Europäischer Gerichtshof vor der Entscheidung: Crispr ist nicht immer Gentechnik
Mit Genome Editing gezüchtete Organismen fallen nicht unbedingt unter die strenge Regulierung der EU.
Seit Monaten verharren Gentechnik-Befürworter und -gegner in Habachtstellung und schielen nach Luxemburg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union soll darüber entscheiden, ob neue erbgutverändernde Verfahren wie die Genschere „Crispr/Cas9“ (kurz: Crispr) unter die bisherige, strenge Gesetzgebung zur Regulierung von „Gentechnisch Veränderten Organismen“ (GVO) fallen – die „GVO-Richtlinie“ 2001/18/EG. Französische Tier- und Naturschutzorganisationen hatten geklagt, nachdem einige europäische Länderbehörden, darunter auch das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), einige der Methoden nicht als Gentechnik klassifiziert und reguliert hatten. Dieser Position ist der EuGH-Generalanwalt Michal Bobek nun gefolgt. In einem offiziellen „Vorabentscheidungsersuchen“ heißt es, dass erbgutveränderte Organismen nur dann als GVO gelten und als solche reguliert werden müssen, wenn ihr „genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist.“
Aufwändige Regulierung fällt für viele Crispr-Anwendungen weg
„Das bedeutet, dass bestimmte Formen der Genomeditierung mit Werkzeugen wie Crispr zukünftig von der Regulierung ausgenommen werden könnten, wenn deren Ergebnis ’naturidentisch’ ist“, sagt Jörg Hacker der Präsident der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften (Interview zu den Plänen von SPD und Union mit der Grünen Gentechnik in einer möglichen Großen Koalition hier). Erstmals ist damit nicht der Einsatz einer bestimmten Technik ausschlaggebend für die Regulierung, sondern das Ergebnis - die Art und Weise der Genveränderung im Erbgut des Produkts. Zwar ist mit dem endgültigen Urteil des EuGH erst in etwa sechs Monaten zu rechnen, doch in der Regel folgt das Gericht der Einschätzung des Generalanwalts.
Auch Urs Niggli vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, kann dem Vorabentscheid durchaus Positives abgewinnen: „Crispr kann für Punktmutationen am Genom und für das Einführen von Genen aus Wildpflanzen derselben Art eingesetzt werden.“ So kann auf eine hochleistungsfähige Nutzpflanze etwa die Kranheitsresistenz ihres urtypischen Vorläufers übertragen werden – und muss nicht erst mühsam über Jahre eingekreuzt werden. „Die Empfehlung des Generalanwalts beschränkt sich aus meiner Sicht auf solche Anwendungen“, sagt Niggli. Mit der Genschere könne aber auch artfremde DNS eingefügt werden. Das falle weiterhin unter die GVO-Gesetzgebung, betont er.
Gentechnikrecht der EU braucht keine Novellierung
Dieses Gentechnikrecht müsse aufgrund der neuen molekularen Züchtungsmethoden auch nicht novelliert werden, schreibt der Generalanwalt ausdrücklich. Das sieht Niggli allerdings anders. „Crispr ist eine universelle Genschere und kann auch eingesetzt werden, um völlig neue, künstliche Organismen zu schaffen oder Malaria-übertragende Mücken auszurotten.“ Solche Anwendungen müssten auf jeden Fall neu geregelt werden.
Der Anti-Gentechnik-Aktivist Christoph Then sieht in dem Vorabentscheid „die Intention der GVO-Richtlinie nicht ausreichend gewürdigt“. Auch den Hinweis des Generalanwalts, dass die Mitgliedsstaaten der EU im Zweifelsfall eigene Regulierungen für die neuen Genomeditierungsverfahren erlassen können, hält Then für „nicht überzeugend“. In der Gentechnikregulierung könnten sich „erhebliche Lücken“ auftun, sollte das EuGH dem Vorabentscheid folgen, sagt Then. „Die Politik muss das jetzt genau verfolgen und gegebenenfalls die bestehende EU-Regulierung nachbessern.“
Widerstand von den Kritikern
Auch für Harald Ebner (Grüne) sind „noch weitere wissenschaftliche und rechtliche Klarstellungen nötig, um sicherzustellen, dass wirklich alle neuen Gentechnikverfahren als Gentechnik gelten – und somit einer Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht unterliegen.“ Erst dann wüssten europäische Pflanzenzüchter verbindlich, woran sie sind.
Für Züchtungsunternehmen geht es dabei um die Existenz. Da die Technik die Entwicklung von neuen Sorten mit interessanten Eigenschaften massiv beschleunigt, seien viele Firmen, auch kleinere, daran interessiert, sagt Niggli. „Auch für die biologischen Züchter könnte das eine große Chance sein.“ So könne die Ökozüchtung an Bedeutung gewinnen - als Alternative für Konsumenten, welche jegliche Anwendung von Crispr ablehnen.
Auftakt für eine neue Debatte?
Für Niggli, der schon vor längerer Zeit für einen differenzierten Umgang mit Crispr plädiert hatte und dafür viel Kritik von Ökoverbänden einstecken musste, bietet der EuGH-Beschluss eine Chance für den Beginn einer neuen Debatte über die Grüne Gentechnik: „Nach 30 Jahren Streitgesprächen wäre es wünschenswert, sachlicher zu werden“, sagt Niggli. Man habe „wichtige Probleme zu lösen, etwa die Tatsache, dass wir zwar mehr als genug Lebensmittel produzieren, aber nur mit Unmengen von Pestiziden und Düngern.“ Um diese Umweltbelastungen zu reduzieren, brauche es ökologischen Landbau einerseits, und beschleunigte Züchtungsverfahren andererseits. „Vielleicht werden wir in 20 Jahren in Europa 30 Prozent Ökolandbau haben. Das heißt, dass wir auch Lösungen für die anderen 70 Prozent der Landwirtschaft haben müssen.“