen noch immer 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für eine ausgewogene Ernährung maximal die Hälfte davon.

Wahrscheinlich fürchten die Parteien auch das „Veggie-Day“-Phänomen, wurden doch die Grünen für diesen Vorschlag im vorletzten Bundestagswahlkampf vom Wähler hart bestraft. Verbotspartei möchte keiner mehr sein.

Aber vielleicht kamen die Grünen einfach ein paar Jahre zu früh und es geht ja auch etwas subtiler als mit Verboten. Denn auch wenn der Fleischkonsum noch auf einem sehr hohen Niveau liegt, geht er in Deutschland inzwischen langsam zurück. Dass beim Thema Ernährung im Allgemeinen ein Bewusstseinswandel einsetzt, kann man bereits seit längerem an den Trends in der Spitzengastronomie und in der Foodie-Szene beobachten. In Berlin hat das „Cookies Cream“ als erstes rein vegetarisches Restaurant einen Michelin-Stern erhalten, während mit dem „Nobelhart und schmutzig“ ein anderes Berliner Gourmetrestaurant ausschließlich auf den Einsatz regionaler Produkte setzt.

So etwas weckt Neugierde und schafft eine Nachfrage nach qualitativ und geschmacklich hervorragenden Lebensmitteln, die die agrarindustriellen Betriebe nicht befriedigen können. Trends wie „From nose to tail“ oder „From leaf to root“ könnten dazu beitragen, dass eine neue, dringend notwendige Wertschätzung für Lebensmittel entsteht. Denn wer beim Fleisch nicht nur die Edelteile, sondern auch Innereien, Zunge und Knochen selbst am heimischen Herd verwertet und beim Gemüse auch die Blätter und die Wurzeln verarbeitet, will genau wissen, woher seine Lebensmittel kommen und unter welchen Bedingungen sie erzeugt wurden.

Schulfach Kochen - vielleicht springt der Funke dann von den Kindern auf die Eltern über

Wer diese Wertschätzung für Lebensmittel aus der Trendnische herausholen will, müsste in Deutschland, dem Land der Fertiggerichte und des Convenience Food, ein Schulfach Ernährung und Kochen einführen, ergänzt durch gesunde, fleischarme, leckere Gerichte in der Kita oder Schulmensa.

Wer in der Schule zum Beispiel gelernt hat, wie man einen Sauerteig ansetzt und daraus ein köstliches Brot entsteht, das nur aus Mehl, Wasser und Salz besteht, der lässt sich nicht mehr mit aufgebackenen Teiglingen voller Zusatzstoffe vom Discounter abspeisen. Er versteht aber auch, warum ein Brötchen nicht nur 15 Cent kosten kann. Neben der handwerklichen Backkunst könnten die Schüler aber in einem eigenen Schulfach Ernährung und Kochen fächerübergreifend noch ganz andere Themen behandeln: Welche biochemischen Prozesse ablaufen, wenn der Teig mithilfe der wilden Hefen aufgeht oder wovon sich die Milchsäurebakterien ernähren, die dem Brot seinen Geschmack geben.

Vielleicht springt der Funke dann anders herum über: Kinder bringen ihren Eltern bei, wie man sich gesund ernährt und mit echten Lebensmitteln kocht. Warum nicht? Verbote, Maßregelungen und Verteufelungen sind der falsche Weg, um die Agrarwende einzuleiten und die Qualität der Lebensmittel in Deutschland besser zu machen. Liebe geht durch den Magen, heißt es. Einsicht vielleicht auch.

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